Elisabeth Elling-Ruhwinkel: Sichern und Strafen. Das Arbeitshaus Benninghausen (1871-1945) (= Forschungen zur Regionalgeschichte; Bd. 51), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005, IX + 436 S., ISBN 978-3-506-71344-5, EUR 46,00
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Die Erforschung der deutschen Arbeitshäuser des 19. und 20. Jahrhunderts, bis vor Kurzem ein unterbelichteter Fleck der Fürsorge- und Strafvollzugsgeschichte, scheint momentan eine kleine Konjunktur zu erleben. Nach Frank Zadach-Buchmeiers Buch über die Arbeits- und Besserungsanstalt Bevern [1] liegt nun mit der Dissertation von Elisabeth Elling-Ruhwinkel zum westfälischen Arbeitshaus Benninghausen eine weitere umfassende Fallstudie vor. Sie hat ihren Vorgänger noch im Literaturverzeichnis notiert, aber inhaltlich offenbar nicht mehr zur Kenntnis nehmen können. Das ist bedauerlich, zumal Zadach-Buchmeiers theoriegeleitete Herangehensweise ihr zusätzliche Anregungen hätte bieten können. Aufgrund des abweichenden Untersuchungszeitraums sowie der bis zur Reichsgründung erheblich differierenden Rechtslage in den deutschen Staaten wäre eine direkte Vergleichbarkeit der beiden Untersuchungsobjekte allerdings ohnehin nicht gegeben gewesen. Ein unmittelbarer Bezugspunkt, auf den die Autorin denn auch oft rekurriert, ist die Studie von Wolfgang Ayaß zur preußisch-hessischen Arbeitsanstalt Breitenau [2], die lange Zeit als der praktisch einzige substanzielle Beitrag auf diesem Forschungsfeld gelten konnte.
Elling-Ruhwinkel hat für ihre solide Arbeit eine breite Quellenbasis ausgewertet, vor allem die recht gut überlieferten Anstaltsakten und weitere einschlägige Bestände der westfälischen Provinzialverwaltung im Archiv des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Obwohl die Anstalt Benninghausen bereits 1821 eröffnet worden war und die Reichsgründung im Falle Preußens keine tief greifende Zäsur in der Handhabung der Arbeitshausunterbringung bedeutete, setzt die chronologisch strukturierte Studie erst mit den 1870er-Jahren ein. Auch das Kaiserreich wird relativ knapp abgehandelt. Elling-Ruhwinkels Interesse zielt zeitlich primär auf die Weimarer Republik und vor allem auf den Nationalsozialismus, dem sie allein 150 der knapp 400 Textseiten widmet. Thematisch legt sie das Schwergewicht auf den allmählichen funktionalen Wandel der Institution, die verschiedenen Insassenkategorien, für die sie genutzt wurde, und die Entwicklung des Anstaltsregiments.
Ursprünglich war Benninghausen nicht nur als Arbeits-, sondern auch als Landarmenhaus konzipiert worden, diente aber seit den 1890er-Jahren nur noch der zwangsweisen Unterbringung. Den Kern der Belegschaft stellten stets die so genannten Korrigenden: Menschen, die wegen Bettelei, Landstreicherei, illegaler Prostitution und einiger weiterer mit Arbeitsscheu in Verbindung gebrachter Übertretungen gerichtlich bestraft und anschließend zur 'Korrektion' ans Arbeitshaus überstellt worden waren. Die strafrechtlichen Arbeitshauseinweisungen erreichten in den 1880er-Jahren ihren Höhepunkt. Angesichts der seither stagnierenden, phasenweise stark rückläufigen Korrigendenzahlen bot sich die Institution seit der Jahrhundertwende für ergänzende Zwecke an. Abgesehen von zeitlich befristeten Nutzungen wie für militärische Internierungen während des Ersten Weltkriegs oder als gewöhnliches Strafgefängnis in den frühen 1920er-Jahren, diente sie nun zunehmend zur Asylierung von problematischen Fällen aus der kommunalen und provinziellen Fürsorgeklientel. So wurden in den 1920er-Jahren entmündigte Trinker vorrübergehend zur größten Insassenkategorie. Seit 1928 kamen auch Geschlechtskranke zur Zwangsheilung nach Benninghausen. Diese Verschiebung in der Belegungsstruktur sowie das liberalisierte gesellschaftliche Klima führten während der kurzen Stabilisierungsphase der Weimarer Republik zu gewissen Reformen des Anstaltsregiments, vor allem zu einer stärkeren Akzentuierung sozialpädagogischer und medizinischer Momente. Das änderte allerdings, wie die Autorin betont, grundlegend nichts am Zwangscharakter der Anstalt oder an der Stigmatisierung der Insassen, deren Charakterisierung als 'Asoziale' und 'Minderwertige' sich vielmehr in den 1920er-Jahren verfestigte.
Nach 1933 dienten Teile der Anstalt kurzzeitig als Schutzhaftlager für politische Gefangene, während die angestammte Klientel sogleich die Auswirkungen der radikalisierten, rassenhygienisch aufgeladenen nationalsozialistischen Asozialenpolitik zu spüren bekam. Am drastischsten äußerte sich diese in der Entfristung der Detentionsdauer für rückfällige Korrigenden mittels der "Maßregeln der Sicherung und Besserung" von Ende 1933, den zahlreichen Zwangssterilisationen seit 1934 und in der seit 1938 ständig drohenden Einweisung ins Konzentrationslager, welche die Arbeitshausinternierung nun zunehmend verdrängte. Elling-Ruhwinkel kann zeigen, dass die Benninghausener Insassen 1940 auch ins Visier der Euthanasie-Aktion T4 gerieten, obgleich dies für die meisten von ihnen ohne tödliche Konsequenzen geblieben zu sein scheint. In einem knappen letzten Kapitel bietet die Autorin einen Ausblick in die Nachkriegszeit, die von manchen irritierenden Kontinuitäten beim Umgang mit gesellschaftlichen Randgruppen gekennzeichnet war. Benninghausen wurde zwar in eine 'Landespflegeanstalt' umgewandelt, betrieb aber noch bis in die 1960er-Jahre eine Korrektionsabteilung.
Obwohl Elling-Ruhwinkel häufig auf die Studie von Ayaß zu Breitenau verweist und gelegentlich auch Seitenblicke auf andere Arbeitshäuser wirft, zieht sie keine expliziten vergleichenden Schlussfolgerungen, sodass es den Lesern selbst überlassen bleibt, das Typische oder Besondere von Benninghausen zu erkennen. Ausgeprägter als in Breitenau war offenbar die Tendenz zur partiellen Medikalisierung des Anstaltsbetriebs seit den 1920er-Jahren, mit all ihren ambivalenten Konsequenzen. Insgesamt jedoch fügt sich das von Elling-Ruhwinkel gezeichnete Bild problemlos ein in den schon von Ayaß skizzierten Rahmen der deutschen Arbeitshausgeschichte. Der Eindruck des über weite Strecken nicht völlig Neuen oder Überraschenden wird verstärkt durch die Einbettung ihres Fallbeispiels in übergreifende, gesamtstaatliche sozialpolitische Entwicklungen und Debatten, die sie mithilfe von durchweg zustimmend zitierter Sekundärliteratur darlegt, also ohne Kontroversen anzustoßen. Die gründliche Kontextualisierung ist an sich begrüßenswert und in vielen Kapiteln angemessen, gelegentlich aber auch etwas zu ausführlich geraten. So wäre es nicht unbedingt nötig gewesen, die aus mehreren neueren Publikationen bereits gut bekannten Hauptstationen der nationalsozialistischen Asozialenpolitik nochmals so ausgiebig zu referieren.
Stattdessen wäre es vielleicht ertragreicher gewesen, einen näheren Blick auf die praktische Umsetzung zentralstaatlicher Vorgaben in den Städten und Dörfern der Provinz zu werfen und die Arbeitsanstalt so fester in ihrem regionalen Einzugsgebiet zu verankern. An der Identifizierung, Disziplinierung oder auch Unterstützung potenzieller Arbeitshausklienten waren nicht nur die Anstalt und die sie beaufsichtigende Provinzialverwaltung beteiligt, sondern zunächst einmal Polizisten und Gerichte, die Bezirksregierungen, kommunale Wohlfahrtsämter, Fürsorgevereine, Familienangehörige und letztlich die gesamte Bevölkerung. Über dieses gesellschaftliche Umfeld jenseits der Anstaltsmauern, über die Erscheinungsformen der mit Arbeitshaus bedrohten Verhaltensweisen in der Region, die Entscheidungsprozesse der örtlichen Instanzen und die alltagsweltlichen Reaktionen der Einwohner auf soziale Außenseiter hätte man gerne mehr erfahren.
Als detaillierte Fallstudie zur Institution Arbeitshaus selbst hingegen lässt das Buch von Elling-Ruhwinkel wenig zu wünschen übrig. Es ist sorgfältig recherchiert, flüssig geschrieben, die Argumentation fast überall plausibel. Einige Fotografien aus dem Anstaltsbetrieb, Tabellen und Grafiken zur Insassenentwicklung sowie ein Personenregister runden die gelungene Darstellung ab.
Anmerkungen:
[1] Frank Zadach-Buchmeier: Integrieren und Ausschließen. Prozesse gesellschaftlicher Disziplinierung: Die Arbeits- und Besserungsanstalt Bevern im Herzogtum Braunschweig auf dem Weg zur Fürsorgeerziehungsanstalt (1834 bis 1870), Hannover 2003; rezensiert von Beate Althammer in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 12; URL: http://www.sehepunkte.de/2004/12/6144.html.
[2] Wolfgang Ayaß: Das Arbeitshaus Breitenau. Bettler, Landstreicher, Prostituierte, Zuhälter und Fürsorgeempfänger in der Korrektions- und Landarmenanstalt Breitenau (1874-1949), Kassel 1992.
Beate Althammer