Elena Taddei: Zwischen Katholizismus und Calvinismus. Herzogin Renata d'Este. Eine Eklektikerin der Reformationszeit (= Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit; Bd. 36), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2004, 417 S., ISBN 978-3-8300-1246-7, EUR 110,00
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Renée de France (*1510, +1575), Tochter des französischen Königs Louis XII., seit 1528 verheiratet mit Ercole d'Este von Ferrara, war eine umstrittene Frau, die durch ihre religiöse Haltung Irritationen auslöste, Aufsehen und Kritik erregte. Offensichtlich sympathisierte sie mit dem Calvinismus, gleichzeitig pflegte sie gute Kontakte nach Rom; den einen galt sie als Ketzerin, die anderen hoben ihre Frömmigkeit hervor. Die verschiedenen Sichtweisen finden sich bereits bei den Zeitgenossen und ebenso in der späteren Bewertung durch die Historiografie.
Taddei rollt in ihrer Studie, die 2003 als Dissertation an der Universität Innsbruck angenommen wurde, die Frage nach dem religiösen Standpunkt Renatas d'Este, wie sie sich in Italien nannte, erneut auf und versucht vor dem Hintergrund der konfessionellen Auseinandersetzungen im Italien des frühen 16. Jahrhunderts eine schlüssige Antwort zu finden. Taddeis Untersuchung, zugleich die erste neuere Biografie Renatas, bietet eine detaillierte Auswertung des vorhandenen Quellenmaterials, verliert sich allerdings manchmal in vielen wörtlichen Zitaten. Konzeptionell nicht recht überzeugend ist, dass der Hauptteil der Arbeit erst mit dem 5. Kapitel (141-319) einsetzt, einer Darstellung des Werdegangs Renatas in Ferrara in den Jahren 1528 bis 1560, jener Lebensphase, in der ihre religiösen Vorstellungen am konfliktträchtigsten zum Ausdruck kamen. Vorangestellt sind ein einleitendes Kapitel, in dem die bisherige Geschichtsschreibung zu Renata referiert wird, sowie drei Kapitel, die den historisch-theologischen Hintergrund in Italien und insbesondere in Ferrara sowie in Frankreich, wo Renata aufwuchs und ihre religiöse Einstellung grundgelegt wurde, erläutern. Die Studie schließt mit einem kurzen Ausblick auf Renatas letzte Lebensjahre in Frankreich (1560-1575) sowie einem Kapitel, das die religiöse Haltung Renatas vor dem Hintergrund des Toleranzdiskurses im 16. Jahrhundert abschließend betrachtet. "Ein Nachruf" verweist auf die Aktualität bzw. Wiederentdeckung Renatas in Frankreich anlässlich ihres 400. Todestages.
Das Standardwerk zu Renata d'Este, auf das sich Taddei durchgängig, sei es zustimmend oder abgrenzend, bezieht, ist eine dreibändige Biografie von Bartolommeo Fontana aus dem späten 19. Jahrhundert. [1] Fontana sah in Renata d'Este eine romtreue Katholikin, deren Gutmütigkeit lediglich von den "Häretikern" ausgenutzt worden sei. Andere Historiker kamen zu einer gegenteiligen Einschätzung: Die Herzogin von Ferrara sei mehr oder weniger offen Calvinistin gewesen und habe der Ausbreitung der Reformation wesentlich Vorschub geleistet. In diesem Sinn reihte auch Ronald Bainton sie unter die "Women of the Reformation in Germany and Italy" [2] ein. Bahnbrechend für eine neue Perspektive wurde erst die Analyse von Charmarie Jenkins Blaisdell [3], die auf die politischen Hintergründe in Ferrara einging und deutlich machte, dass der Versuch, Renata d'Este der einen oder anderen Konfession eindeutig zuzuordnen, von falschen Voraussetzungen ausgeht und zwangsläufig fehlschlagen muss.
Taddei führt in ihrer Untersuchung Blaisdells Ansatz weiter fort. Stärker als diese stellt sie allerdings die religiösen Gegebenheiten in den Vordergrund. Von daher rechtfertigt sich der etwas zu ausführlich geratene Blick auf die religiöse Situation in Italien und Frankreich zu Beginn des 16. Jahrhunderts (29-139). Angelehnt an die Darstellung von Welti [4] beschreibt Taddei die reformatorischen, vor allem calvinistischen Bewegungen in Italien und bettet sie ein in die aus der spätmittelalterlichen Laienfrömmigkeit erwachsene und weit bis ins 16. Jahrhundert wirksame Bewegung des "Evangelismo" (46), deren Anhänger sich auf das "Evangelium" des Neuen Testaments beriefen und das Ziel verfolgten, dem Vorbild Jesu und seiner ersten Anhänger unmittelbar nachzueifern. Dem "Evangelismo" neigten nicht nur die Reformatoren zu, sondern auch renommierte Katholiken, die damit innerkirchliche Reformen begründen und durchsetzen wollten. Ihm vergleichbar waren die Reformbewegungen in Frankreich. Die vorreformatorische Kirche in Frankreich war eine "Nationalkirche", die zum römischen Katholizismus immer in einer gewissen Spannung stand und theologisch einem christlichen Humanismus verpflichtet war. Zu ihren Protagonisten gehörte Margarete von Navarra, eine Tante Renatas d'Este, die maßgeblichen Einfluss auf deren Erziehung nahm. Für Renata bedeutete dies: "Als sie nach Ferrara kam, das [...] von den Ideen des Evangelismo einerseits und der Glaubensauffassung Luthers andererseits schon durchdrungen war, brachte sie bereits eine starke Sensibilität für den Wunsch nach einer Erneuerung der Kirche im Sinne des christlichen Humanismus mit" (138f.).
Der Blick auf die Biografie zeigt indessen, dass die Konflikte, die in Ferrara aufbrachen, keineswegs nur in religiösen Themen begründet waren. Renata wurde am Hof von Ferrara trotz eines großen französischen Hofstaates nie heimisch; sie war nicht bereit, sich auf das Leben in Italien einzulassen und hatte von Anfang an ein kein gutes Verhältnis zu ihrem Gatten Ercole d'Este, der 1534 als Nachfolger seines Vaters Herzog von Ferrara wurde. Am Hof fiel zunächst ihre ausgeprägte Frömmigkeit auf, später dann ihre Sympathie für die reformatorische Bewegung, die seit 1535 im Herzogtum wachsenden Zulauf hatte. 1536 hielt sich Calvin in Ferrara auf, der Renata d'Este zwar nicht für einen Übertritt zur neuen Lehre gewinnen konnte, dessen Auftreten in Ferrara allerdings eine solche Resonanz hatte, dass der Herzog anschließend den Franzosen aus der Entourage seiner Frau den Prozess wegen Ketzerei machen ließ. Renata, die auch in den folgenden Jahren Reformatoren am Hof Schutz gewährte, geriet ebenfalls in Häresieverdacht, der 1554 auf Betreiben ihres Mannes in einen Inquisitionsprozess mündete. Sie wurde für häretisch erklärt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Vor der Vollstreckung des Urteils kam es jedoch aus unklaren Gründen zu einer Wende, und es ging das Gerücht, Renata habe sich wieder zum Katholizismus bekehrt. Tatsächlich finden sich dafür keine Belege, möglich ist jedoch, dass sie ihre immer noch existenten Beziehungen nach Rom zu ihren Gunsten ins Spiel bringen konnte. Nach dem Tod Ercoles d'Este (1559) kehrte Renata 1560 nach Frankreich zurück und ließ sich in der Herrschaft Montargis nieder. Auch hier hielt sie Kontakt zu Reformatoren, besonders zu Calvin, unterstützte hugenottische Flüchtlinge, ohne sich jedoch zu Calvins Ärger und Bedauern eindeutig zum Calvinismus zu bekennen.
Eine Antwort auf die Frage, welcher Konfession Renata letztlich zuzuordnen ist, erschließt sich aus ihrem Testament, in dem sie noch einmal im Sinne des italienischen Evangelismo auf die Bibel und das Vorbild der Urkirche als maßgeblicher Norm rekurriert. Dieses Selbstzeugnis Renatas stellt Taddei in ihrer Schlussbetrachtung in den weiteren Kontext des Renaissancehumanismus: Die Offenheit für andere Weltanschauungen und die daraus abgeleitete Toleranz, die anti- oder nicht-klerikale Gesinnung und die humanistische Anthropozentrik mit der Betonung von Willensfreiheit und Menschenwürde beförderten unter den humanistisch gebildeten Laien die Tendenz, sich jeglicher religiösen Vereinnahmung zu verweigern oder wenigstens zu entziehen. Für Renata d'Este kommt Taddei zu dem vor diesem Hintergrund nicht überraschenden Schluss, sie sei "keine Ketzerin" gewesen, "sondern nur eine von vielen, die auch in den neuen Glaubensrichtungen nicht die richtige Lösung gefunden und deshalb individuell einen Weg zwischen alter und neuer Lehre [...] gesucht" (366) hätten - eine "Eklektikerin der Reformationszeit" eben.
Über den Einzelfall hinaus verweist Taddeis Studie auf die Spannungen zwischen individueller Religiosität und konfessionsspezifischen Zuordnungen, die für die Frühe Neuzeit durchaus bekannt sind, aber im Gesamtbild der Epoche bislang nur wenig zur Geltung gebracht werden. Zu den Desideraten der Frühneuzeitforschung gehört es noch immer, die humanistische, die Konfessionen übergreifende Laienspiritualität, die für Renata d'Este und viele ihrer Zeitgenossen charakteristisch ist, deutlicher wahrzunehmen, sie in ihrer Relevanz für die frühneuzeitliche Religiosität angemessen zu gewichten und angesichts des offenkundigen Eklektizismus vieler Christen das Konfessionalisierungsparadigma neu zu akzentuieren.
Anmerkungen:
[1] Bartolommeo Fontana: Renata di Francia, duchessa di Ferrara. Sui Documenti dell'Archivio Estense, del Mediceo, del Gonzaga e dell'Archivio Secreto Vaticano, 3 Bde., Roma 1889-1899.
[2] Ronald Bainton: Women of the Reformation in Germany and Italy, Boston 1974.
[3] Charmarie Jenkins Blaisdell: Ren233ée de France between Reform and Counter-Reform, in: ARG 63 (1972), 196-226; dies.: Politics and Heresy in Ferrara, 1534-1559, in: Sixteenth Century Journal 6 (1975), 68-93.
[4] Manfred E. Welti: Kleine Geschichte der italienischen Reformation (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 193), Gütersloh 1985.
Anne Conrad