Peter Blickle / Thomas Adam (Hgg.): Bundschuh. Untergrombach 1502, das unruhige Reich und die Revolutionierbarkeit Europas, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, 296 S., ISBN 978-3-515-07761-3, EUR 56,00
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In keiner Darstellung bäuerlicher Unruhen im Reich des 16. Jahrhunderts darf ein Hinweis auf die als 'Bundschuh' bekannt gewordenen Revolten 1502 in Untergrombach, 1513 in Lehen, 1517 im gesamten Oberrheingebiet fehlen. Dennoch hat die historische Forschung dieses Thema schwer vernachlässigt. Allzu dominant ist die Darstellung von Albert Rosenkranz, ein Leitfossil aus dem Jahr 1927, allzu bequem die von ihm gleichzeitig vorgelegte Quellenedition. [1] Freilich ist es weit schwerer, etwas über den Bundschuh als über den Bauernkrieg zu sagen: Die Bundschuhrebellionen hatten die Form geheimer Verschwörungen. Sie flogen sämtlich auf, bevor sie losschlagen konnten. Selbstzeugnisse der Verschwörer, die nicht im Kontext der strafrechtlichen Ermittlungen gegen sie entstanden, liegen nicht vor. Über den Rädelsführer der Erhebungen, den Feldhüter Joss Fritz, berichten selbst die Quellen nur vom Hörensagen, da er nie verhaftet werden konnte. Der von Peter Blickle und Thomas Adam herausgegebene Sammelband, der auf eine Tagung 2002 in Bruchsal zurückgeht, verbessert die Forschungslage erheblich. Rosenkranz und seine fragwürdige Deutung der Quellen lässt er jedoch nicht völlig hinter sich. Neue Quellentexte, die es vielleicht ermöglichen würden, ein etwas schärferes Bild des Bundschuhs zu entwerfen, erschließt der Band kaum. Dass die Suche nach solchen Quellen ein Forschungsdesiderat darstellt, wird nur angedeutet.
Der Band wird mit einer Überblicksdarstellung Peter Blickles eröffnet. Auf eine Vorstellung der folgenden Texte und ihre Einordnung in die Forschungslandschaft verzichtet Blickle. Dafür kontextualisiert er die Bundschuherhebungen selbst: Er sieht sie als Teil der großen 'Unruhe' im Reich, die den 'Gemeinen Mann' um 1500 erfasst hatte. Ganz im Sinn seiner Forschung zum Bauernkrieg und zum Kommunalismus sieht Blickle drei Ziele als Gemeinsamkeiten der jeweils eidlich verbundenen Unruhestifter: Freiheit als Freiheit von Leibeigenschaft, Stärkung der Kommunen, Bezugnahme auf die Bibel als Grundlage allen Rechtes. Blickle erweitert den Fokus noch weiter: Ganz Europa habe im Spätmittelalter und in der beginnenden Neuzeit Erhebungen des 'Gemeinen Mannes' erlebt, die sich jeweils religiös legitimierten und die Gemeinde als Ordnungsprinzip stark machten. Dass die Frequenz, Dichte, Anhängerschaft und Programmatik dieser Revolten begrenzt waren, räumt Blickle ein: Europa war vielleicht 'revolutionierbar', aber sicherlich nicht revolutionär.
Vier Beiträge beschäftigen sich mit der Oberrheinregion. Georges Bischoff bietet einen Überblick über den noch nicht mit Joss Fritz verbundenen Bundschuh von Sélestat (Schlettstadt, Elsass) 1493. Obwohl auch hier die Verschwörer scheiterten, wertet Bischoff die Nachrichten über sie als Startschuss der späteren Revolten: Der 'Gemeine Mann' hatte seine Gefährlichkeit den Herren des Oberrheingebiets vor Augen gestellt. Aus der problematischen Quellenlage zieht Claudia Ulbrich die scheinbar radikale, aber angemessene Konsequenz: Die Geschichte des Bundschuhs von 1502 ist für sie nicht die Geschichte der geheimen Verschwörung, sondern wesentlich die ihrer Verfolger und die der Rezeption der Bundschuhgerüchte. Dabei wurde die Revolte, obwohl ihre Anhänger hart bestraft wurden, vor Ort offenbar weniger ernst genommen als von den Herrschaftsträgern in weiter entfernten Gebieten. Für die Aufständischen selbst rekonstruiert Ulbrich das Selbstverständnis eines am Landfrieden orientierten Bundes. Horst Buszello behandelt die Reaktionen der Obrigkeiten auf die Nachricht von einem neuen Bundschuh 1513. Er erkennt diesem ein umfassendes Reformprogramm zu, das orientiert war an der Vorstellung eines biblischen und vernünftigen, zugleich aber auch alten Rechtes: Der Umbruch zum Göttlichen Recht der 12 Artikel hatte noch nicht stattgefunden. Rolf Köhn befasst sich mit dem letzten und größten Bundschuh: Der Verschwörung zu beiden Seiten des Rheins 1517. Köhn grenzt sich von der älteren Forschung kritisch ab: Weder von einer Dominanz der Stadtbevölkerung noch von einem nennenswerten Anteil des Fahrenden Volkes könne bei diesem Bundschuh die Rede sein. Die schlechte Quellenlage - das heißt die Materialien bei Rosenkranz - lassen jedoch definitive Aussagen über Träger und Programm der Verschwörung nicht zu. Als Ausweg sieht Köhn nur den Versuch, die in den Quellenresten genannten Verdächtigen zu identifizieren und sozial einzuordnen. Klaus H. Lauterbach weist ältere Auffassungen zurück, nach denen der Oberrheinische Revolutionär Gedankengut des Bundschuhs aufnahm und seinerseits die Programmatik des Bauernkrieges beeinflusste.
Ländliche Protestbewegungen in Württemberg, Baden und der Schweiz beleuchten Andreas Schmauder, Andreas Würgler und Claudius Sieber-Lehmann. Schmauder fasst die Ergebnisse seiner Monografie zum Armen Konrad Württembergs zusammen. [2] Beziehungen des Armen Konrad von Bühl zur gleichnamigen Bewegung in Württemberg oder zum Bundschuh lassen sich nicht erkennen. Würgler entlarvt die Verunglimpfung des Kolbenbannerzuges von 1477 zum Saubannerzug als zeitgenössische Propaganda: Ein bewaffneter Protest der Innerschweizer Länderorte gegen eine dominierende Stadt wurde zum Fastnachtsulk betrunkener Jugendlicher entstellt. Hier begegnet also nicht die bekannte Erscheinung von Karneval als Protest, sondern eine 'verkehrte verkehrte Welt', die bewusste Verharmlosung von Protestaktionen als Karneval. Sieber-Lehmann untersucht in einer Reihe von Fallstudien Unruhen in schweizerischen Stadtstaaten zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Er charakterisiert sie im Wesentlichen als Verteilungskämpfe ohne revolutionären Charakter.
Steven Justice und Tom Scott befassen sich mit den Auswirkungen bäuerlicher Erhebungen. Justice untersucht die Darstellung französischer, englischer und italienischer Aufstände in der spätmittelalterlichen Historiografie. Deren Darstellung der Formen und Strategien dieser Proteste 'normalisierte' die Revolte in den Augen der bürgerlichen Leser. Die historische Literatur gewann dadurch Bedeutung als Legitimation für vom Stadtbürgertum getragene Widerstandsbewegungen. Scott verweist auf Hans Murer als Karsthans, die mit Ulrich von Württemberg verbündeten Bauern und Hans Müller von Bulgenbachs an Joss Fritz' erinnernde Taktik als Bindeglieder zwischen den Bundschuhrebellionen und dem Bauernkrieg.
Guy Marchal beschreibt drei Diskurse, die für die Zeitgenossen das Bild des Bundschuhs prägten. Sowohl die 'Reformatio Sigismundi' als auch das 'Buchli der hundert Kapitel' hatten sich vom 'Gemeinen Mann' die entscheidende Initiative für die Reform von Staat und Kirche erhofft. Dem gegenüber stand das von städtischen und adeligen Obrigkeiten gepflegte Feindbild der 'bösen' Bundschuhrebellen. Dieses wurde verstärkt durch die Selbstpräsentation der Schweizer als Bauern. Dass diese die Bundschuher unterstützen würden, wurde erwartet. Dass die Schweiz durchaus nicht als von Bauern beherrschte Ordnung angesprochen werden konnte und es unterließ, Bauernrebellen aus dem Oberrheingebiet auch nur die mindeste Hilfe anzubieten, konnte dieses Schweizbild nicht erschüttern.
Der Band ist mir nützlichen Karten und Reproduktionen von Bildquellen ausgestattet. Ein Register fehlt leider.
Besonders die kritischen Arbeiten von Ulbrich, Buszello, Köhn und Marchal zeigen eindringlich, wie problematisch der Umgang mit Rosenkranz' Quellen zum Bundschuh ist. Hinter erfolterten Geständnissen, vorgeformten Feindbildern, überstürzten Ermittlungen und Strafmaßnahmen der Herrschaftsträger eine Verschwörung von Bauern auszumachen, fällt bei kritischer Auswertung des Quellenmaterials schwer. Haben wir es hier wirklich mit bäuerlichen Revolten zu tun oder lediglich mit übernervösen Obrigkeiten, die aus fadenscheinigsten Indizien große Komplotte konstruierten? Wie plausibel sind die Nachrichten von den Verschwörungen der Bauern, die stets 'entdeckt' oder 'verraten' wurden, bevor sie aktiv werden konnten? Der Rezensent hat für den Bundschuh von 1517 zu belegen versucht, dass es zu dieser Zeit tatsächlich keine Verschwörung gab, wohl aber massive herrschaftliche Interessen an der Angst vor einer Revolte. [3] Die weitere Forschung zum Bundschuh sollte es sich zur Aufgabe machen, Quellen über das bereits edierte Material hinaus zu finden. Dann muss kritisch gefragt werden, inwieweit dieses auf obrigkeitlichen Alarmismus und Fehlleistungen der entstehenden Strafverfolgungskräfte oder auf tatsächliche Aktivitäten der Bauern durchsichtig ist.
Der Band von Blickle und Adam ist ein hervorragender Ausgangspunkt für neue Forschungen zum Bundschuh und ein wichtiger Beitrag zur Historiografie bäuerlichen Protestes und seiner Bekämpfung.
Anmerkungen:
[1] Albert Rosenkranz: Der Bundschuh. Die Erhebung des südwestdeutschen Bauernstandes in den Jahren 1493-1517, 2 Bde., Heidelberg 1927.
[2] Andreas Schmauder: Württemberg im Aufstand. Der Arme Konrad 1514, Leinfelden-Echterdingen 1998.
[3] Johannes Dillinger: Freiburgs Bundschuh. Die Konstruktion der Bauernerhebung von 1517, in: Zeitschrift für Historische Forschung 32 (2005), im Druck. Vgl. auch Johannes Dillinger: Terrorists and Witches: Popular Ideas of Evil in the Early Modern Period, in: History of European Ideas 30 (2004), 167-182.
Johannes Dillinger