Brigitta L. Sjöberg: Asine and the Argolid in the Late Helladic III Period. A socio-economic study (= BAR International Series; 1225), Oxford: Archaeopress 2004, 157 S., 11 fig., ISBN 978-1-84171-590-2, GBP 29,00
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Nach der Entzifferung der Linear B-Schrift galten die mykenischen Palastherrschaften weithin als zentralistisch organisierte Systeme. Zudem schien die mykenische Welt insgesamt sich nach ihrem gesellschaftlichen und kulturellen Erscheinungsbild gleichsam als eine Koiné darzustellen. Die mykenische Zivilisation war freilich keineswegs auf die Paläste und ihren unmittelbaren Herrschaftsbereich beschränkt. Zahlreiche Funde lassen auf beachtliche Aktivitäten auf lokaler und regionaler Ebene außerhalb der Palastwirtschaften schließen. Das Prinzip der Redistribution dürfte vor allem zur Versorgung der Funktionsträger im engeren Umkreis der Palastherren sowie auch zum Unterhalt der von der Zentrale kontrollierten Handwerker gedient haben. Des Weiteren sind vor allem auch die regionalen Unterschiede in der mykenischen Lebenswelt zu beachten.
Sjöberg untersucht in ihrer 2001 an der Universität Uppsala angenommenen Dissertation die Wirtschaft und soziale Struktur Asines in der Keramikphase Späthelladisch III mit dem weiter gesteckten Ziel zu klären, ob die Argolis in ihrer Gesamtheit damals in die Herrschaft der Dynasten von Mykene integriert war. Sie erläutert zunächst die von J. L. Bintliff und K. Kilian erarbeiteten 'Modelle' der Siedlungsstrukturen in der Argolis (3-19). Während Bintliff ein 'Superzentrum' in Mykene mit einem System von zweit- und drittrangigen Siedlungen zu erkennen glaubte, betonte Kilian noch stärker die zentrale Position des jeweiligen Palastherrn in Mykene. [1] Sjöberg will demgegenüber die dramatischen Veränderungen in der Ebene der Argolis während des Späthelladikums III stärker in ein theoretisches Modell einbeziehen. Asine hat nach ihren Ergebnissen aufgrund der günstigen Lage des Ortes am Meer besondere Bedeutung für eine Analyse des Siedlungssystems in der Argolis. Unter diesem Aspekt erläutert sie vorrangig die archäologischen Indikatoren zum Verständnis des Problems, ob und inwieweit dort eine Art Siedlungshierarchie existierte (21-25), um sodann anhand der noch erkennbaren Siedlungsaktivitäten zu zeigen, dass eine Siedlungskontinuität in Asine vom Späthelladikum III A bis III C bestand und der Ort nicht nur in der mittleren und späten III C-Phase florierte, sondern auch in den Perioden Submykenisch und Protogeometrisch bewohnt war (29-43). Sie vergleicht mit der Entwicklung in Asine die Befunde in Mykene, Tiryns, Midea, Argos, Prosymna und an anderen Orten in der Argolis und legt dar, dass am Ende von Späthelladikum III sich deutlich ein Niedergang in Asine, Mykene, Midea und Tiryns abzeichnete (45-78).
Eine wertvolle Ergänzung zu diesen Analysen ist ihre zusammenfassende Auswertung der Grabfunde (81-127). Sie will hiermit vor allem zeigen, wie aus dem archäologischen Material Kriterien zur Beurteilung der Sozialstrukturen und möglichst auch der Vorstellungswelt der verschiedenen Bevölkerungsschichten zu gewinnen sind (81-127). Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass in Asine und Argos sowie in weiteren Siedlungen Kontinuität von der Bronze- zur Eisenzeit zu erkennen ist (127).
Abschließend bietet Sjöberg einen Überblick über die Entwicklung der wichtigsten Siedlungen in der Argolis im Späthelladikum III (131-145). Sie betont, dass die These von der Vorherrschaft der Herren von Mykene nicht zu verifizieren ist und bis zum Ende der Phase Späthelladikum III C offensichtlich überhaupt kein dominierendes Zentrum in der Argolis bestand (144). Vor allem in der Periode Späthelladikum III B sei ein gleichsam 'dezentralisierter' Austauschzusammenhang zu erkennen, in dem Mykene, Tiryns und Midea größere 'Märkte' in einem ökonomischen Netzwerk bildeten und kleinere Orte für einen Güteraustausch auf niedrigerem Niveau sorgten. Weder Mykene noch Tiryns hätten freilich größere Lagermöglichkeiten besessen. Die dortigen Vorratsräume hätten vielmehr nur zur Aufbewahrung landwirtschaftlicher Produkte für den Palasthaushalt gedient. Sjöberg bestreitet nicht, dass Mykene auch ein Tor für Kommunikation und Güteraustausch mit weiter nördlich liegenden Gebieten war. Diese Funktion sei aber nicht zu verwechseln mit der Herrschaft eines zentralen Zentrums in der gesamten Argolis.
Man darf der Verfasserin zu dieser hervorragenden Dissertation gratulieren. Sie hat die Interpretation der archäologischen Funde mit einer kenntnisreichen Kritik an wirtschaftshistorischen Theorien verbunden und verdeutlicht, dass die mykenischen Palastsysteme jedenfalls in der Argolis durchaus kleinräumige Herrschaftsorganisationen darstellten. Die Fiktion von einem mykenischen Großraum sollte endgültig als obsolet gelten.
Anmerkung:
[1] Vgl. J. L. Bintliff: Natural Environment and Human Settlement in Prehistoric Greece, Oxford 1977, 115 f., 134-138, 689-702; K. Kilian: The Emergence of Wanax Ideology in the Mycenaean Palaces, in: Oxford Journal of Archaeology 7 (1988), 291-302.
Karl-Wilhelm Welwei