Nikola Doll / Christian Fuhrmeister / Michael H. Sprenger: Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950. Begleitband zur Wanderausstellung "Kunstgeschichte im Nationalsozialismus", Weimar: VDG 2005, 360 S., 37 Abb., ISBN 978-3-89739-481-0, EUR 20,00
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Als zu Beginn der Siebzigerjahre das Fach Kunstgeschichte begann, sich mit der eigenen Geschichte während des Nationalsozialismus auseinander zu setzen, war es vor allem eine junge Kunsthistoriker-Generation, die die Konfrontation mit ihren Lehrvätern suchte. Auch die derzeit wieder sehr rege Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Faches verdankt sich in hohem Maße dem Engagement studentischer Initiativen sowie Projekten des akademischen Mittelbaus, wenngleich der aufrührerische Impetus von damals längst sorgfältiger Quellenrecherche und deren Auswertung gewichen ist. Die persönliche Initiative einzelner Projektgruppen hat auch zu der ambitionierten Wanderausstellung "Kunstgeschichte im Nationalsozialismus" geführt, die von 2005 bis 2007 an verschiedenen deutschen kunsthistorischen Instituten ausgerichtet wird. Ergänzend zur Ausstellung haben die Mitorganisatoren Nikola Doll, Christian Fuhrmeister und Michael Sprenger einen konzeptionell eigenständigen Begleitband herausgegeben, der in Form einer Aufsatzsammlung neueste Forschungsergebnisse aus dem Umfeld der kunsthistorischen Institute in Berlin, Bonn, Karlsruhe, Marburg, München und Tübingen präsentiert.
Bislang hatte die fachgeschichtliche Forschung zur NS-Zeit ihren Blick vor allem auf die Ordinarien wie Jantzen, Brinckmann, Sedlmayr oder Pinder und deren universitären Wirkungsbereiche gerichtet; so auch die wichtige, 2003 von Jutta Held und Martin Papenbrock herausgegebene Sammel-Publikation "Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus". Nun bezieht man - wie Ausstellung und Begleitband zeigen - im Sinne der "new intellectual history" verstärkt private und gesellschaftliche Aspekte mit ein, um Kunstgeschichte als Teil des gesamten "Betriebssystems Kunst" (15), das vor allem in Zeiten der Diktatur auch außerwissenschaftlichen Wirkungsmechanismen unterliegt, darzustellen.
In diesem Sinne führen beispielsweise die Aufsätze von Sandra Schaeff und Christian Fuhrmeister die bislang wenig beachtete, aber hochspannende Situation des kunsthistorischen Mittelbaus während des Nationalsozialismus vor Augen. Dabei werden vor allem der hohe Profilierungsdruck, dem junge Kunsthistoriker ausgesetzt waren, aber auch ökonomische und private Zwänge herausgestellt. Im Einzelfall führte dies jedoch zu gänzlich unterschiedlichen Verhaltensweisen gegenüber dem nationalsozialistischen Regime. Demzufolge erweist sich der immer noch häufig gebrauchte, Alternativlosigkeit implizierende Begriff der "Verstrickung" als wenig geeignet, um differenziert mit der Rolle von Wissenschaftlern im Nationalsozialismus umzugehen. Vielmehr schlagen die Herausgeber vor, verschiedene Verhaltensmuster zwischen "unbeabsichtigter Nähe, Autonomieverlust, passiver Teilhabe, kleineren Zugeständnissen an die Parteidoktrin, Opportunismus, taktischem Kalkül, freiwilliger Indienststellung, Selbstgleichschaltung" etc. (10) zu unterscheiden.
Der Band gliedert sich des Weiteren in drei Hauptabschnitte: Unter der Überschrift "Institute und Seminare" sind quellenreiche Überblicke über die personelle Zusammensetzung der Institute in Berlin, Bonn, Karlsruhe, Marburg (Michael Sprenger), München (Katrin Meier-Wohlt) und Tübingen (Nicola Hille) sowie über deren Ausrichtung in Lehre und Forschung zusammengefasst. Im Kapitel "Personen und Werke" folgen monografische Charakterisierungen von so unterschiedlichen Kunsthistorikerpersönlichkeiten wie Franz Roh (Thomas Lersch), Richard Hamann (Klaus Niehr) oder Hans Weigert (Ruth Heftrig). Unter dem Titel "Gruppenbilder" finden sich von spezifischeren Fragestellungen geleitete Darstellungen. Diese reichen von den Fotocampagnen (Judith Tralles) bis hin zur Rezeption der Kunst des 19. Jahrhunderts (Lilian Landes) oder zur Bedeutung des Filmes für die Visualisierung von Architekturgeschichte (Barbara Schrödl).
Einen längst fälligen erweiterten Blickwinkel auf das Thema nehmen einige weitere Beiträge ein: So gelingt es der aufschlussreichen Darstellung von Helena Perena Sáez über Ernst Buchner, Honorar-Professor in München und ehemaliger Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die weit gehenden Auswirkungen von nationalsozialistischer Kunst- und Kulturideologie auf Personalfragen, Hängung und Ankaufspolitik der Münchner Pinakotheken aufzuzeigen. Martin Papenbrock belegt ferner am Beispiel Karlsruhe, wie Kunstgeschichte innerhalb der Architektenausbildung an den Technischen Hochschulen im Sinne des Nationalsozialismus ideologisierend wirken konnte. Den zeitlichen Übergriff auf die Nachkriegszeit leistet zudem der Artikel von Nikola Doll zum 1. Deutschen Kunsthistorikertag 1948: Sie legt zum einen personelle und inhaltliche Brüche nach 1945 dar, benennt aber auch Kontinuitäten, wie sie beispielsweise in der Wiedereinsetzung enthobener Professoren manifest wurden. Ihre Analyse der Eröffnungsrede von Herbert von Einem zeigt, wie schwierig sich das Verhältnis zu den emigrierten Kunsthistorikern gestaltete, und wie durch "semantischen Umbau" an hergebrachten Inhalten festgehalten werden konnte.
Trotz der in der programmatischen Einleitung der Herausgeber betonten gemeinsamen methodischen Ausrichtung aller Beiträge, steht eine empirisch ausgerichtete Forschung einer inhaltlich-analytischen mitunter unverbunden gegenüber: Nicht wirklich überzeugend erscheint beispielsweise der Versuch einer statistischen Auswertung der so genannten Karlsruher Lektiografie (Martin Papenbrock) - einer im Internet verfügbaren Zusammenstellung aller kunsthistorischen Vorlesungen zwischen 1933 und 1945. So erscheint die Aufteilung auf die Epochen "Mittelalter, Neuzeit, Gegenwart" sehr grob und die genauen Zuordnungskriterien werden nicht offen gelegt. So wird nicht klar, ob z. B. das 19. Jahrhundert noch der Neuzeit oder schon der Gegenwart zugerechnet wird. Denn, wie die Lektüre des Beitrages von Lilian Landes deutlich macht, wurde das 19. Jahrhundert aus Sicht des Nationalsozialismus durchaus noch als Gegenwart verstanden; eine Zuordnung des 19. Jahrhunderts zu "Neuzeit" verspräche daher nur wenig Erkenntnisgewinn. Umgekehrt hätte eine detailliertere Auswertung der Lehrveranstaltungen zeigen können, dass das 19. Jahrhundert in der NS-Kunstgeschichte möglicherweise doch keine so "untergeordnete Rolle" (283) spielte, wie von Landes vermutet.
Zwar scheint die Einzelfallstudie im Moment probatestes Mittel zu sein, um der Fülle des noch unausgewerteten Quellenmaterials und den zahlreichen Forschungslücken beizukommen. Jedoch mag hierin auch der Grund für die gelegentliche Disparatheit der Erkenntnisse liegen. Eine monografische Darstellung des Themas, die dem neuesten Forschungsstand Rechnung tragen würde, bleibt demnach wichtiges Desiderat der Forschung. Heinrich Dillys 1988 erschienener schmaler Band "Deutsche Kunsthistoriker 1933-45" ist zwar nach wie vor grundlegend, aber an vielen Stellen aktualisierungsbedürftig. Aber auch dieser ansonsten lektorisch einwandfrei betreute Sammelband hätte vielleicht schon allein mithilfe eines Personen- und Sach-Registers inhaltliche Brücken zwischen den Aufsätzen schlagen können. Dies schmälert jedoch nicht das Verdienst der Herausgeber und Autoren, eine Kompilation vorgelegt zu haben, der es nicht nur gelingt, wichtiges Quellenmaterial erstmals zu erschließen, sondern auch in der Gesamtheit aller Beiträge ein facettenreiches, und frisches Gesamtbild von der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus zu liefern.
Daniela Stöppel