Anna Ottani Cavina: Geometries of Silence. Three Approaches to Neoclassical Art, New York: Columbia University Press 2004, xv + 250 S., 107 fig., ISBN 978-0-231-13208-4, GBP 29,50
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Schon lange hat man erkannt, dass die scheinbar ganz in der antiken Vergangenheit gefangene Kunst des (Neo-)Klassizismus entschieden moderne Züge besitzt. Emil Kaufmanns Idee einer Revolutionsarchitektur speist sich aus der Ästhetik des Bauhauses oder des Neuen Bauens allgemein. Rudolf Zeitler hat in seinem grandiosen Buch über "Klassizismus und Utopia" von 1954 die Verinnerlichung und Privatisierung der Heldenfigur in der Kunst um 1800 beschrieben, die zum Konstituens des nachklassischen Geschichtsbildes wurde. Robert Rosenblum konnte in seinem "Transformations in Late Eighteenth Century Art" von 1967 zeigen, dass die radikal vereinfachte Zeichnungskunst der Revolutionszeit auf moderne Abstraktionstendenzen verwies.
Die Autorin der vorliegenden Essaysammlung steht in der genannten Tradition und bezieht sich auch immer wieder vor allem auf Rosenblum - der sich dafür im Klappentext mit dem Lob für Ottani Cavinas "delicate touch and profound erudition" bedankt. (By the way: Wie kann eigentlich Pierre Rosenberg in La Repubblica - siehe ebenfalls Klappentext - einen Text kommentiert haben, dessen erste Ausgabe mit dem vorliegenden Buch überhaupt erst da ist?) Ihre Absicht besteht darin, "to present ideas about some less well-known aspects of the eighteenth century" (X). Dabei wählt sie ihren Zugang über einen "Nebeneingang" - Landschaftsmalerei und Innenraumgestaltung - und verzichtet vollständig und ausdrücklich auf den "Haupteingang", also die Historienmalerei.
Der erste Essay - Antiquity as Future - ist wenig zielgerichtet und mischt eine Reihe von Eigenheiten klassizistischer Kunst am Ende des 18. Jahrhunderts zusammen, ohne deren inneren Zusammenhalt zu belegen. Am beeindruckendsten noch die Reihe von "existenzialistischen" Selbstporträts, mit der sie den immer wieder gezeigten von Carstens und Füssli einige weniger bekannte, dabei mindestens so eindrückliche, an die Seite stellt.
Während die eher impressionistische Zugangsweise systematischen Erkenntnisgewinn ausschließt, kann man sich dann aber über Einzelbeobachtungen genauso freuen wie über den Hinweis auf bislang vernachlässigte Künstler. Felice Giani dürfte nur dem Spezialisten bekannt gewesen sein. Mit seinen Innenraumgestaltungen in Faenza aber wird man ihn in einem Atemzug mit Robert Adam nennen können. Beide bedienten auf hohem künstlerischen Niveau die Ansprüche einer neuen, an individueller Bequemlichkeit mindestens so sehr wie an repräsentativer Selbstdarstellung interessierten Auftraggeberschicht. Interessant sind dabei gleichzeitig Ottani Cavinas Unterscheidungen. Steht Giani technisch in einer italienischen Barocktradition, die auf individuelle Teile-Gestaltung vor Ort setzt, so "beginnt" mit Adam, der in kurzer Zeit eine relativ wenig entwickelte, englische Architekturlandschaft zu gestalten hatte, so etwas wie die Industrialisierung der Kunst: Vorfabrikation, Serialisierung, Standardisierung sind hier die Stichworte. (92) Auch in der vollständigen Ästhetisierung aller Lebensbereiche (123) ist Adam ein Vorbild für die Moderne, die etwa im Jugendstil das Haus zu einem kompletten und kohärenten Gegenbild des Lebens stilisierte.
Im dritten Essay konzentriert sich die Autorin auf die erstaunlichen Landschaftsbilder der Klassizisten, insbesondere auf deren Stadtlandschaften. In der extremen Reduzierung auf strengste geometrische Grundformationen schienen sie ein Äquivalent für römische virtus geschaffen zu haben, gleichzeitig betonten sie damit ein geradezu metaphysisches Element, das erst wieder von de Chirico eingeholt wurde. In ihrer Begeisterung über die Modernität dieser Landschaften schießt die Autorin allerdings zuweilen über ihr Ziel hinaus. Wenn sie ausgerechnet im Angesicht von Drouais' "Idealansicht von Rom" (132) darauf verweist, dass sich im Bild keine Figuren befänden (145), dann entspricht das zwar ihrer grundsätzlich zweifellos richtigen These, aber in diesem Fall leider nicht der Wirklichkeit.
Nicht immer entgeht die Autorin offenbar unausrottbaren Klischees. Dass es ein Zeichen von Jacob Asmus Carstens' "Germanic origin" gewesen sei, dass er sich selbst "with staring eyes and with maniacal exactitude" (26) selbst porträtierte, stößt natürlich insbesondere dem deutschen Leser unangenehm auf.
Zusammengefasst: Das Buch beeindruckt mehr durch Einzelbeobachtungen denn durch einen systematisch durchdachten Gesamtentwurf. Letzteres wird man allerdings von einer relativ knappen Essaysammlung auch nicht erwarten dürfen.
Hubertus Kohle