Stefan Paul Werum: Gewerkschaftlicher Niedergang im sozialistischen Aufbau. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) 1945 bis 1953 (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung; Bd. 26), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, 861 S., 63 Tab., ISBN 978-3-525-36902-9, EUR 89,00
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Rainer Eppelmann / Bernd Faulenbach / Ulrich Mählert (Hgg.): Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2003
Siegfried Mielke / Peter Rütters (Hgg.): Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund 1945 - 1949/50. Gründung, Organisationsaufbau und Politik - Zonenebene. Bearbeitet von Peter Rütters unter Mitarbeit von Marion Goers, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2011
Die äußerst umfangreiche organisationsgeschichtliche Studie - hervorgegangen aus einer Dissertation an der Universität Hamburg von 2002 - versucht die Bedeutung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) in der SBZ/DDR Ende der Vierziger- und Anfang der Fünfzigerjahre herauszuarbeiten. In diesem Zeitraum wandelte sich der FDGB von einer Interessenvertretung zu einer Massenorganisation, die sich selber dem Herrschaftsanspruch der SED unterordnete. Während in den ersten Nachkriegsjahren die Wahrnehmung klassischer Gewerkschaftsaufgaben, wie etwa in den Bereichen Tarif- und Sozialpolitik, noch vorherrschend war, setzte sich in der Folgezeit der Funktionswandel immer stärker durch. Der FDGB mutierte innerhalb kürzester Zeit zu einem nahezu willenlosen Befehlsempfänger der ostdeutschen Hegemonialpartei. Wesentliche Ursachen für diese Entwicklung waren nicht nur die gewaltsame Neuordnung des politischen Systems, in dem schon bald die SED mit tatkräftiger Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht eine zentrale Position einnahm, sondern auch der Übergang zur Planwirtschaft. Wirtschaftspolitische Zielvorgaben des Halbjahrplanes, des Zweijahrplanes oder des ersten Fünfjahrplanes sollten daher von den Massenorganisationen übernommen werden. Der FDGB als wichtigste Massenorganisation erhielt die Aufgabe, die Steigerung der Produktion sowie der Arbeitsproduktivität innerhalb der Arbeiterschaft durchzusetzen. Darüber hinaus sollten die Gewerkschaftsmitglieder enger an die neue staatliche Ordnung gebunden werden. Parallel zu dieser Aufgabenzuweisung erhielten die Gewerkschaftsvertreter in den Betrieben eine wachsende Bedeutung, sollten sie doch dafür Sorge tragen, dass die materiellen und sozialen Bedürfnisse der Beschäftigten vor Ort weitgehend befriedigt wurden. Der FDGB besaß insofern eine Doppelfunktion: Sicherung der SED-Herrschaft und Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen.
Werum macht diese Entwicklung, den der FDGB zwischen 1947 und 1952 durchlief, an mehreren ausgewählten Schwerpunktthemen deutlich. Er untersucht eingangs sehr knapp die Gründungsphase des FDGB zwischen 1945 und 1947, die Herausbildung und Funktionsweise der Betriebsrätebewegung, die anfangs konkurrierend zu den Gewerkschaften auftrat, sowie das Verhältnis zwischen SED, FDGB und Gewerkschaftsmitgliedern. Der 2. Parteitag der SED im September 1947 sowie der SMAD-Befehl Nr. 234 vom Oktober 1947 stellten eine Zäsur in der Entwicklung des FDGB dar, leiteten sie doch die Transformationsphase ein. Der Gewerkschaftsbund erhielt nunmehr wirtschaftspolitische Aufgaben. Im Hauptteil seiner Studie zeichnet Werum diesen Prozess nach und stellt zunächst die programmatische Entwicklung des Gewerkschaftsbundes vor. In diesem Zusammenhang werden vor allem Aussagen zur Wirtschafts-, Lohn- und Sozialpolitik sowie zur Schulungs- und Kulturpolitik der FDGB-Führung gemacht. Im Anschluss daran versucht Werum, die Stellung des FDGB im staatlichen Institutionengefüge der DDR zu skizzieren. Dazu zählte etwa die Tätigkeit der Gewerkschaftsvertreter in der Volkskammer und den Länderparlamenten. Sehr ausführlich geht der Verfasser auf den organisatorischen Umbau des FDGB und dessen sich wandelndes Verhältnis zu den Einzelgewerkschaften ein, die allerdings nicht im Zentrum der Untersuchung stehen. Im Anschluss daran beschreibt Werum etwas zu ausführlich das Beziehungsgeflecht zwischen Betriebsräten, Betriebsgewerkschaftsorganisation und Belegschaften. Ende 1948 gelang es SED und FDGB, die Betriebsrätebewegung endgültig zu beseitigen und die Betriebsgewerkschaftsleitungen zu etablieren. Die Studie schließt ab mit einer Analyse der Gewerkschaftswahlen 1950 und einer Darstellung der neu gewonnenen Gewerkschaftsaufgaben in den Betrieben.
Die Untersuchung basiert auf der systematischen Auswertung zahlreicher zentraler Aktenbestände. So hat der Verfasser nahezu alle relevanten Bestände (mit Ausnahme der weniger bedeutsamen Nachlässe der FDGB-Funktionäre) des ehemaligen FDGB-Archivs konsultiert. Ein weiteres Standbein der Quellenrecherche stellen die Archivalien des SED-Bestandes dar. Das gilt für die Leitungsebene der SED sowie die für das Thema einschlägigen ZK-Abteilungen und Büros. Bei den Nachlässen hat Werum seltsamerweise nur den von Paul Merker ausgewertet. Hier wären sicherlich auch weitere Nachlässe, z. B. von Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht interessant gewesen. Außerdem hat der Verfasser die für sein Thema einschlägigen Aktenbestände im Brandenburgischen Landeshauptarchiv sowie im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden eingesehen. Auch die veröffentlichten Quellen und die Forschungsliteratur wurden nahezu vollständig herangezogen. Die Darstellung ist sehr deskriptiv angelegt, was letztlich wohl auch zu deren Länge beigetragen hat. Werum schließt in der Einleitung eine "umfassende theoretische Verortung des FDGB im Gesellschaftsgefüge der SBZ/DDR" (25) explizit aus. Diese könnte - so seine Begründung - "nur von vorschneller und kaum verallgemeinerungswürdiger Natur sein". Vor dem Hintergrund der seit geraumer Zeit laufenden Diskussion über den Stellenwert der DDR in der deutschen Geschichte sowie der immer noch aktuellen Methodendebatte gibt sich Werum mit dieser Aussage eine gewisse Blöße. Insgesamt gesehen ist die Studie, die wie andere jüngst erschienene Untersuchungen (etwa von Detlev Brunner oder Helke Stadtland) mit dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 endet, zu umfangreich ausgefallen: Dabei hätten vor allem die Kapitel zur Entwicklung der Betriebsrätebewegung sowie zu den Gewerkschaftswahlen von 1950 gestrafft werden können, ohne an inhaltlicher Aussagekraft zu verlieren. Auch die Zusammenfassungen im Anschluss an die acht großen Kapitel der Arbeit sind entbehrlich, da die Schlussbetrachtung am Ende des Bandes die wesentlichen Ergebnisse nochmals vorstellt. Dennoch schließt die vorgestellte Untersuchung eine wichtige Forschungslücke zur Frühgeschichte des FDGB und bietet zahlreiche neue Informationen zur programmatischen und organisatorischen Entwicklung des Gewerkschaftsbundes.
Dierk Hoffmann