Ludwig Holzfurtner: Die Wittelsbacher. Staat und Dynastie in acht Jahrhunderten, Stuttgart: W. Kohlhammer 2005, 487 S., ISBN 978-3-17-018191-5, EUR 26,00
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Über die Wittelsbacher kann man sich auf allen Stilebenen trefflich informieren. Wer Erbauung sucht, wird in der Bibliothek nach dem gediegen unterhaltsamen Wittelsbacherbuch Ludwig Schrotts von 1966 fahnden. Eleganz statt Gemütlichkeit, und ein paar Prisen Ironie? Bietet der vergnügliche Versuch Eberhard Straubs von 1994. Wer eine kundige Hinführung zu Forschungskontroversen und -desideraten wünscht und dass die einzelnen Porträts vom jeweils besten Kenner der fraglichen Epoche gezeichnet sind, der wird von einem Sammelband bestens bedient, den 2001 Alois Schmid und Katharina Weigand herausgegeben haben.
Was Holzfurtners Buch in besonderer Weise auszeichnet, ist die Faktenfülle. Der Autor versucht, auf 487 engstens bedruckten Seiten so viele Daten und Fakten wie irgend möglich unterzubringen, ohne sich davon durch methodische Überlegungen oder Forschungskontroversen ablenken zu lassen oder auch nur durch rhetorische Schnörkel Raum zu verschenken. Im Vordergrund steht politische Geschichte, ganz besonders interessiert Holzfurtner Diplomatiegeschichte, man könnte vielleicht auch sagen: die jeweilige Außenpolitik. Das fällt bei einem kultur- und wissenschaftspolitisch so bedeutsamen Herrscher wie Max III. Josef besonders auf; auch jene fürstliche Bautätigkeit der Vorgänger, die (just bis dahin) den Großteil herrscherlicher 'Kulturpolitik' ausgemacht hatte, streift Holzfurtner nur, und selbst die "kuriosen Bauten" des "Märchenkönigs" werden gerade einmal erwähnt.
Weil so rasch gesagt ist, wofür sich der Autor interessiert und was er sehr präzise nachzeichnet, drohen Verlustanzeigen das Bild viel zu sehr einzuschwärzen. Doch kommt eine Besprechung ja nicht umhin: Weil Holzfurtner dem verschlungenen Hin und Her des Politikbetriebs so eng auf der Spur ist, wird es für den Leser schwer, Leitmotive und Grundstrukturen auszumachen - etwa den über Generationen und Epochen hinweg stets aufs Neue internalisierten Antrieb, mehr aus Bayern, aus der rheinischen Pfalz zu machen, der weit überdurchschnittlichen Ehrgeiz der Regenten einer Dynastie, die ihren ungewöhnlich raschen Aufstieg im späten Mittelalter erlebt hatte, um dann an jahrhundertelang nicht mehr übersteigbare Grenzen zu stoßen, an denen man sich indes immer aufs Neue, notorisch und oft schmerzhaft rieb. Zu den Folgen gehörte der Wunsch der Münchner, die eigenen Kräfte dadurch aufzupolstern, dass sie als Wortführer "teutscher Libertät" (später des "Dritten Deutschland") auftraten; erst das wiederum macht ja verständlich, warum das Verhältnis zum katholischen Nachbarn Habsburg so chronisch kompliziert war, und eben deshalb flirteten die Münchner immer wieder mit Habsburgs europäischem Gegenspieler Frankreich ... Solche einzelne Lebensläufe übersteigende Grundstrukturen können in der Aneinanderreihung von Kurzbiographien nicht recht aufscheinen. Ob bei Holzfurtner auf solche wiederkehrenden Motive aufmerksam wird, wer sie nicht schon anderswoher kennt? Hätte der Autor die Möglichkeit nutzen sollen, allgemeine Probleme der deutschen und europäischen Geschichte am bayerischen Beispiel zu bespiegeln - das ominös gewordene "Jüngere Stammesherzogtum", die "frühmoderne Staatlichkeit", jene "Sozialdiziplinierung", die das Fach ziemlich gleichzeitig im Konfessionellen Zeitalter entdeckt und im "Absolutismus" wieder abgeschafft hat? Darüber kann man sicher streiten; dass der Vertrag von Ried 1813 nicht nur "die staatliche Existenz Bayerns" sicherte, sondern eine wichtige Weichenstellung für die extrem dezentrale politische Organisation Mitteleuropas nach 1815 war, hätte Holzfurtner schon erwähnen können.
Wer bei immer weiter anwachsender Arbeitsteilung und Spezialisierung über ein Dreivierteljahrtausend schreibt, muss sich kleinere Schönheitsfehler nicht vorrechnen lassen. Mir sind nur sehr wenige erwähnenswerte Irrtümer aufgefallen. Die Behauptung, dass ein konvertierender geistlicher Fürst seit 1555 das "Fürstentum dem Kaiser zur Verfügung zu stellen hatte" (163), führt den Leser in die Irre, es durfte dann eben die für die Nachfolgeregelung zuständige Instanz, im Fürstbistum das Domkapitel, einen katholischen Nachfolger wählen. Die mysteriöse "Kompilation" auf Seite 206 meint mutmaßlich die "Komposition": So nannte man um 1610 Versuche, die Malaise des konfessionell polarisierten Reichsverbands im kleinen Kreis ausgleichsbereiter Vertreter beider Lager, sozusagen am "runden Tisch", zu beheben. Im Jahr 1623 fand kein Kurfürstentag statt (wie indes auf Seite 213 behauptet wird), aber eine irreguläre Versammlung kaisernaher Reichsstände: im Grunde der verfassungspolitisch brisante Versuch, den mittelalterlichen Hoftag wiederaufleben zu lassen.
Holzfurtner betreibt keine Hagiographie. Auf Maximilian I., Bayerns "Großen Kurfürsten" lässt er zwar nichts kommen, aber Max Emanuel wird als Hazardeur gezeichnet, Karl Albrechts Größenwahn namhaft gemacht. Die meisten Wertungen sind überzeugend, die anderen diskutabel. Falsch ist diese: Holzfurtner urteilt, die bayerische Okkupation Donauwörths habe auf dem Weg in den Dreißigjährigen Krieg "nur eine marginale Rolle" gespielt (202). Diese Fehleinschätzung hat vor den Akten keinen Bestand, damals begann die Vorkriegszeit. Warum übrigens war deutsche Geschichte "seit 1495" in eine "Sackgasse" geraten, wie auf Seite 228 lapidar festgestellt wird? Weil ungefähr seitdem ein Reichstag existierte (aber "Sackgasse"?), oder wofür steht die vermeintlich verhängnisvolle Chiffre "1495"?
Ob die pfälzischen Wittelsbacher zu kurz kommen oder von dieser Kürze profitieren? Ludwig den Bayern auf 33 Seiten abzuhandeln (selbst Albrecht V. bekommt deren 21), alle pfälzischen Linien aller Jahrhunderte zusammen aber auf fünfzig (Ottheinrich: eine Seite!): das ist moderne freistaatliche Perspektive! Eingeschoben wird das pfälzische Zwischenspiel bezeichnenderweise, als Max III. Josef stirbt und sich Karl Theodor auf den Weg nach München macht. Andererseits ist Holzfurtner gerade in dieser Kürze ein geraffter, schlackenloser Überblick gelungen, der konkurrenzlos ist, sozusagen das "Alleinstellungsmerkmal" dieses Wittelsbacherbuches, und die illustrierenden Karten sind vorzüglich. Vielleicht wird ja der kurze Pfälzerblock besonders viele Leser finden.
Man wird das Buch nicht in einem Zug durchlesen. Hierzu verlockt weder der betont nüchterne Stil, noch locken aufregende Thesen oder kühne Bewertungen. Der Autor versagt sich auch konsequent mehr oder weniger begründete Spekulationen - Ludwig der Kelheimer wurde eben 1231 "von einem Unbekannten" ermordet, mehr hat den Leser nicht zu interessieren; dass über diese Tat schon von vielen Autoren viel gerätselt wurde, erfährt er gar nicht. Für den Studienbetrieb ist das als "Urban-Taschenbuch" erschienene Werk aus einem anderen, gar nicht vom Autor zu verantwortenden Grund nur von begrenztem Wert: Es fehlen eben der Reihenkonzeption entsprechend Forschernamen, namhaft gemachte Forschungspositionen. Vorzüglich geeignet ist Holzfurtners Buch als detailgenaues, präzises, faktengesättigtes Nachschlagewerk für alle, deren historisches Interesse sich nicht in Examina beweisen muss. Sie bekommen für wenig Geld und Regalzentimeter ein mit Fakten - man verzeihe mir den überhaupt nicht kritisch gemeinten saloppen Ausdruck - vollgestopftes Kompendium, das nicht veralten wird.
Axel Gotthard