Walter Demel: Der europäische Adel. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart (= C.H. Beck Wissen; 2379), München: C.H.Beck 2005, 128 S., ISBN 978-3-406-50879-0, EUR 7,90
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Die überaus nützliche Reihe des Beck Verlages, die in kurzen, lexikonartikelähnlichen Abrissen wesentliche Wissensgebiete präsentiert, stellt ihren Autoren gelegentlich schwierige Aufgaben. Auf lediglich gut 100 Seiten müssen sie ein zuweilen gewaltiges Gebiet knapp und verständlich darstellen. Der europäische Adel gehört sicherlich zu den Themen, die in einem solch engen Rahmen besonders schwer vorzustellen sind. Die historische Adelsforschung des Mittelalters, der Frühen Neuzeit und der jüngeren Geschichte sind in vieler Hinsicht recht eigenständig und nehmen nicht immer allzu viel Notiz voneinander. Eine Synthese ist daher nicht einfach.
Dazu kommt aber noch der Umstand, dass schon die Frage, ob man überhaupt von einem europäischen Adel zu sprechen vermag, für die Neuzeit mindestens unterhalb der Ebene des Hochadels, der vielfältig europäisch verflochten war, nicht mit letzter Eindeutigkeit bejaht werden kann; allzu groß sind die Unterschiede z. B. zwischen einem Angehörigen des polnischen Kleinadels, einem englischen Squire und einem sizilianischen Baron; nicht nur Lebensstil und soziale Lage weichen von einander ab, sondern auch die grundsätzlichen Vorstellungen von dem, was eigentlich einen Adligen ausmacht.
Dennoch vermag Demel dieses Problem mit leichter Hand weitgehend zu lösen. Dabei kommt ihm sicherlich auch seine Vertrautheit mit außereuropäischen Gesellschaften wie der chinesischen und japanischen zu Gute, denn in dieser Perspektive vermag man zu erkennen, dass die durch ein eigenes Standesbewusstsein, eine durch Erinnerung konstituierte kollektive soziale Identität, hinter der das Individuum zurücktritt, und rechtliche Privilegien sowie den erblichen Anspruch auf Herrschaft ausgezeichnete Elite, die in Europa als Adel bezeichnet wird, allenfalls in den japanischen Samurai und Daimyos eine welthistorische Parallele besitzt.
Die Darstellung lässt natürlich auch erkennen, wo Demels eigene Forschungsschwerpunkte liegen, nämlich in der Geschichte der frühen Neuzeit und der des frühen 19. Jahrhunderts. Im Vergleich dazu sind das Mittelalter und die jüngere Vergangenheit sicherlich etwas schematischer dargestellt, auch wenn gerade der Hinweis auf die Tendenzen vieler Adelsgruppierungen, sich - vom eigenen Untergang bedroht - im frühen 20. Jahrhundert rechtsgerichteten Bewegungen anzuschließen, ob nun monarchistisch und klerikal-autoritär wie in Spanien und Österreich oder eher offen faschistisch wie in Deutschland, mit einigen anschaulichen Beispielen untermauert wird.
Vielleicht hätte man sich für das 19. und frühe 20. Jahrhundert eine etwas intensivere Auseinandersetzung mit den anregenden und meist recht unterhaltsamen Studien David Cannadines zur britischen Aristokratie gewünscht, auch wenn dessen Arbeiten gelegentlich ein wenig vom Voyeurismus des bürgerlichen Adelskritikers geprägt sind, der von seinem Gegenstand, mag er sich auch über ihn lustig machen, zugleich zutiefst fasziniert ist. Von solchen eher problematischen Ambivalenzen ist Demels Buch aber frei.
Insgesamt ist dem Autor somit eine Darstellung geglückt, die dem Leser einerseits eine Fülle von "harten" Sachinformationen etwa über den Anteil von Adligen an der Gesamtbevölkerung in den einzelnen Ländern oder über deren Vermögensverhältnisse bietet und diese andererseits durch anschauliche Illustrationen adliger Lebenswirklichkeit ergänzt. Das gilt für den Hinweis auf die Verschwendungslust des französischen Prinzen von Soubise um 1750 ebenso wie für die Schilderung des Hoflebens in Versailles. Aber der Leser wird auch an die soziologische Theorie - soweit sie einen Beitrag zum Verständnis des Phänomens Adels leisten kann - herangeführt, wie an den knappen Ausführungen Demels über den Kapitalbegriff bei Bourdieu deutlich wird.
Man kann dieses Buch jedem, der auf knappem Raum Grundinformationen über die Geschichte des europäischen Adels sucht, empfehlen,
Ronald G. Asch