Daniel Büchel / Volker Reinhardt (Hgg.): Modell Rom? Der Kirchenstaat und Italien in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, 320 S., ISBN 978-3-412-19402-4, EUR 29,90
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Papsttum und Kurie haben Konjunktur. Das gilt nicht nur für die Berichterstattung in den Massenmedien anlässlich des diesjährigen Pontifikatswechsels, sondern auch für die historische Forschung. Die Forschungen zum Papsttum der Frühen Neuzeit sind im deutschen Sprachraum schon seit vielen Jahren vornehmlich verknüpft mit den Namen Wolfgang Reinhard und Volker Reinhardt, die nicht nur selbst große Teile ihres wissenschaftlichen Œuvres dem Themenkomplex Papsttum gewidmet, sondern über ihre Schüler sozusagen als Multiplikatoren der Papstforschung gewirkt haben. Charakteristisch für den Ansatz Volker Reinhardts ist seine interdisziplinäre Offenheit insbesondere zur Kunstgeschichte hin, die kürzlich ihren Niederschlag in einem Gemeinschaftswerk mit dem Berliner Kunsthistoriker Arne Karsten [1] sowie in einem gemeinsam mit Horst Bredekamp (ebenfalls Berlin) herausgegebenen Sammelband [2] gefunden hat.
Auch der anzuzeigende Sammelband von Daniel Büchel und Volker Reinhardt, der eine Tagung vom September 2001 im Istituto Svizzero zu Rom dokumentiert, folgt diesem interdisziplinären Ansatz. Abgesehen von wenigen "Ausreißern" weist das Sammelwerk eine große thematische Geschlossenheit auf. Diese Geschlossenheit ist so groß, dass sich über die Zuordnung der Aufsätze zu den vier Sektionen teilweise streiten ließe. Gelegentlich wäre dem Rezensenten eine andere Anordnung der Beiträge sinnvoller erschienen. So sind die sich beide mit der Kulturpatronage als Mittel des sozialen Aufstiegs befassenden Aufsätze von Arne Karsten (über die Familie Spada) und Samuel Vitali (über Lorenzo Malagni und seinen Bologneser Palazzo) in unterschiedlichen Kapiteln untergebracht: Die Ausführungen von Karsten stehen unter der Überschrift "Rom - Ziel aller Wege? Familienpräsenz und Familienstatus zwischen Prestige, Privilegien und Patriotismus", und der Beitrag Vitalis findet sich in der Sektion "Im Netzwerk staatlicher Beziehungen: Rom, seine Provinzen und die italienische Staatenwelt zwischen Staatsräson, Konfession und Eigenleben". Eindeutig den römisch-italienischen Horizont und damit auch das eigentliche Rahmenthema verlässt der ebenfalls hier eingeordnete Beitrag von Mariano Delgado zu päpstlich-spanischen Patronatskonflikten über Westindien. Trefflich in das Generalthema wie auch dieses Kapitel fügen sich dagegen die Ausführungen Tobias Mörschels über die päpstlich-savoyischen Beziehungen zwischen 1559 und 1630 ein. Nicht in dieser Rubrik, sondern in derselben wie der Beitrag Karstens untergebracht sind die Ausführungen über das Schicksal der Barberini nach 1644 und die daraus resultierenden Verwicklungen zwischen der Kurie und Kardinal Mazarin: Das französische Exil bot der Familie des verstorbenen Papstes Urban VIII. zwar vorübergehend Schutz, bildete jedoch keine dauernde Alternative zu Rom. Außerdem findet sich hier der (als einziger nicht ins Deutsche übertragene) Beitrag von Irene Fosi über die Präsenz der Florentiner in Rom im 16. und 17. Jahrhundert.
Das Thema der Kulturpatronage wird erneut aufgenommen in der dritten Sektion: "Haupt und Mutter aller Höfe? Höfische Gesellschaft, Kulturpatronage und Propaganda in Rom und Italien". Darin untersucht zunächst Philipp Zitzlsperger den Einsatz von Papst- und Kardinalsporträts in der Diplomatie. Seine Ausführungen, die sich auf Porträtbüsten und päpstliche Ehrenstatuen konzentrieren, zeigen nachdrücklich die Vorteile interdisziplinären Arbeitens, auch wenn seine Ergebnisse zu den Ehrenstatuen zusammenfassende Gleichung "Je mehr Ehrenstatuen eines Papstes im Kirchenstaat zu zählen sind, desto größer war seine monarchische Macht" (150) dem Rezensenten arg zugespitzt erscheint - wäre es nicht besser, von einem Indikator zu sprechen? Ins 15. Jahrhundert führt der Beitrag von Tobias Leuker über vier Autoren, die in Florenz bzw. Rom durch die Protektion einflussreicher Förderer den sozialen Aufstieg anstrebten. Petra Thomas versucht eine Deutung der römischen Antikenkataloge des 17. Jahrhunderts als "Argument einer an ihre [der römischen Macht; M.S.] Tradition anknüpfenden Selbstdarstellung" (197). Im 18. Jahrhundert hätten die "musealen Publikationen [...] ihr Wissen [...] ganz in den Dienst päpstlicher Außenpolitik" gestellt (201). Daniel Büchel unternimmt eine Anwendung der Elias'schen Thesen auf die Höfe von Rom und Neapel. Insbesondere seine Reflexionen über letzteren, den er aufgrund der schwachen Position des Vizekönigs als "kopflos" charakterisiert (217), verdienen Beachtung, denn die systematische Untersuchung des Falls Neapel stellt ein wichtiges Desiderat der Hofforschung dar.
Unter der Überschrift "Roma aeterna - Dorn im Fleisch oder gemeinsames Vaterland" verbergen sich in der vierten und letzten Sektion zwei Beiträge, die, in durchaus unterschiedlichem Zugriff, jedoch mit ähnlichen Ergebnissen, das zentrale Phänomen des päpstlichen Nepotismus untersuchen. Birgit Emich betrachtet den Heimfall des Herzogtums Ferrara an den Kirchenstaat unter dem Blickwinkel einer "Verstaatlichung des Nepotismus". Entgegen den Erwartungen mancher Zeitgenossen sei Ferrara eben nicht an einen Nepoten des 1598 regierenden Aldobrandini-Papstes Clemens VIII. weitergegeben, sondern zugunsten des Kirchenstaats eingezogen worden. Insofern markiere der Fall Ferrara den Übergang zu einer "verstaatlichte[n] Variante der päpstlichen Familienpolitik" (239). Auch Marzio Bernasconi, der die Wahrnehmung des Nepotismus in den Diskussionen an der Kurie im 17. Jahrhundert untersucht, betont die Unterschiede zwischen dem "barocken Nepotismus" des 17. Jahrhunderts und dem "Renaissance-Nepotismus" (247) und identifiziert ersteren geradezu als "fast eine gesellschaftliche res nova" - mit der entsprechenden "gesellschaftliche[n] Fragwürdigkeit" (248).
Auch wenn sich, wie gesagt, über die Benennung der Sektionen bzw. die Zuordnung der einzelnen Beiträge oder auch über die Ergebnisse des einen oder anderen Aufsatzes streiten ließe, dokumentiert das Sammelwerk insgesamt das hohe Niveau der internationalen und interdisziplinären Forschung zum frühneuzeitlichen Papsttum. Nicht zuletzt im Hinblick auf künftige Forschungen besonders positiv hervorzuheben ist, dass der Band nicht nur über eine Einführung in die Thematik (Volker Reinhardt, 11-18), sondern auch über eine ausführliche und klar strukturierte Zusammenfassung der Diskussionserträge (Volker Reinhardt / Daniel Büchel, 255-284) verfügt. Diese Klammer um die Beiträge wird noch einmal verstärkt durch die Gedanken von Daniel Büchel und Arne Karsten über das "(Forschungs-)Modell Rom" (285-295). Engagiert plädieren sie dafür, dass die "kulturell-politische Kontinuität [...] neben dem besonders deutlichen Hervortreten unveränderter, letztlich zeitloser sozialer Strukturen [...] dem Forschungsmodell seine ungebrochene Relevanz verleihe (295).
Der Band ist reich bebildert, doch lässt die Qualität der Schwarz-Weiß-Abbildungen vielfach zu wünschen übrig: Manche erscheinen verschwommen, andere zu dunkel. Abgerundet wird das Buch durch ein Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis sowie - dies erscheint bei der thematischen Geschlossenheit der Beiträge sehr sinnvoll - ein gemeinsames Literaturverzeichnis. Ein Register fehlt dagegen leider.
Anmerkungen:
[1] Arne Karsten / Volker Reinhardt: Kardinäle, Künstler, Kurtisanen. Wahre Geschichten aus dem päpstlichen Rom, Darmstadt 2004. Siehe auch die Rezension von Tobias Mörschel in sehepunkte 5 (2005), Nr. 5 [15.05.2005], URL:http://www.sehepunkte.de/2005/05/7167.html.
[2] Horst Bredekamp / Volker Reinhardt / Philipp Zitzlsperger u.a. (Hg.): Totenkult und Wille zur Macht. Die unruhigen Ruhestätten der Päpste in St. Peter, Darmstadt 2004. Siehe die Rezension von Sylvie Tritz in in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 1 [15.01.2005], URL:http://www.sehepunkte.de/2005/01/7402.html.
Matthias Schnettger