Thomas Schaarschmidt: Regionalkultur und Diktatur. Sächsische Heimatbewegung und Heimat-Propaganda im Dritten Reich und in der SBZ/DDR (= Geschichte und Politik in Sachsen; Bd. 19), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, XV + 574 S., ISBN 978-3-412-18002-7, EUR 59,90
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Die vorliegende Habilitationsschrift, die im Kontext eines größeren Forschungsverbundes "Sachsen unter totalitärer Herrschaft" an der Universität Leipzig entstanden ist, widmet sich der Erforschung der speziell in Sachsen äußerst regen Heimatbewegung, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in einer Vielzahl von lokalen und regionalen Geschichts-, Heimat-, Wander- und Volkskunstvereinen aufblühte. Auch wenn der Diktaturvergleich als methodische Folie bemüht wird, so handelt es sich primär um eine historische Längsschnittanalyse, die im Kern der Darstellung von 1933 bis zum Ende der Fünfzigerjahre reicht und mit großer Liebe zum Detail allen organisationsgeschichtlichen Verästelungen nachspürt.
Charakteristisch für die Heimatbewegung, die ihre Träger im groß- und kleinstädtischen Bildungsbürgertum besaß, war die starke Betonung der sächsischen Stammestraditionen bei gleichzeitiger Romantisierung und Idealisierung von Natur und unverdorbenem Landleben. Als die wichtigsten Dachverbände fungierten der "Landesverein Sächsischer Heimatschutz" (1908) mit etwa 40.000 Mitgliedern während der Weimarer Republik, der "Erzgebirgsverein" (1878) mit 30.000 Mitgliedern oder der "Sächsische Verband für Volkskunde" (1931).
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten blieb das Verhältnis zwischen Heimatbewegung und NSDAP ambivalent, weil sich trotz eines gemeinsamen Fundus an völkischen Vorstellungen die Interessen beider Seiten nie vollständig zur Deckung bringen ließen. Gleichwohl dominierten Kooperation und wechselseitige Unterstützung, zumal die formale Unterordnung unter den NS-Führungsanspruch die Binnenstruktur der Vereine im Wesentlichen unangetastet ließ. Im Zuge einer zweiten Gleichschaltungswelle ab 1937 gewann dann die Sorge um die organisatorische Autonomie wieder die Oberhand. Doch auch nach der Gründung des "Heimatwerkes Sachsen", das Gauleiter Mutschmann zur Erweiterung seiner Machtbasis diente, blieben Handlungsspielräume erhalten, da weder die NSDAP noch die im Kulturbereich konkurrierenden NS-Organisationen ein stringentes Konzept besaßen und nahezu alle Aktivitäten im diffusen heimatkundlichen bis völkischen Spektrum förderten.
Von einer gewissen Komik zeugt der verbissene Kampf Mutschmanns gegen die Parodierung der sächsischen Mundart, die bis zum Boykott von Filmen und Theaterstücken reichte, was bei Goebbels allerdings nur Hohn und Spott hervorrief. Zugleich forcierte Mutschmann nachdrücklich die Spracherziehung der sächsischen Bevölkerung, um das Ansehen seines Gaues zu steigern.
Mit Kriegsende wandelten sich die politischen Rahmenbedingungen grundlegend, da die sowjetische Militäradministration und die neu eingesetzte, kommunistisch dominierte sächsische Landesverwaltung nicht nur die politisch kompromittierten Verbände auflösten, sondern auch den anderen faktisch weiterbestehenden Vereinen einen rechtlich anerkannten Status verweigerten. Bereits im Herbst 1945 verfügte Innenminister Kurt Fischer, ein aus Moskau zurückgekehrter KPD-Kader, unter Berufung auf einen angeblichen SMAD-Befehl die Auflösung aller Vereine. Auch wenn diese Verordnung wenig später wieder zurückgezogen wurde, so blieb der staatliche Druck zur Auflösung sämtlicher Vereine unvermindert erhalten. Neben einer weiten Auslegung der Beschlagnahmung nazistischen Vermögens bediente man sich vor allem einer Verschleppungstaktik, um die Vereine in den Kulturbund (KB) als einzig zugelassener Dachorganisation zu zwingen. Dahinter stand die Furcht, dass das bürgerliche Vereinswesen zu einem Sammelpunkt oppositioneller Strömungen werden könnte. "Die Reaktion und der Faschismus", so der Wortlaut einer Instruktion an die Volkspolizei vom April 1949, "werden alles versuchen, in das Vereinswesen einzudringen, um dort eine Massenbasis zu bekommen und die Massen gegen die Entwicklung unserer Ziele aufzubringen und uns Schwierigkeiten zu machen mit dem Ziele, die alten Zustände wieder herzustellen." Aus dieser Sicht stellten unabhängige Verbände und Vereine per se eine Bedrohung des kommunistischen Machtmonopols dar, selbst wenn sie so harmlosen Vergnügungen wie dem Wandern oder dem Schnitzen von Weihnachtsschmuck nachgingen. Bis Ende 1949 waren die traditionellen Strukturen des sächsischen Vereinswesens zerschlagen und das Ziel, den Kulturbund als alleinige Organisation zu etablieren, war erreicht.
Damit war zwar die Machtfrage geklärt, doch blieb auch innerhalb der neuen Strukturen die Kluft zwischen dem politisch-propagandistischen Mobilisierungsanspruch und der trägen Beharrungskraft des gesellschaftlichen Umfelds erhalten. Die Mitglieder der ehemaligen regionalkulturellen Vereinigungen sammelten sich nun als "Natur- und Heimatfreunde" im Kulturbund und führten in den gleichnamigen Arbeitsgemeinschaften ihre frühere Tätigkeit mehr oder weniger nahtlos fort. 1951 zählte man in Sachsen rund 6800 Natur- und Heimatfreunde, womit sie ein Viertel der KB-Mitglieder stellten und vor allem auf dem Lande häufig die aktivsten Untergliederungen waren. Republikweit stellten die Sachsen damals rund 45 Prozent aller Natur- und Heimatfreunde.
Wie SED-Kulturfunktionäre immer wieder beklagten, war das Interesse an politischen Vorträgen gering. Umso größer fiel dafür der Zuspruch zur alten Vereinsarbeit unter neuem Namen aus: der Schutz von Natur- und Kulturdenkmälern, die Wiederbelebung alter Volkstumstraditionen, heimatkundliche Vorträge und Feste aller Art, die Markierung von Wanderwegen etc. Großen Anklang fand auch die Aktion "das schöne Dorf", die 1956 in anderen DDR-Bezirken übernommen wurde. Da all diese Tätigkeiten vom ehrenamtlichen Engagement lebten, ließ sich die gewünschte Propagierung eines sozialistischen, klassenkämpferischen Heimatbegriffs zwar auf dem Papier verordnen, aber an der Basis nur bedingt umsetzen.
Nicht immer berichteten die Kulturfunktionäre so offen wie der Löbauer Kreissekretär, der 1959 klagte: "Nach wie vor haben wir große Schwierigkeiten bei der ideologischen Umerziehung unserer Mitglieder. In den meisten Ortsgruppen [...] ist es schwer, die Leitungen zu einer besseren Vortrags- und Veranstaltungsplanung und Durchführung zu bringen. Der Grundgedanke 'Wir sind Natur- und Heimatfreunde und fühlen uns gar nicht wohl, wenn ihr uns so sehr mit politischen Dingen bombardiert!' ist immer wieder einmal zu spüren." Ideologische Gängelung ließ sich zwar leicht mit der finanziellen Bezuschussung der Arbeitsgemeinschaften praktizieren, doch reagierten diese dann mit einer Reduzierung ihres Engagements, wie es die SED-Funktionäre in allen Phasen ideologischer Verhärtung erleben mussten. Mit Ende der Fünfzigerjahre endet denn auch die primär organisationsgeschichtliche Untersuchung Schaarschmidts.
Der historischen Nachzeichnung schließt sich ein systematischer Vergleich der Funktion und Transformation regionalkultureller Organisationen in totalitären Systemen an, der unter verschiedenen Aspekten nochmals die wichtigsten Entwicklungslinien während der NS- und der SED-Diktatur gegenüberstellt. Neue Erkenntnisse kann der Leser allerdings nicht erwarten, was wohl auch am Gegenstand liegt. Denn die Regionalkultur stellte für beide Herrschaftssysteme doch ein eher randständiges Phänomen dar. Gleichwohl zeigt sich auch hier, dass der Nationalsozialismus wesentlich flexibler und, gemessen an seinen Zielen, auch erfolgreicher agierte. Er war, wenn man ein Fazit ziehen will, dynamischer und wies eine geringere Gleichschaltung als die kommunistische Diktatur auf.
Clemens Vollnhals