Thomas Zotz (Hg.): Fürstenhöfe und ihre Außenwelt. Aspekte gesellschaftlicher und kultureller Identität im deutschen Spätmittelalter (= Identitäten und Alteritäten; Bd. 16), Würzburg: Ergon 2004, XIX + 361 S., ISBN 978-3-89913-326-4, EUR 38,00
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Die Forschung blickt schon seit Längerem mit Recht und beachtlichem Ertrag auf die europäischen Fürstenhöfe des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, kommt diesen doch als Zentren politischer Macht, Impulsgeber und Spiegel ökonomischer, gesellschaftlicher sowie kultureller Prozesse eine Schlüsselfunktion für das Verständnis vor- und frühmoderner Geschichte zu. Struktur und Organisation, Funktionen und Kultur, Alltag und Geschlechterbeziehungen haben bereits die besondere Aufmerksamkeit der modernen Hofforschung gefunden. Und trotz manch Vertrautem offenbart der Gegenstand dem modernen Betrachter nicht selten Eigentümliches, Fernes und Fremdes, ja zuweilen gar Befremdliches. Aber freilich nicht erst der heutige Betrachter sammelt solche Erfahrungen und Eindrücke, auch den Zeitgenossen erging es nicht anders.
Die Beiträge des hier angezeigten Buches erheben nun solche Vertraut- und Fremdheitserfahrungen, Eigen- und Außenwahrnehmungen, Innen- und Außenwelt fürstlicher Höfe des Spätmittelalters selbst zum Untersuchungsgegenstand. Der Band geht auf eine gleichnamige Tagung des Freiburger Sonderforschungsbereiches 541 der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Identitäten und Alteritäten" vom 25.-27. November 1999 zurück. Geboten werden neben einer präzisen Einleitung des Herausgebers elf ausgearbeitete Beiträge der Tagungsreferenten und ein nachträglich aufgenommener Aufsatz. Ein Personen- und Ortsnamenregister erleichtert die Arbeit mit dem Buch.
Den Reigen der Beiträge eröffnet der Herausgeber selbst, indem er Dynastiewechsel des 12. und 13. Jahrhunderts untersucht, die sich für die Mitglieder des alten Hofes nicht selten als Krise darstellten, aber damit zugleich auch Anlass zur Selbstvergewisserung, Selbstbehauptung und Ausbildung von Gruppenidentität gaben. Als schriftliche Zeugnisse solcher Prozesse deutet Zotz sowohl die "Historia Welforum" als auch das Verzeichnis der "Ministeria curie Hanoniensis". Auch in weiteren Beiträgen des Bandes spielen Krisensituationen eine entscheidende Rolle. So geht der Aufsatz von Reinhardt Butz dem Verhältnis des Petersklosters auf dem Lauterberg zu den Wettinern nach, die ihren Herrschaftsschwerpunkt im 13. Jahrhundert aus dem Mittelelbe-Saale-Raum in das südöstlich gelegene Gebiet der Mark Meißen verlegten. Butz findet dabei in der chronikalischen und genealogischen Überlieferung Anhaltspunkte für Spannungen und Entfremdungsprozesse zwischen dem mitteldeutschen Adelsgeschlecht und ihrem Hauskloster, das durch die Herrschaftsverlagerung der Stifterfamilie zusehends in eine Krise geriet. Dieter Mertens beleuchtet die württembergischen Höfe in den Krisen des 15. und 16. Jahrhunderts, die Folge innerdynastischer und innerterritorialer Probleme waren.
Zwei weitere Beiträge des Buches widmen sich ebenfalls Höfen weltlicher Fürsten. Heinz Krieg skizziert die Positionierung der Markgrafen von Baden und ihres Hofes im Beziehungsgeflecht konkurrierender Höfe. Aspekte von Adelsbindung und Adelseinung werden dabei sichtbar. Friedrich III. und das Reich in Zeugnissen der Selbst- und Fremdwahrnehmung stehen im Zentrum des Beitrages von Paul-Joachim Heinig. Zunächst führt Heinig am Beispiel Enea Silvio Piccolominis und der Kaiserin Eleonore von Portugal elementare Fremdheitserfahrungen am habsburgischen Hof vor. Doch kann er auch zeigen, dass das Problem der Fremdheit sich nicht nur für ausländische Mitglieder des Hofes ergab. Solche Erfahrungen waren schon in der Reichsstruktur und -verfassung angelegt, wurden doch durch das Wahlkönigtum die Höfe von Landesfürsten zu Königshöfen, an denen sich die regionale Herkunft des Königs ebenso wie die interregionalen und interhöfischen Beziehungen und Probleme des Reiches spiegelten. Der Dualismus von Reich und Erblanden bildete sich in der Personalstruktur und in Identitätsproblemen des Königshofes ab.
Gleich vier Beiträge rücken die oberrheinischen Bischofshöfe in das Betrachtungsfeld. Karl Weber widmet sich dem Wandel der Beziehungen zwischen Stadt und Hof in Straßburg. Lagen höfische und städtische Sphäre dort bis ins 13. Jahrhundert hinein sozial und funktional noch eng beieinander, lassen sich alsbald Divergenzprozesse ausmachen, die zur Ausbildung jeweils eigenständiger Identitäten führten und bereits am Ende des Jahrhunderts auch in schriftlichen Zeugnissen ihren Ausdruck fanden. Mathias Kälble beschäftigt sich am Beispiel Basels mit dem wechselseitigen Verhältnis von Bischof, Hof und außerhöfischer Umwelt vom 12. bis 14. Jahrhundert. Dabei geht er zunächst der Formierung des Bischofshofes nach, thematisiert - ähnlich wie Weber - die Beziehungen zwischen Hof und Stadt und wendet sich schließlich noch verschiedenen Alteritätserfahrungen und deren gruppenbildenden Wirkung zu. Im Zentrum des Beitrages von Andreas Bihrer steht der Wandel einer Innen- zur Außenwelt, der anhand des Konstanzer Bischofs Ulrich Pfefferhard und seines Hofes untersucht wird. Pfefferhard entstammte einer der führenden Konstanzer Familien, und damit jener Stadt, die ihm nach seiner Einsetzung in das Bischofsamt als Außenwelt gegenüberstand. Doch nicht die städtische Herkunft, sondern vielmehr papsttreue und geistlich-kirchlicher Werdegang prägten nach Bihrers Beobachtungen Selbstverständnis und Politik Pfefferhards. Ausgehend von einem Lehr- und Mahnschreiben Bischof Rabans von Helmstatt für seinen Neffen und Amtsnachfolger auf dem Bischofsstuhl zu Speyer, beleuchtet Gerhard Fouquet zunächst den Problemzusammenhang von Hof, Haushalt und Herrschaft, bevor er dann mittels einer gerafften Verflechtungsanalyse die sozialen Grundlagen von Herrschaft und Aspekte regionaler Gruppenbildung an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert aufzeigt. In Anlehnung an Wolfgang Reinhard dienen ihm dabei Verwandtschaft, Landsmannschaft, Freundschaft und Patronage als zentrale Kategorien der Netzwerkanalyse.
Die letzten drei Beiträge befassen sich aus literaturwissenschaftlicher und historisch-biografischer Perspektive mit dem Problem der Fremdheit bei Hofe. Mit Blick für eine unterhaltsame Auswahl und Anordnung der Beispieltexte spürt Volker Honemann dem Motiv des "Wilden" in der deutschen Literatur des Hoch- und Spätmittelalters nach. Die Integration ausländischer Ehefrauen und ihres Gefolges in einen Fürstenhof hat sich Karl-Heinz Spieß zum Thema gewählt. Formen, Phasen, Mechanismen und Probleme solcher Prozesse stehen dabei zusammen mit Aspekten des Kulturtransfers im Mittelpunkt der Betrachtung. Die Bilanz des Autors fällt hier eher ernüchternd aus: Konstatiert wird ein enormer Anpassungsdruck, der auf den ausländischen Ehefrauen lastete und nur einen recht geringen Raum für die nachhaltige Prägung des neuen Lebenszusammenhanges ließ. Schließlich behandelt Werner Paravicini das Problem der Fremdheit bei Hofe aus der Perspektive eines adligen Besuchers des späten 15. Jahrhunderts. Er folgt hierfür der ausführlichen Reisebeschreibung Nikolaus von Popplaus. Systematisch betrachtet Paravicini die Probleme, die der Reisende zu bewältigen hatte: Kontaktaufnahme und Verständigung, die Notwendigkeit, sich ausweisen zu müssen, die Überwindung von Misstrauen und die Vermeidung von Fehlern, die einem gerade auf fremden Terrain nur allzu leicht unterlaufen, die Minderung und Erhöhung von Rang und Ehre - all dies wird am Fall Popplaus thematisiert. Ein kleiner Quellenanhang rundet diesen Beitrag ab.
Auch wenn man dem Band eine Akzentsetzung auf den deutschen Südwesten und unmittelbar angrenzende Regionen nachsagen kann, zeigt das Abschreiten der Beiträge doch deutlich, dass hier ganz unterschiedliche Perspektiven gewählt wurden, die den Facettenreichtum des Themas hinreichend vor Augen führen. Wohl kaum fehlende Vielfalt der Aspekte, Begriffe und Zugänge scheint hier das Problem, eher wird man einen gewissen Mangel an Systematik und Synthese verspüren. Gern hätte man am Ende des Bandes noch den Versuch einer Bündelung und Ordnung der vielen Fäden gelesen, die in den Einzelbeiträgen entwickelt wurden. Doch dieses Manko bleibt nachrangig, der beachtliche Zugewinn bestimmt letztlich das Urteil: Die Autoren des Sammelbandes haben die Hofforschung um einen wichtigen Baustein ergänzt.
Matthias Meinhardt