Aeneas Silvius de Piccolomini: Historia Austrialis. Österreichische Geschichte. Hg. v. Jürgen Sarnowsky (= Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe; Bd. 44), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005, 544 S., ISBN 978-3-534-14148-7, EUR 109,00
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Stellungnahme von Jürgen Sarnowsky mit einer Replik von Martin Wagendorfer
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Eine kritische Ausgabe der Historia Austrialis des Eneas Silvius Piccolomini stellt in der Tat eines der dringendsten Desiderata der Mediävistik und Humanismusforschung dar, verbirgt sich doch hinter dem Titel nicht nur einer der wichtigsten Berichte eines Zeitgenossen zur Geschichte Österreichs im 15. Jahrhundert, sondern auch ein brillant geschriebenes, in seiner literarischen Konzeption hochinteressantes Stück humanistischer Historiografie sowie eine eminent wichtige Quelle zur Reichsgeschichte unter Friedrich III. Das Zustandekommen einer modernen Ansprüchen genügenden Edition des Werkes wurde bisher vor allem durch die überaus komplizierte Überlieferungssituation verhindert, die sich stark vereinfacht folgendermaßen darstellt.
Piccolomini begann im Herbst 1453, den so genannten österreichischen Krieg, das heißt den Aufstand der Ständeopposition in Österreich gegen Friedrich III., zu beschreiben (1. Redaktion, überliefert nur im Autograph: ÖNB, cvp. 3364). Schon in dieser Fassung bezog der Sienese allerdings über seinen ursprünglichen Plan hinaus auch aktuelle Ereignisse aus dem Reich und Italien mit ein. Im Frühjahr 1454 konzipierte er das Werk zu einer tatsächlichen Geschichte Österreichs um. Als 2. Redaktion bezeichnet man jenen Zustand dieser Neufassung, der bei der endgültigen Abreise Piccolominis aus Österreich im Mai 1455 vorlag und neben den nicht ganz vollständig erhaltenen Autographa in mehr als einem Dutzend Handschriften überliefert ist: Der Bogen spannt sich nun von einer Topografie Österreichs und Beschreibung Wiens über eine "Urgeschichte" des Landes (in Form einer Kritik an der so genannten Chronik von den 95 Herrschaften) und die Babenberger bis zur - nun sprachlich und zum Teil auch inhaltlich ganz anders akzentuierten - Schilderung der Zeit Friedrichs, ohne hier jedoch die Reichsperspektive aus den Augen zu verlieren. Die in dieser Fassung klaffende Lücke zwischen der Babenbergerzeit und der eigentlichen Zeitgeschichte wird auch in der erneut überarbeiteten Fassung letzter Hand (3. Redaktion) durch den so genannten Stauferexkurs nur zum Teil geschlossen. Die bisherigen Ausgaben der Historia Austrialis - sowohl die Editio princeps von Johannes Heinrich Boeckler (1685) als auch der letzte Druck von Adam Kollár (1762 in den Analecta monumentorum omnis aevi Vindobonensia) und die auf Kollár basierende deutsche Übersetzung von Theodor Ilgen (und nicht Illgen, wie im Titel der Ausgabe zu lesen ist) in den Geschichtsschreibern der deutschen Vorzeit (1889/90) - bieten jeweils nur unvollständige Hybridfassungen des Textes, die in keiner Weise einen Eindruck von der ausgefeilten literarischen Konzeption des Werkes oder gar seiner komplizierten Genese geben.
Der Herausgeber legt nun ausschließlich (und unvollständig) die 3. Redaktion des Werkes in einer zweisprachigen Ausgabe der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt vor, wobei er sich für die Übertragung ins Deutsche der Übersetzung von Ilgen bedient, die er an den modernen Sprachgebrauch anpasst.
Nun kann man trefflich darüber streiten, wie sinnvoll es ist, nur eine Fassung dieses komplexen Werkes - noch dazu unvollständig - abzudrucken, wo doch zumindest die 1. Redaktion einen völlig anderen Text bietet, und so wieder nur gleichsam ein "Fragment" der Historia Austrialis zur Verfügung zu stellen; ebenso könnte man darüber diskutieren, was davon zu halten ist, dass eine über hundert Jahre alte Übersetzung erneut abgedruckt wird. Dennoch hätte sich der Herausgeber - zumal mit Blick auf ein "breiteres" Publikum - unter Umständen auch durch eine sorgfältige Edition allein der 3. Redaktion und einen entsprechend gut gearbeiteten historischen Kommentar durchaus Verdienste erwerben können. Leider wurde auch diese Chance vergeben, wie schon in der Einleitung schnell klar wird.
Sarnowsky wählt als Grundlage seines Textes den dreimal in der Einleitung (1, 2, 3) zitierten "Ms. Chigi I VIII 248" der Biblioteca Apostolica Vaticana. Diese Signatur gibt es nicht. Zwar ist von den beiden hier in Frage kommenden Handschriften der 3. Redaktion (Chigi I VII 248 oder I VIII 283) keine "in einer sauberen humanistischen Kursive" (2) geschrieben (sondern in humanistischer Minuskel); auch ist keine der beiden "wohl noch einmal von Aeneas selbst" durchgearbeitet (1), wie der Sekundärliteratur leicht zu entnehmen gewesen wäre; dennoch kann nach stichprobenartiger Kollation weder ein Zweifel darüber bestehen, dass Chigi I VII 248 als Vorlage der Ausgabe diente, noch dass die "gründliche Durchsicht" (3) nicht so gründlich war, wie man das erwarten würde. Schon in der ersten Zeile des Textes heißt es in der Handschrift "quod" und nicht "quia" (10); der richtige Text lautet in Zeile 2 "Theutonico" und nicht "Teutonico" (10), in Zeile 7 "Germaniam" und nicht "Franciam" (10); natürlich steht in der Handschrift nicht - wir befinden uns bei unserer kursorischen Durchsicht wohlgemerkt noch immer auf der ersten Textseite - "vocabant" (10, Zeile 14), sondern "vocabantur" - hier dürfte eine ur-Kürzung erhebliche Probleme bereitet haben; überdies blieb hier wie auch an anderen Stellen unbemerkt, dass der lateinische Text so keinen Sinn ergibt. So heißt es, um ein Beispiel aus vielen herauszugreifen, wenig später (16 f.) etwa: "Reliquie sanctorum plurimo vehis (!) templis argento atque auro et gemmis nitent", was mit "die zahlreich in die Kirchen gebrachten (offensichtlich soll damit "vehis" erklärt werden) Heiligenreliquien glänzen durch Silber und Gold sowie Edelsteine" wiedergegeben wird - die Handschrift bietet natürlich "in his", und nicht "vehis".
Zu den erheblichen Mängeln der Ausgabe gehört auch, dass der Leser über die oben geschilderten Entstehungsumstände des Werkes völlig im Unklaren gelassen und nur unpräzise von einer Fassung "letzter Hand" und "früheren Redaktionen" (2) gesprochen wird. Nicht einmal drei (!) Seiten inklusive Danksagungen sind für die komplizierte Genese des Werks in keiner Weise ausreichend, die Bemerkungen zur Textgestaltung mitunter nicht nachvollziehbar - so etwa, dass es sich bei "z.B. compluribus/quampluribus, auch et/ac" um "unterschiedliche Schreibweisen derselben grammatischen Form" (!) handeln soll (3). Das Register ist unpraktisch, weil es durch die ausschließliche Angabe des Kapitels zu unangenehmen Suchaktionen zwingt (Kapitel I,1 etwa umfasst im lateinischen Text mehr als fünf Seiten!), und ungenau (Paris/Alexander findet sich etwa nicht unter V,25, sondern VI,25; der hl. Stephanus (I,1) fehlt überhaupt); die Literaturliste ist nicht auf dem neuesten Stand (die "Chronica Austriae" Ebendorfers etwa liegt seit fast 40 Jahren in der MGH-Ausgabe von Alphons Lhotsky vor und muss deswegen seit Längerem nicht mehr im Druck von Hieronymus Pez von 1725 (5) benützt werden) und weist erhebliche Schlagseite zur Literatur zur Stauferzeit auf. Der historische Kommentar ist nicht nur "durch die Vorgaben des Verlags" (1) erheblich beschränkt, sondern zum Teil schlicht falsch - so ist etwa schon seit mehr als 100 Jahren bekannt, dass Eneas sich mit seiner Quellenkritik auf die Chronik von den 95 Herrschaften bezieht, und dieser Text keineswegs "bisher nicht identifiziert" (31) wurde, was im Übrigen auch aus der in derselben Fußnote zitierten Sekundärliteratur hervorgeht.
Dem Ansehen der FSGA der WBG ist mit diesem Band zweifellos wenig gedient, zumal der Vogel bereits auf dem Titelblatt abgeschossen wird: "AENEAS SILVIUS DE PICCOLOMINI: HISTORIA AUSTRIALIS e codice Vaticani (!) edidit et sequente (!!) translatione (!!!) Theodori Illgen (!!!!) curaverit (!!!!!) Jürgen Sarnowsky.
Martin Wagendorfer