Gustavo Corni: Il sogno del 'grande spazio'. Le politiche d'occupazione nell'Europa nazista, Bari / Roma: Editori Laterza 2005, 276 S., ISBN 978-88-420-7503-5, EUR 19,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Stefania Galassi: Pressepolitik im Faschismus. Das Verhältnis von Herrschaft und Presseordnung in Italien zwischen 1922 und 1940, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008
Aram Mattioli: Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935-1941. Mit einem Vorwort von Angelo Del Boca, Zürich: Orell Füssli Verlag 2005
Natacha Henry: Marthe Richard. L'aventurière des maisons closes, Paris: punctum éditions 2006
Zwischen Lebensraum-Utopie und Realpolitik, ideologisch-rassistischen Zielen und kriegsbedingten Notwendigkeiten entwickelte die nationalsozialistische Besatzungspolitik in jedem der seit 1939 eroberten Gebiete eigene Charakteristika. Nicht allein im Aufbau der jeweiligen Verwaltung, sondern auch in Art und Reichweite der wirtschaftlichen Ausbeutung oder im Umgang mit Kollaborateuren und Widerstandskämpfern gingen die deutschen Besatzer je nach lokaler Ausgangslage und Zielsetzung unterschiedlich vor. Ein Staat wie Dänemark wurde weit weniger aggressiv besetzt als etwa Polen oder die UdSSR, da Regierung und Bevölkerung nicht nur kollaborierten, sondern den Nationalsozialisten auch rassisch ins Konzept passten. Umgekehrt nahmen Kollaboration und Widerstand eine jeweils anders geartete Form an, abhängig vom Verhalten der Deutschen, aber auch von der Mentalität und der politischen Tradition der Einheimischen.
Die Literatur zu den einzelnen Besatzungsgebieten hat bereits nahezu unüberschaubare Ausmaße angenommen. Vergleichende Studien hingegen liegen kaum vor. [1] Gustavo Corni, Professor an der Universität von Trient, weiß um dieses Problem. Ziel seines Unterfangens war es daher nicht, dem Berg von Untersuchungen eine neue Spezialstudie hinzuzufügen, sondern vielmehr, das Vorhandene zu sichten und eine Synthese zu erarbeiten. Für die Lehre ist dieses Buch gedacht, das einen Überblick über die bisherigen Ergebnisse der Forschung bieten will. Auf Fußnoten wird bewusst verzichtet, eine thematisch gegliederte Bibliographie soll die Vertiefung von Einzelfragen ermöglichen. Karten und Dokumente begleiten die Darstellung.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Durchführung und der Vergleich der jeweiligen Besatzungspolitiken. Dass Corni den militärischen Verlauf der Eroberungen nur in groben Zügen skizziert, ist daher verständlich und sinnvoll. Allein über die deutschen Expansionspläne und das Lebensraumkonzept der Nationalsozialisten, die im ersten Kapitel nur knapp aus der Perspektive Hitlers umrissen werden, hätte man gerne mehr erfahren. Cornis Thema aber ist die Besatzung selbst. Erst ab dem zweiten Kapitel, in dem die unterschiedlichen Verwaltungsformen in den besetzten Gebieten dargestellt und verglichen werden, findet das Buch daher zu seinem Rhythmus. Teilweise wurden die Gebiete von Dienststellen der Wehrmacht verwaltet, teilweise von zivilen Behörden der Reichsregierung in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht, der NSDAP, der SS und der Polizei. Polykratische Strukturen, in denen verschiedene Machtzentren um die Vorherrschaft rangen, brachen sich Bahn; das Nebeneinander von militärischer und ziviler Verwaltung führte zu Konflikten. Im Vergleich der besetzten Gebiete gelingt es Corni, entscheidende Faktoren, durch welche die jeweilige Besatzungspolitik geprägt wurde, hervorzuheben. So erfuhren Länder wie die Niederlande, Belgien und Luxemburg, deren Eingliederung in das Deutsche Reich langfristig angestrebt wurde, zunächst eine mildere Behandlung als etwa die Ostgebiete. Erst als die Germanisierung der Bevölkerung offenkundig scheiterte, griff man auch hier zu härteren Maßnahmen. Neben rassisch-ideologische Gründe trat der unkalkulierbare Faktor Krieg: die Eroberungszüge auf dem Balkan waren ebenso wenig geplant wie das Vorgehen gegen die ehemaligen Alliierten Italien und Ungarn. Hier wie dort mussten die Deutschen improvisieren.
In allen besetzten Gebieten wurden Industrie, Arbeitskraft und Landwirtschaft für die Zwecke der deutschen Kriegswirtschaft und der Versorgung ausgenutzt (Kapitel III). Milder fiel diese Art von Ausbeutung wiederum in den westlichen Ländern aus, die angegliedert werden sollten und deren Wirtschaftsraum kompatibel erschien. Parallel wurden im Deutschen Reich widersprüchliche Strategien verfochten, die zwischen kurzfristiger und langfristiger Ausbeutung unterschieden. In der Frage der Rekrutierung von französischen Fremdarbeitern etwa setzte sich Rüstungsminister Albert Speer dafür ein, diese vor Ort arbeiten zu lassen, um die französische Produktion langfristig auf hohem Niveau zu halten. Der Generalbevollmächtigte für Arbeitseinsatz Fritz Sauckel hingegen bemühte sich, die Arbeitskräfte für den Einsatz in der deutschen Industrie abzuziehen.
Im Rahmen der Annexionspläne und der so genannten Neuordnung Europas trat die Frage der Umsiedlung und Wiedereinbürgerung von Volksdeutschen auf den Plan (Kapitel IV). Den Rückwanderern musste Raum zur Verfügung gestellt werden, so dass parallel die eingegliederten Ostgebiete einer ethnischen Säuberung unterzogen wurden; Juden wie Polen waren die Opfer, die von den Behörden des Reichsführers-SS in das Generalgouvernement abgeschoben wurden. Nach einer eindringlichen Darstellung der jüdischen Ghettos und des ethnischen "Screenings" der polnischen Bevölkerung umreißt Corni auch die jüngsten Untersuchungen zum Generalplan Ost, mit dem die SS eine ideale Gesellschaft in einer deutschen Kolonie zu konstruieren versuchte.
In nahezu allen besetzten Gebieten fanden sich politische Bewegungen oder Parteien, die mit den deutschen Besatzern zusammenarbeiten wollten (Kapitel V). Im Falle Belgiens, Hollands, Norwegens und Dänemarks wurden die Hoffnungen der sympathisierenden Gruppen aber enttäuscht, da die Nationalsozialisten ihren politischen Alliierten in keinem dieser Gebiete wirklich das Kommando überließen, sondern sie allenfalls mit überflüssigen Ämtern abspeisten. Am Beispiel Frankreichs verdeutlicht Corni die vielfältigen Erscheinungsformen der Kollaboration, die erzwungen oder freiwillig, privat oder staatlich sein konnte und sich in allen Sektoren, dem politischen, kulturellen, militärischen und wirtschaftlichen, niederschlug. Obwohl sich auch in Ost- und Südosteuropa Kollaborateure bzw. (wie in Kroatien) Kollaborationsregierungen fanden, begegneten die deutschen Besatzer diesen stets mit noch größeren Reserven als im Westen.
Parallel zur Kollaboration wuchs in den besetzten Gebieten der Widerstand (Kapitel VI). Corni vertritt die These, dass dieser in Ländern wie Griechenland oder Jugoslawien, die vor dem Krieg autoritär regiert wurden, härter ausfiel als in solchen mit demokratischer Vergangenheit. Denn hier wurde zugleich um die politische Zukunft des Landes gerungen; die Partisanenbewegungen auf dem Balkan wurden stärker von den Kommunisten dominiert als etwa diejenige in den Niederlanden oder in Dänemark. Entsprechend misstrauisch reagierten die Westmächte auf die Widerstandskämpfer, die sie teils unterstützten, teils bremsten - unschlüssig aufgrund des kommunistischen Kerns. Widerstand fand aber nicht nur militärisch statt, sondern wies viele Facetten auf, ging auf politische und unpolitische, aber auch auf wirtschaftliche und persönliche Motive zurück. Der Aufbau geheimer Schulen und Universitäten in Polen, Demonstrationen in Holland und Dänemark gehörten dazu ebenso wie spontane Hilfsbereitschaft gegenüber Juden oder Partisanen.
Liest sich die Studie auch mit Gewinn, so bleibt doch festzuhalten, dass sie analytisch hinter dem Potenzial des Themas zurückbleibt. Corni beschränkt sich in weiten Teilen auf eine Darstellung, die nebenbei Vergleiche zieht. Dies mag Absicht sein, da das Buch - wie in der Einleitung ausdrücklich betont - für die Lehre bestimmt ist. Man ahnt bei der Lektüre jedoch, dass der Autor die Grundlinien der nationalsozialistischen Besatzungspolitik deutlicher von landesspezifischen, rassisch-ideologischen, kriegsbedingten und kontingenten Merkmalen hätte trennen können. Weiterhin ist die Qualität des Kartenmaterials zu bemängeln: hier fehlen nicht nur Daten zu den eingezeichneten Grenzlinien, eine Karte Italiens sowie die deutsch-italienische Demarkationslinie in Kroatien; das vom Militärbefehlshaber Belgien beherrschte Territorium Frankreichs ist sogar in zwei sich widersprechenden Versionen eingezeichnet (Karte 1 und 2). Grundsätzlich aber ist Corni zu danken, sind doch viel zu wenige arrivierte Historiker bereit, ihre Kenntnisse in verknappter Form aufzubereiten, um dem Nachwuchs den Einstieg zu erleichtern.
Anmerkung:
[1] Zu nennen sei an dieser Stelle: Hans Umbreit, Auf dem Weg zur Kontinentalherrschaft, in: Bernhard Kroener/Rolf-Dieter Müller/Hans Umbreit, Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. V/1, Stuttgart 1988, 3-345; ders., Die deutsche Herrschaft in den besetzten Gebieten 1942-1945, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. V/2, Stuttgart 1999, 3-272; Lutz Klinkhammer, Grundlinien nationalsozialistischer Besatzungspolitik in Frankreich, Jugoslawien und Italien, in: Faschismus und Faschismen im Vergleich. Wolfgang Schieder zum 60. Geburtstag, hrsg. von Christof Dipper/Rainer Hudemann/Jens Petersen, Köln 1998, 183-213.
Malte König