Karin Zachmann: Mobilisierung der Frauen. Technik, Geschlecht und Kalter Krieg in der DDR (= Geschichte und Geschlechter; Bd. 44), Frankfurt/M.: Campus 2004, 420 S., ISBN 978-3-593-37629-5, EUR 45,00
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Auf den ersten Blick war die Neuordnung des Ingenieurberufs in der DDR lange Zeit eine Erfolgsgeschichte: 1970 verließen insgesamt 5.181 Diplomingenieure und 15.263 Fachschulingenieure die ostdeutschen Hoch- und Fachschulen. Da in der Bundesrepublik im gleichen Jahr nur 3.820 Diplomingenieure von den Technischen Universitäten und Hochschulen sowie 13.749 graduierte Ingenieure von den Ingenieurschulen und Fachhochschulen abgingen, schien die DDR die Systemkonkurrenz in diesem Bereich - rein quantitativ betrachtet - gewonnen zu haben. Daran hatten die Frauen einen erheblichen Anteil: Die Frauenquote lag ab 1972 bei den Neuzulassungen zum Direktstudium in den Technischen Wissenschaften stets über 25 Prozent. Wie diese Entwicklung genau verlief und warum das SED-Regime diesen vermeintlichen Vorteil für die Zentralverwaltungswirtschaft nicht gewinnbringend einzusetzen vermochte, das untersucht jetzt erstmals Karin Zachmann in der vorliegenden Studie, die zugleich die überarbeitete Fassung ihrer Habilitationsschrift darstellt. Sie verknüpft Fragestellungen und Methoden der Technik-, Wissenschafts- und Geschlechtergeschichte und versucht, diese mit Ergebnissen der neueren DDR-Geschichte in Verbindung zu setzen. Im Einzelnen geht es Zachmann darum, den Einfluss des Staats- und Parteiapparates in der zweiten deutschen Diktatur auf die Ausformung des technischen Experten im Staatssozialismus herauszuarbeiten; dabei stehen in erster Linie die Neuausrichtung der beruflichen Ausbildung sowie die beruflichen Aufstiegschancen für Frauen im Mittelpunkt des Interesses. Darüber hinaus fragt sie nach der Rolle der Frau in diesem primär von Männern beherrschten Berufsfeld sowie der damit zusammenhängenden Wandlung des Berufsbildes.
Die Studie, die auf einem breiten Quellenstudium vor allem im Berliner Bundesarchiv, basiert, ist in vier große Kapitel unterteilt. Zunächst werden die Bildungs- und Berufsverläufe von 158 Frauen anschaulich vorgestellt, die an der TU Dresden bzw. der TH Ilmenau zwischen 1948 und 1980 promoviert wurden, und von 30 Frauen, die zwischen 1957 und 1988 zu Hochschullehrerinnen in den ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten berufen wurden. Kapitel zwei untersucht das Berufsbild der Ingenieure in Deutschland von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Auf diese Weise werden langfristige Traditionslinien sichtbar gemacht, um "die Dimensionen des staatssozialistischen Umbaus des technischen Bildungs- und Berufssystems herausarbeiten zu können" (26). Dazu untersucht Zachmann zum einen die Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses der Ingenieure und zum anderen die Geschichte des Frauenstudiums an den Technischen Hochschulen und die Selbstwahrnehmung der Frauen über die Zäsuren von 1918, 1933 und 1945 hinweg. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der akademischen Ingenieursausbildung von 1945 bis 1975 und benennt die Konfliktlinien zwischen den politischen Akteuren sowie die Folgen im "Koordinatensystem der Zweigeschlechtlichkeit". Das letzte Kapitel widmet sich schließlich den Folgen der SED-Verstaatlichungspolitik: Die selbstständigen Ingenieure wurden aus dem Wirtschaftsleben sukzessive verdrängt, was wiederum Auswirkungen für das Berufsbild und den sozialen Status des Ingenieurs hatte.
Zachmann kommt in ihrer profunden und differenzierten Studie zu dem Ergebnis, dass zwar die Frauenquote unter den Ingenieuren deutlich anstieg und durchaus mit den beiden Schüben im Bildungsbereich in den Fünfzigerjahren bzw. am Ende der Sechzigerjahre in Verbindung gebracht werden kann. Dies korrespondierte zum Teil mit einem allgemeinen Anstieg der Frauenquote im industriellen Sektor und hing mit den Erfordernissen der SED-Industrialisierungspolitik zusammen. Gleichzeitig gelang es aber nur begrenzt, die Männerdomäne aufzubrechen. Hier wirkten oftmals die übernommenen Hochschullehrer als retardierendes Moment, die den Frauen ein ingenieurwissenschaftliches Studium nicht zutrauen wollten. Letztlich kam es zu einer Feminisierung bestimmter technischer Fachrichtungen, wie z. B. der Verfahrenstechnik, der Verarbeitungstechnik, der Werkstoffwissenschaften und der Informationsverarbeitung. Hier konnten Frauen verstärkt beruflich einsteigen und Karriere machen. Eine "nachhaltige Verschiebung der Geschlechtergrenzen" (364) setzte in der Ingenieursausbildung zeitlich gesehen jedoch erst Ende 1965 ein und wird von Zachmann mit dem Anfang vom Ende der Wirtschaftsreformen und der Rezentralisierung der Wirtschaft in Zusammenhang gebracht. Insgesamt waren allerdings die planwirtschaftliche Wirtschaftsordnung und die von der SED-Führung maßgeblich beeinflusste Wirtschaftspolitik nicht in der Lage, "mit dem gewaltig erweiterten Innovationspotenzial auch die Innovationsfähigkeit des Systems zu verbessern". Stattdessen habe sich in der Ära Honecker durch die "grundlegenden Innovationsblockaden", die bereits Ende der Vierzigerjahre bestanden hätten, der Abstand zwischen der Leistungsfähigkeit des privatkapitalistischen sowie des planwirtschaftlichen Wirtschaftssystems immer weiter vergrößert (367).
Einschränkend sei vor allem auf zwei Schwachstellen hingewiesen: In der Untersuchung ist häufig und sehr unpräzise von der "politischen Elite" die Rede. Hier hätte man sich eine genauere Vorstellung der relevanten Akteure (SED-Führungsgremien, ZK-Abteilungen, Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung, Ministerium für Wissenschaft und Technik, Ministerium für Schwerindustrie und Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen etc.) gewünscht. Eine differenzierte Analyse der Akteursebene und der Veränderung des politischen Kräftefeldes wäre auch notwendig gewesen, um die von Zachmann in der Einleitung gestellte Frage, "wie die politische Elite der DDR ihren Anspruch auf das Wissen technischer Experten geltend" (12) gemacht habe, eingehend untersuchen zu können. Der zweite Einwand bezieht sich auf den im Titel der Arbeit angekündigten Einfluss des Kalten Krieges auf die Ingenieursausbildung sowie auf die Mobilisierung der Frauen für diese Berufsgruppe. Zachmann geht dieser Frage nicht systematisch nach; so werden zur zentralen Systemauseinandersetzung der Nachkriegszeit nur gelegentliche und ganz allgemeine Aussagen gemacht. Der Titel der Studie weckt also Erwartungen aufseiten des Lesers, die zu keinem Zeitpunkt erfüllt werden. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Zachmann eine quellengesättigte Studie zur Entwicklung der Ingenieursausbildung für Frauen und zum Wandel dieses Berufsbildes im Staatssozialismus vorgelegt hat, die zahlreiche Anregungen für weitergehende Studien zur Technik- und Geschlechtergeschichte in der DDR bietet.
Dierk Hoffmann