Klaus Albrecht Schröder / Maria Luise Sternath (Hgg.): Albrecht Dürer. Zur Ausstellung in der Albertina Wien (5.9. - 30.11.2003), Ostfildern: Hatje Cantz 2003, 575 S., 284 Farb-, 83 s/w-Abb., ISBN 978-3-7757-1330-6, EUR 49,80
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Gut drei Jahrzehnte nach der legendären Nürnberger Dürerausstellung von 1971 und anlässlich des 475. Todestages des Künstlers präsentierte die Albertina eine opulente Gesamtschau des Werkes. Deren besonderer Reiz lag, neben den zahlreichen eigenen Werken und den aus zahlreichen Museen zusammengetragenen Leihgaben, vor allem auf der gemeinsamen Präsentation von Gemälden und ihren Vorstudien. Hier ist jedoch nur der Katalogband zu besprechen, der allein schon auf Grund seines Umfanges - 576 reich illustrierte Seiten - und seines Gewichts - fast fünf Pfund - nahezu alle bisherigen Dürerpublikationen in den Schatten stellt.
Der Band beginnt mit einem kurzen Vorwort einer der Herausgeber, Klaus Albrecht Schröder, der kurz die Geschichte der Dürersammlung der Albertina skizziert, die Forschungsgeschichte streift und die Konzeption der Ausstellung benennt. Nach dem Vorbild des "Ploetz" folgt eine Zeittafel bevor der erste Teil des Bandes anfängt: Eine Sammlung von acht Essays, sämtliche aus der Feder bekannter Dürerforscher, beleuchtet eine Reihe zentraler Themen: Ernst Rebel versucht unter dem Titel "Apelles Germaniae" eine Reihe von Koordinaten in Leben und Werk Albrecht Dürers zu bestimmen, Kristina Hermann-Fiore widmet sich den Landschaftsaquarellen, von denen die Albertina gleich mehrere Glanzstücke besitzt, und Elisabeth M. Trux forscht weit ausgreifend über den Feldhasen und andere Tierstudien. Es folgen Berthold Hinz, ausgewiesener Kenner der "nackett pild", und Johann Konrad Eberlein mit einem Essay über die Porträts. Katherine Crawford Luber schrieb über Dürers Kunst "zwischen Disegno und Colore", zwischen Grafik und Malerei, Matthias F. Müller über Dürer und Kaiser Maximilian sowie Matthias Mende über den von der Forschung bisher recht stiefmütterlich behandelten alten Dürer.
Auf gut 100 Druckseiten wird hier in Form kurzer und prägnant formulierter Essays eine Reihe zentraler Themen der Dürerforschung angesprochen. Auf die Präsentation neuer Forschungen, die sich vor allem auf Detailprobleme konzentrieren müssten, wurde dagegen weitgehend verzichtet. Knappe Fußnoten erlauben einen gezielten Zugriff auf die umfangreiche Bibliografie am Ende des Bandes. Auseinandersetzungen mit neueren Publikationen der in dem Band nicht vertretenen Autoren (Hinz gegen Bonnet, 67 Anm. 1; Müller gegen Schauerte, 101 Anm. 37) halten sich in Grenzen. Lässt man die Reihe der Themen noch einmal Revue passieren, dann kommen die Gemälde recht knapp davon, eine inzwischen obligatorische Veröffentlichung über Unterzeichnungen und über naturwissenschaftliche Untersuchungen vermisst man (außer bei Crawfort Luber), und den Holzschnitten und Kupferstichen wird relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt (dies gilt auch für den Katalogteil); freilich ist Dürers grafisches Werk an anderer Stelle gut zugänglich.
Und noch etwas vermisst man: Die acht Einleitungsessays konzentrieren sich auf Dürer als Maler und Zeichner. Ein Vergleich mit dem Nürnberger Katalog von 1971 zeigt, dass der ganze Themenbereich der Nürnberger Umwelt vernachlässigt wurde. Wir finden keinen Essay zum Humanismus (allenfalls bei Rebel gestreift), nichts über die Reformation, wenig über die Kunden und Auftraggeber (außer Kaiser Maximilian) und nichts über Dürers Stellung in Wirtschaft und Gesellschaft seiner Zeit. Dies sind keine lokalhistorischen Randthemen, sondern aufgrund der globalen Verflechtungen der Nürnberger Kaufleute und Humanisten durchaus zentrale Aspekte, wie dies 2002 die Nürnberger Ausstellung und der Kolloquiumsband "Quasi Centrum Europae. Europa kauft in Nürnberg" noch einmal unter Beweis gestellt haben. Nicht nur in dem Nürnberger Jubiläumskatalog zum 500. Geburtstag Albrecht Dürers 1971, sondern zusätzlich noch in der im gleichen Jahr erschienenen Festschrift "Albrecht Dürers Umwelt" haben solche Themen eine wichtige Rolle gespielt. Obwohl die Forschung auf diesen Gebieten in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte zu verzeichnen hat und immer wieder interdisziplinäre Forschungsansätze gefordert werden, bedeutet die Wiener Ausstellung hier einen Rückschritt, eine Beschränkung auf den Künstler Dürer und auf das klassische Instrumentarium der traditionellen Kunstgeschichte.
Einen anderen Eindruck hinterlässt der 420 Seiten umfassende Katalogteil. Er ist nicht thematisch, sondern chronologisch gegliedert und verlangt dem Betrachter dadurch einiges ab. Jedes der 191 Exponate wird mit einer Farbabbildung und einem Katalogtext präsentiert, wobei die Länge der Texte erheblichen Schwankungen unterworfen ist. Sie reicht von halben Seiten bis hin zu fußnotenreichen Essays wie dem von Martin Schawe über 'Jesus unter den Schriftgelehrten' (Nr. 106). Weitere Katalognummernessays sind dem 'Marienleben' (Nr. 77-73) oder der 'Großen Passion' (Nr. 85-88) - beide nicht vollständig publiziert - gewidmet. Die Texte besitzen Fußnoten, die knappe bibliografische Dokumentation und die Angaben zur Provenienz sind dagegen aus unerfindlichen Gründen an das Ende des Katalogs (537 ff.) verbannt, obwohl bei den Katalogbeiträgen genug Platz gewesen wäre.
Was den Band zu einem der Säulen der künftigen Dürerforschung machen wird, sind vielleicht weniger die Essays und die Katalogtexte als vielmehr die Arbeit von Gabriele Sabolewsky, die für die grafische Gestaltung verantwortlich zeichnete. Zunächst einmal ist die Druck- und Abbildungsqualität des Katalogs hervorzuheben: Es gibt bisher keine Dürermonografie, die mit so zahlreichen und so hervorragenden Farbtafeln ausgestattet ist. Dies gilt gerade auch für den Bereich der Zeichnungen, etwa den 'Kalvarienberg' von 1511 mit seinen braunen und grauschwarzen Federstrichen (Nr. 133). Besonders eindrucksvoll ist auch die Präsentation der Vorzeichnungen zur 'grünen Passion' (Nr. 89-96). Höhepunkte sind weiterhin die Präsentationen der Vorzeichnungen zum 'Helleraltar' und zum 'Rosenkranzfest'. Außerdem ist der Umgang mit dem Bildmaterial zu loben: Oftmals gibt es überraschende Gegenüberstellungen, etwa von Rein- und Konstruktionszeichnungen oder von Entwürfen und von Details aus ausgeführten Gemälden. Häufig wird dabei mit dem Maßstab gespielt, was beim Betrachter zu überraschenden Aha-Effekten führt. Oder es werden kolorierte Zeichnungen und Holzschnitte einander gegenübergestellt, wie beim 'Triumphzug' (Nr. 161). Hinzuweisen ist auch auf den kolorierten Holzschnitt der 'Ehrenpforte' (Nr. 154). Vielfach findet man Detailansichten, die fast bis an die Schmerzgrenze der Reproduzierbarkeit vergrößert wurden, die Details zu monumentalen Figuren machen und eine völlig neue Sicht bekannter Werke ermöglichen, etwa das 'Selbstbildnis als Akt' (Nr. 52), das 'Meerwunder' (Nr. 58), das 'Rasenstück' (Nr. 71) und 'Maria mit den vielen Tieren' (Nr. 75). Diese Abbildungen machen den Band zu einem Augenschmaus.
Eine Bibliografie auf 25 Druckseiten bildet den Abschluss. Wobei bereits der Umfang signalisiert, dass man doch immer wieder auf Matthias Mendes Dürerbibliographie von 1971 zurückgreifen muss. Es bleibt als Fazit festzuhalten, dass der Wiener Katalog allein schon aufgrund seines opulenten Bildmaterials künftig zu den Standardwerken der Dürerforschung zählen wird. Die Beiträge und die Katalogtexte enthalten komprimierte Informationen und bibliografische Hinweise, jedoch bedeutet die Konzentration auf den Künstler Dürer in methodischer Sicht eher einen Rückschritt.
Wolfgang Schmid