Thomas Schilp (Hg.): Reform - Reformation - Säkularisation. Frauenstifte in Krisenzeiten (= Essener Forschungen zum Frauenstift; 3), Essen: Klartext 2004, 264 S., ISBN 978-3-89861-373-6, EUR 22,90
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So positiv der Begriff 'Reform' in heutigen Ohren klingen mag, für die Frauenstifte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bedeuteten die hiermit assoziierten Epochen -Kirchenreform, Reformation und Säkularisation - einschneidende Zäsuren in ihrer Entwicklung, wenn nicht sogar das Ende ihrer Existenz. Der Essener Arbeitskreis zur Erforschung der Frauenstifte ist den aus stiftischer Perspektive krisenhaften Zeiten auf einer Tagung im Jahre 2003 nachgegangen und hat die Ergebnisse nun im dritten Band seiner Schriftenreihe vorgelegt.
Der Verankerung des Arbeitskreises im Essener Bistum entspricht, dass der Großteil der Aufsätze um die Geschichte des dortigen Stifts kreist, der allgemeingehaltene Titel des Bandes also nur bedingt zutrifft. Immerhin finden sich aber auch ein übergreifender Aufsatz zu den sächsischen Frauenstiften im 12. Jahrhundert sowie Fallstudien zum Nürnberger Klarissenkloster St. Clara und zum Frauenstift Wetter bei Marburg in der Reformationszeit. Die ansonsten vorherrschende Fixierung auf Essen ist freilich nur teilweise dem Herausgeber anzulasten: Forschung generiert gemeinhin Forschung und so wird die Geschichte des Essener Stifts seit mehreren Jahren intensiv diskutiert, während sich das Wissen über viele andere Frauenstifte der Germania Sacra weiterhin auf einige spröde Eckdaten beschränkt. [1] Der Essener Arbeitskreis täte also gut daran, sich künftig verstärkt auf vergleichende Untersuchungen zu konzentrieren und die durch 'Einzelstiftsforschung' (P. Moraw) in Essen gewonnenen Erkenntnisse auf ihre Allgemeingültigkeit hin zu überprüfen.
Einen vorbildlichen Beitrag zur vergleichenden Stiftsforschung liefert Ulrich Andermann mit seinem Aufsatz zu den sächsischen Frauenstiften und der Kanonikerreform der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Von den 40 in die Untersuchung einbezogenen Stiften wurden in dieser Zeit immerhin 16 reformiert, davon bestanden fünf Konvente als Augustiner-Chorfrauen- bzw. -Chorherrenstifte fort, die übrigen Konventsreformen erfolgten im benediktinischen Sinne. Protagonisten der Reform waren im Wesentlichen die Bischöfe. Interessant ist in diesem Zusammenhang die geografische Verteilung der Stiftsreformen: "Während östlich der Weser die Kanonikerreform bis 1150 große Erfolge zeitigte, blieb Westfalen, wie schon Michel Parisse 1991 feststellt, 'eine konservative Bastion für den Adel und die adligen Frauenkonvente'." (25).
Der zweite Teil des Bandes bildet gewissermaßen ein Buch im Buch: In einer separaten Einführung weist der Herausgeber darauf hin, dass die Beiträge zum Stift Essen im 13. Jahrhundert "im Zusammenhang zu lesen" seien (32). Und tatsächlich ergibt die Lektüre der anregenden Untersuchungen von Thomas Schilp, Jan Gerchow und Klaus Lange gerade in der Zusammenschau interessante Einsichten: Die territorialpolitischen Auseinandersetzungen der Zeit, in denen das Essener Stift seine Grenzlage zwischen Köln, Berg und Mark geschickt zum Aufbau eines eigenen Territoriums nutzen konnte (Gerchow), erzwangen ein Auftreten als Gesamtkorporation und politisches Subjekt. Zu erreichen war dies nur durch einen breiten internen Konsens, der auch die Stiftskleriker einbezog. Die Entstehung eines eigenen Kanonikerkapitels mit Mitbestimmungsrechten innerhalb der Stiftsverfassung entsprang genau diesem Kalkül und ist nicht - wie bislang angenommen - als Ergebnis äußerer Einflussnahme seitens der Erzbischöfe von Köln zu interpretieren (Schilp). Auch für Historiker spannend ist in diesem Zusammenhang die baugeschichtliche Analyse der Essener Stiftskirche. Die Heterogenität des gotischen Baukörpers deutet Lange überzeugend als "architektonische Stellungnahme" der Äbtissinnen "zu den politischen Konflikten, in die sie verwickelt wurden. Mit der Entscheidung für das westfälische Hallensystem demonstrierten sie ihre Unabhängigkeit von der Kölner Kirche, und mit der Wahl der stilistisch verschiedenen Formzitate bezogen sie Position zum jeweiligen Stand der Machtkämpfe" (105). Der vierte Beitrag dieses Teils - Detlef Hopp über eine 'Überraschung' beim Beginenkonvent 'Am Dunkhaus' - behandelt zwar Essener Geschichte des 13. Jahrhunderts, knüpft aber in keiner Weise an die vorhergehenden Argumentationslinien an. Da offensichtlich auch kein Zusammenhang zum Thema des Sammelbandes besteht, wäre diese archäologische Miszelle sicher in der Hauszeitschrift des Essener Stadtarchivs besser aufgehoben gewesen.
Wie bereits erwähnt, behandeln die beiden Aufsätze zur Reformationszeit das durch die Äbtissin Caritas Pirckheimer bekannte Klarissenkloster St. Clara in Nürnberg und das Stift St. Marien in Wetter. Letzteres wurde 1528 mit dem Übergang Landgraf Philipps von Hessen zum protestantischen Glauben aufgehoben. Die im Mittelpunkt des Beitrags von Christoph Fasbender stehende Bibliothek kann aus den erhaltenen Überresten - Papierhandschriften, Inkunabeln und den als Buch- und Akteneinbände genutzten Seiten von Pergamenthandschriften - rekonstruiert werden. Diese Quellen ermöglichen einen Einblick in die Komplexität des stiftischen Lebens und die dort gepflegte (Frömmigkeits-)Kultur, die mit der Reformation bedeutungslos wurde. Einem völlig anderen Aspekt widmet sich Susanne Knackmuß, die für St. Clara in Nürnberg einen vom Magistrat beförderten Wandel von einer klösterlichen zu einer stiftischen Einrichtung aufzeigt. Bereits im späten 15. Jahrhundert war der städtische Einfluss auf das Kloster so groß, dass St. Clara "einem Stift, einem Damenstift bzw. einem 'patrizisch korporativen Hauskloster' der Freien Reichsstadt Nürnberg ähnlicher als einem regulären Kloster" war. Mit der Reformation verstärkte sich diese Tendenz, wenngleich die verbleibenden Frauen bestimmte klösterliche Gewohnheiten beibehielten und in der offiziellen Klosterhistoriografie "den Schein eines 'regulären Klosters'" wahrten (152).
Der abschließende Teil des Bandes befasst sich wiederum vorrangig mit dem Stift Essen. Thematisiert wird zunächst die Säkularisation von Frauengemeinschaften in Rheinland-Westfalen (Edeltraud Klueting), wobei nicht ausschließlich das Epoche machende Datum 1802 in den Blick gerät, sondern die Kontinuität von Kloster- und Stiftsaufhebungen vom Ancien Régime bis in französische und preußische Zeit aufgezeigt wird. Die Säkularisation in Stadt und Stift Essen ist Gegenstand des Beitrags von Claudia Kleimann-Balke. So löblich die Zusammenschau der Vorgänge in beiden Aufsätzen ist, bieten sie insgesamt wenig Neues oder Überraschendes. Anders verhält es sich mit Reimund Haas' Ausführungen zur Auflösung des Essener Kanonikerkapitels. Der Autor beschäftigt sich mit einem Zusammenhang, der trotz der im Zuge des 'Säkularisationsjubiläums' im Jahre 2003 intensivierten Forschung für kaum eine geistliche Institution untersucht ist: dem Leben der Mitglieder, in diesem Fall der Kanoniker, nach der Aufhebung. Die Rekonstruktion der Lebenswege zeigt, dass die Säkularisation für die Essener Kapitelangehörigen in der Regel einen Karriereknick bedeutete und sie - mit einer Ausnahme - keine Funktionen in den neuen Kirchenstrukturen wahrnehmen konnten.
Es erscheint kaum möglich, mit einer Tagungspublikation von rund 250 Seiten das komplexe Thema 'Frauenstifte in Krisenzeiten' in einer die Jahrhunderte überspannenden Perspektive vom 12. bis zum frühen 19. Jahrhundert auch nur ansatzweise zu bewältigen. Daher soll dem vorliegenden Sammelband auch kein entsprechender Anspruch untergeschoben und dieser postwendend als maßlos kritisiert werden. Wenn jedoch eine Reihe von Aufsätzen unter einem gemeinsamen Titel veröffentlicht wird, muss danach gefragt werden, ob ein neuer Zusammenhang aufgezeigt und neue Forschungsperspektiven umrissen werden - ob das Ganze also mehr ist als die Summe seiner Teile. Für den Abschnitt zu Essen im 13. Jahrhundert trifft dies sicher zu, da hier aus verschiedenen Perspektiven tatsächlich eine Neubewertung der Essener Geschichte dieser Zeit gelingt. Für den Gesamtkomplex 'Frauenstifte in Krisenzeiten' fällt das Urteil zurückhaltender aus, was vor allem daran liegt, dass sich die Autoren weitgehend einer Diskussion des Krisenbegriffs und seinen Implikationen für die Stiftsgeschichte enthalten. Die sich aufdrängende Frage, ob und inwieweit die durch Kanonikerreform und Territorialisierung hervorgerufene 'Krise' des Frauenstifts im Hochmittelalter überhaupt mit der 'Krise' der Reformation und der der Säkularisation vergleichbar ist, wird dementsprechend nicht gestellt. Ein übergreifendes Erklärungsmuster für das langfristige Überleben der Organisationsform Frauenstift wäre also noch zu finden.
Anmerkung:
[1] Zum Forschungsstand vgl. Kurt Andermann (Hg.): Geistliches Leben und standesgemäßes Auskommen. Adlige Damenstifte in Vergangenheit und Gegenwart (= Kraichthaler Kolloquien; 1), Tübingen 1998, 12-16; Irene Crusius (Hg.): Studien zum Kanonissenstift (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 167; Studien zur Germania Sacra; 24), Göttingen 2001, 11-13.
Andreas Rutz