Arne Karsten: Bernini. Der Schöpfer des barocken Rom, München: C.H.Beck 2006, 271 S., 51 Abb., ISBN 978-3-406-54085-1, EUR 24,90
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Bernini-Monografien, die sich an ein breites Publikum richten, gibt es in recht großer Zahl. Verständlich ist dies aus verschiedenen Gründen: In der Stadt Rom hat Berninis Werk eine nachhaltig öffentlichkeitswirksame Ausstrahlung, und für die barocke Kunst ist er eine unbestritten paradigmatische Figur. Der deutsche Sprachraum hat zu dieser Gattung seit längerer Zeit kein neues Buch mehr beigetragen. Diese Lücke hat der Verlag C.H. Beck nun ausgefüllt. Dazu wurde ein Autor gefunden mit ausgeprägter Neigung zu einem geistreichen, unterhaltenden und auf ein breites Publikum abzielenden Stil. Ausführlich reflektiert er vorab über die Aufgabe des "Blickes in den Brunnen der Vergangenheit" (12), für den er die Freiheit zu einem individuell-subjektiven Zugang in Anspruch nimmt. Die fachliche Kritik, die man anbringen könnte, wird stark relativiert durch den Umstand, dass der Autor gar kein Fachpublikum anspricht. Zudem sei den folgenden Bemerkungen vorausgeschickt: Wenn es dem Autor gelingt, mit seinem Buch ein Publikum zu erreichen, das sonst nicht nach einer Künstlerbiografie greifen würde, dann hat es eine wichtige und begrüßenswerte Funktion erfüllt, die allfällige fachliche Bedenken in den Hintergrund treten lässt.
Das Buch präsentiert sich als Künstlermonografie einer "geradezu vollkommenen Verkörperung des «Hofkünstlers», der es mit Virtuosität verstand, sich auf dem glatten Parkett der höfischen Gesellschaft zu bewegen" (10). Die herausragende soziale Gewandtheit Berninis, die seine künstlerischen Talente auf eine Weise ergänzt hat, die wesentlich für seinen Erfolg war, wird mit besonderer Aufmerksamkeit thematisiert. Das Hauptinteresse des Autors gilt mithin der Situierung des Künstlers innerhalb einer Darstellung der römischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts. Dies wird vielfach klar, vor allem in den oft seitenlangen allgemein-historischen Passagen, die in die chronologisch aufgebaute Künstlervita eingestreut werden. Sowohl der Künstler als auch seine Werke werden stark, ja fast exklusiv unter dem Gesichtspunkt ihrer historisch-gesellschaftlichen Bedingtheit betrachtet. Entsprechend sind Bemerkungen zu spezifischen Eigenheiten und Qualitäten von Berninis Werken dünn gesät und bleiben auf dem Niveau blasser Gemeinplätze. Es wäre deshalb angezeigt gewesen, den Untertitel "Der Schöpfer des barocken Rom" durch einen Verweis auf die ausgeprägt sozialhistorische Ausrichtung des Buches zu ersetzen, etwa im Sinne wie sie der Autor am Ende seiner Einleitung darlegt und begründet (16).
Angesichts der stark historischen Prägung des Buches verwundert es, dass es der Autor im Umgang mit zeitgenössischen Quellen nicht selten an der angemessenen kritischen Distanz fehlen lässt. Dies kommt beispielsweise zum Ausdruck, wenn er Scipione Borghese als "höchst mittelmäßig begabten, jovialen Lebemann" und als "träge und vergnügungssüchtig" bezeichnet (35). Die Kardinalnepoten, die nicht durch ihre Leistungen, sondern durch das Glück auf ihre herausragenden Positionen gelangt waren, boten für die berüchtigte römische Spottlust besonders prädestinierte Zielscheiben. Zurückhaltung im Umgang mit entsprechenden Äußerungen bzw. geeignete Kommentare wären daher angebracht. Der Autor weist im Falle Scipione Borgheses das Bild des "schöngeistigen Idealmäzens (35) zurück - und verfällt dem entgegengesetzten Extrem, indem er ihm jenes des dumpfen Egoisten entgegensetzt, der zur Ablenkung von seinen persönlichen Defiziten der kompensatorisch-propagandistischen Kunst bedarf. Überzeichnungen finden sich auch in den vielfach variierten Bemerkungen zu Bernini als "ebenso ehrgeiziger wie egozentrischer Karrierist, der neben sich keine Kollegen oder gar Konkurrenten duldete" (9) und letztere systematisch "wegbiss". So wenig man solchen und ähnlichen Aussagen einen wahren Kern absprechen möchte, so wenig darf außer Acht gelassen werden, dass sie in dieser Form topischen Mustern der Kunsthistoriografie folgen.
Unprofessionellen Umgang mit Quellen allerdings kann man dem Autor schwerlich unterstellen. Offensichtlich handelt es sich um eine kalkulierte Stilwahl, mit der er seine Leser unterhalten möchte. Vollends klar wird dies in den Passagen, in denen er die Biografie mit 'Sex and Crime' würzt (93 ff). Die berühmte eifersüchtige Raserei Berninis wird genüsslich ausgebreitet und geschmückt mit psychologisierenden Schnörkeln, die in der Diagnose gipfeln, Bernini sei manisch-depressiv gewesen (99). Es bleibt die Frage, ob das legitime, ja begrüßenswerte Anliegen, den Leser zu amüsieren, nicht auch mit etwas größerer kritischer Distanz im Umgang mit zeitgenössischen Quellen hätte verbunden werden können; oder ob es dazu salopper Bemerkungen wie beispielsweise jener zum "leicht übergewichtigen Kind" in den Armen der Caritas des Alexandergrabmals (208) bedurfte. Während es sich bei dieser und ähnlichen Bemerkungen um Gags der eher harmloseren Sorte handelt, werden gelegentlich für ausgefeilte geistreich-humoristische Formulierungen krasse Verzerrungen in Kauf genommen. So leistete sich der Autor einen besonders bösen Schnitzer mit der Bemerkung zu Berninis "genialischen Schmierereien, an deren Umsetzung in ausführbare Projekte sich andere [...] abmühen mochten" (154). Als Beleg wird das berühmte Leipziger Skizzenblatt (Abb. 30) bemüht, in dem Bernini in zahlreichen, schnell hingeworfenen kleinen Skizzen die Grundzüge seines Vierströmebrunnens entwickelte (oder erläuterte?). Dem nicht informierten Leser wird - zumal es sich abgesehen von drei Karikaturen um die einzige abgebildete Bernini-Zeichnung handelt - damit suggeriert, Berninis Arbeit habe sich auf Skizzen dieser Art beschränkt. Der quer durch sein Werk vielfach belegte lange Weg von solchen Skizzen über zahlreiche Detailstudien, sorgfältig ausgearbeitete Präsentationszeichnungen und Modelle in verschiedenen Maßstäben wird dabei ausgeblendet, und damit ein Hauptcharakteristikum seiner Arbeitsweise: die auch bei Großprojekten rigoros durchgesetzte persönliche Kontrolle bis hin zu kaum mehr wahrnehmbaren Details. Im Falle des Vierströmebrunnens hat Bernini gar bei der Skulpierung der Felsformation persönlich Hand angelegt.
Ein individuell geprägter, selektiver Blick ist in einer Biografie eines so vielseitigen und produktiven Künstlers wie Bernini unumgänglich und legitim. Gleichwohl befremden die Gewichtungen gelegentlich; beispielsweise wenn der immense und überaus aufwändige Cathedra-Altar in S. Pietro, mithin das wohl spektakulärste Ausstattungsstück der Basilika, zwar abgebildet, im Text aber nur in knappster Form erwähnt wird (196 und 216), während die Galleria Colonna in großer Breite abgehandelt ist (170 ff), wobei dem Leser vorenthalten bleibt, worin genau Berninis Anteil bestand. Generell ist nicht nur die Gewichtung, sondern auch die Wahl der thematisierten Aspekte ausgesprochen eigenwillig.
In einer Künstlerbiografie hätte man sich mehr und sorgfältiger ausgewählte Abbildungen gewünscht - doch die Illustrierung des Buches ist letztlich wohl ein Stück weit Ausdruck des Umstandes, dass die Werke eine eher untergeordnete Rolle spielen. Ein Missgeschick ist mit Abb. 51 (228) unterlaufen: Berninis letztes bildhauerisches Werk, die Salvatorbüste, kam in Form der gezähmten Nachempfindung im französischen Sées zur Abbildung, was verwundern mag, weil der Autor den Aufsatz zitiert, in dem das Original in S. Sebastiano fuori le mura publiziert ist (250 Anm. 15).
Der Rezensent muss abschließend anmerken, dass sein Unbehagen gegenüber dem Buch einer anscheinend sehr bewussten Stilwahl mit popularisierenden Absichten gilt, und zwar überall da, wo das Streben nach geistreich-humoristischen Formulierungen zu störenden Verzerrungen führt. Ob sein Werk einen positiven Eindruck hinterlässt oder nicht hängt letztlich von der Frage ab, wie der Leser gegenüber dem bewussten Einsatz von Überzeichnungen als Stilmittel eingestellt ist. Im Klappentext wird das Buch als "Epochengemälde" charakterisiert. Dem ist zuzustimmen, wobei man ergänzen möchte: ein historisches Epochengemälde - ein lesenswertes und unterhaltendes allemal. Nur war für die Anliegen des Autors die Künstlerbiografie möglicherweise nicht das geeignetste Medium.
Wer italienisch liest hat mit der Bernini-Biografie des 2002 allzu früh verstorbenen Maurizio Fagiolo dell'Arco eine Alternative zur Hand (L'immagine al potere. Vita di Giovan Lorenzo Bernini. Bari: Laterza, 2001). Der Vergleich fällt für das hier rezensierte Buch nicht günstig aus. Fagiolos "Roman", wie er ihn bescheiden nennt, ist so originell wie spannend aufgebaut und geschrieben; Werk und Künstler werden in all ihrem Facettenreichtum vergegenwärtigt; das sozio-historische Umfeld kommt nicht zu kurz; ein wohl überlegt und sorgfältig erarbeiteter Anhang bereichert die Biografie wesentlich; das Buch ist reich illustriert und liegt preislich gar ein wenig unter jenem des Verlags Beck. Und in Sprache und Stil hat der renommierte Bernini-Forscher unter Beweis gestellt, dass ein unterhaltender und anregender Text nicht zwingend eines Autors bedarf, der sich im Streben nach pointiert-geschliffenem Stil stark in den Vordergrund rückt und dabei demonstrativ salopp mit seinem Gegenstand umspringt.
Felix Ackermann