Carolin Wirtz: Köln und Venedig. Wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen im 15. und 16. Jahrhundert (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; Heft 57), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, 398 S., ISBN 978-3-412-18503-9, EUR 44,90
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Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Venezia! Kunst aus venezianischen Palästen. Sammlungsgeschichte Venedigs vom 13 bis 19. Jahrhundert. (Katalog zur Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 27.9.2002 - 12.1.2003), Ostfildern: Hatje Cantz 2002
Andrea Lermer: Der gotische 'Dogenpalast' in Venedig. Baugeschichte und Skulpturenprogramm des Palatium Comunis Venetiarum, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2005
Irmgard Fees: Eine Stadt lernt schreiben. Venedig vom 10. bis zum 12. Jahrhundert, Tübingen: Niemeyer 2002
Arne Karsten: Kleine Geschichte Venedigs, München: C.H.Beck 2008
Matthias Bleyl: Deckenmalerei des 18. Jahrhunderts in Venedig. Die hohe Kunst der Dekoration im Zeitalter Tiepolos, München: Martin Meidenbauer 2005
Stefanie Rüther: Prestige und Herrschaft. Zur Repräsentation der Lübecker Ratsherren in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003
Martin van Gelderen / Quentin Skinner (eds.): Republicanism. A Shared European Heritage. Volume I: Republicanism and Constitutionalism in Early Modern Europe, Cambridge: Cambridge University Press 2002
Christian Hochmuth / Susanne Rau (Hgg.): Machträume in der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz: UVK 2006
Dauert heutzutage der Flug von Köln nach Venedig anderthalb Stunden, so waren die Reisen zwischen diesen beiden Städten im 15. und 16. Jahrhundert sehr viel beschwerlicher und abenteuerlicher. "Die durchschnittliche Tagesleistung eines Frachtwagens betrug im Tal etwa 30 Kilometer, am Berg etwas weniger. Die Saumtiere waren etwas schneller, konnten aber nur geringere Mengen transportieren. Mit der Zeit bildeten sich bestimmte Rastplätze aus [...]. Manche Orte suchten ihre Verkehrsstellung durch eine Niederlage, mit oder ohne verliehenem Privileg zu verbessern. Das Niederlagsrecht bedeutete einen Übernachtungszwang für die Reisenden, der oft auch auf denjenigen zum Umladen ausgedehnt wurde. Manchmal mußten die Reisenden an diesen Orten einen Teil oder ihre gesamte Ware für eine bestimmte Zeit zum Verkauf anbieten" (216).
Angesichts der in diesem Zitat plastisch geschilderten Mühseligkeiten verwundert es immer wieder, wie vielfältig und intensiv die Beziehungen zwischen italienischen und deutschen Städten waren. Die gegenwärtige Forschungslage suggeriert, Venedig sei ohne weitere Reflexion Augsburg als 'Partnerstadt' im Alten Reich zuzuordnen. [1] Insbesondere die Untersuchungen Bernd Roecks haben dabei weitere beliebte Vergleichsobjekte, wie zum Beispiel Lübeck [2] oder Amsterdam [3], in den Hintergrund treten lassen.
Venedig unterhielt aber nicht nur mit der Reichsstadt Augsburg intensive Beziehungen, wie das vorliegende Buch nachweist. Es beruht auf den Ergebnissen des Dissertationsprojektes von Carolin Wirtz. Die Autorin hat im Rahmen ihrer Recherchen handschriftliche Quellen aus dem Bestand des venezianischen Staatsarchivs ausgewertet, von denen sie einige dankenswerterweise transkribiert im Anhang zugänglich macht. Zu Recht weist sie in der Einleitung darauf hin, dass die Beziehungen zwischen Köln und Venedig im 15. und 16. Jahrhundert bisher nicht im Brennpunkt des Interesses der Forschungen standen.
Carolin Wirtz gliedert ihre Untersuchung der Beziehung dieser beiden Städte in einem ersten Teil chronologisch. Ausgehend von einer strukturellen Darstellung der Situation der allmählich sich intensivierenden Handelsbeziehungen zwischen beiden Städten verlässt sie dann im zweiten Teil die vorwiegend chronologisch gegliederte Schilderung und untersucht einzelne Personen und Gruppen, die sich im 15. Jahrhundert um den Handel zwischen Köln und Venedig verdient gemacht haben. In einem dritten Kapitel beleuchtet sie die Änderungen, denen diese zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch durchaus intakten Netzwerke an Handelsgesellschaften und Familien durch die Änderungen der "Weltwirtschaft" (110) unterworfen waren. Anschließend widmet sie sich der Rolle der Venezianer in Köln im 15. und 16. Jahrhundert. In einem Vergleich dieser ersten Abschnitte wird bereits eine Unausgewogenheit der Ergebnisse deutlich: Auch wenn Carolin Wirtz - und dies leuchtet als Untersuchungsvoraussetzung durchaus ein - zu Beginn verspricht, ein nicht zugunsten Venedig gewichtetes Bild zu zeichnen, widmet sie den Venezianern in Köln im 15. Jahrhundert genau sieben, den Kölnern in Venedig dagegen ein Großteil der vorhergehenden 133 Seiten. Diese Schieflage ist im gesamten Buch zu beobachten. Sie ist weniger der Schwerpunktsetzung der Autorin zu verdanken, sondern dem bedauerlichen Kontrast zwischen den durch Kriegsverluste gezeichneten deutschen und den weitgehend intakt gebliebenen venezianischen Archivbeständen.
Eine besonders konkrete und daher auch sehr einleuchtende Analyse der wechselseitigen Kölner und venezianischen Beziehungen gelingt Carolin Wirtz in jenen Teilen, in denen sie sich dem Buchdruckergewerbe widmet: Die erstaunlich rasche Verbreitung technischer Innovationen auf diesem Gebiet und auch ihrer Erzeugnisse bietet einige Anregungen zu der Frage nach der Beziehung zwischen kulturellen und wirtschaftlichen Innovationen, die bislang aufgrund der häufig zu stark getrennten Betrachtung von ökonomischer und kultureller Kommunikation unbeachtet blieben. Weitere Abschnitte widmen sich der Rekonstruktion der Wege, auf denen Waren und Menschen reisten. Die Welt der alpinen Verkehrswege gewinnt so an Eindringlichkeit.
Eine Bewertung des vorliegenden Buches ist auch aufgrund des noch recht spärlichen Forschungskontextes ausgesprochen schwierig. In vielem betritt die Autorin mit ihren Quellenstudien Neuland. Eine große Stärke ihrer Darstellung liegt, dank der Konzentration auf das Quellenmaterial, in der Anschaulichkeit, mit der sie Reise- und Handelswege skizziert. Hierin erweitert und differenziert sie die bisherige Forschungslage. Besonders gut erkennbar wird das am Beispiel ihrer Darstellung des Fondaco dei Tedeschi, des Sitzes der deutschen Kaufleute in Venedig: Durch ihre Konzentration auf das Schicksal der Kölner Kaufleute verdeutlicht sie sehr gut die rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen sich diese bewegten. Die Makrostrukturen der wirtschaftlichen Entwicklung verknüpft sie so mit den jeweiligen individuellen Lebenswelten.
Ihre Konzentration auf die Quellenarbeit hat aber dazu geführt, dass der strukturelle Aufbau der Argumentation zum Teil nicht leicht nachvollziehbar ist. Auch nach einer intensiven Lektüre der Schlussbemerkung blieb der Rezensentin verborgen, in welchem engeren Zusammenhang die einzelnen Untersuchungsteile miteinander stehen. Warum ist es notwendig, der Untersuchung des Kölner und venezianischen Buchgewerbes und der Goldschmiedetechnik teilweise etwas handbuchartige Artikel über Pilger und Waren zwischen Köln und Venedig an die Seite zustellen? Ebenso wäre eine engere Verknüpfung zwischen den im ersten Teil behandelten politischen Rahmenbedingungen und dem individuellen Schicksal der im zweiten Teil vorgestellten Familien und Personen für das weitere Verständnis der Arbeit hilfreich gewesen.
Die Untersuchung bietet faszinierende historische Materialien. Sie lässt sich leicht in weiterführende argumentative Zusammenhänge einbetten. Bereits der Titel "Wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen" ruft vielfältige Assoziationen hervor. Beide Gebiete - Kultur und Wirtschaft - lassen sich in der Frühen Neuzeit kaum trennen, wie auch Carolin Wirtz' Arbeit wieder einmal belegt. So ist es einleuchtend, 'Sprache und Kommunikation' als Teil der Handelsbeziehungen zwischen Köln und Venedig zu begreifen. Doch bleiben hierbei andere Faktoren, wie zum Beispiel der der Konfession, gänzlich unbeachtet. Über die Bedeutung der konfessionellen Zugehörigkeit für wirtschaftliches Handeln ließe sich zwar trefflich streiten, als wichtiger Faktor sollte sie wenigstens für die Kölner Wirtschaftsgeschichte im 16. Jahrhundert in Rechnung gestellt werden. Hier erweist es sich als problematisch, dass weder die Ergebnisse der stadtgeschichtlichen Forschung zur Frühen Neuzeit im Allgemeinen noch die zu Köln und Venedig im Besonderen mit den konkreten Untersuchungsergebnissen verglichen wurden. Vielleicht wäre dann auch Carolin Wirtz' abschließende Bewertung, dass eine "gewisse Ähnlichkeit" (273) zwischen beiden Städten bestand, differenzierter ausgefallen. So ist die vorliegende Arbeit insgesamt nicht als ein Beitrag zu einer sozial- oder auch kulturgeschichtlich orientierten Stadtgeschichtsforschung zu verstehen, sondern eher als ein Beitrag zur Rekonstruktion wirtschaftsgeschichtlicher Beziehungen zwischen zwei Handelszentren im 15. und 16. Jahrhundert. Hierin überzeugt sie allerdings dadurch, großflächige Entwicklungen mit den konkreten Welten und Erfahrungen vor Ort zu verbinden.
Diese weitergehenden Überlegungen zeigen insgesamt, wie verdienstvoll die Arbeit von Carolin Wirtz ist. Weiteren Forschungen zur Kölner und venezianischen Handelsgeschichte hat sie - auch gerade durch ihre exzellenten Quellentranskriptionen im Anhang - ein sehr solide gearbeitetes Fundament an die Hand gegeben. Köln strahlt zwar auch nach der Doktorarbeit von Carolin Wirtz immer noch nicht so glanzvoll wie die venezianische Republik, kann aber immerhin eine Eigenständigkeit für sich behaupten, von der man vor den Forschungen der Autorin im venezianischen Staatsarchiv kaum geahnt hätte.
Anmerkungen:
[1] Vgl. die Beiträge in den Sammelbänden Klaus Bergdolt / Jochen Brüning (Hg.): Kunst und ihre Auftraggeber im 16. Jahrhundert. Venedig und Augsburg im Vergleich (= Colloquiua Augustana: 5), Berlin 1997; Bernd Roeck (Hg.): Venedig und Oberdeutschland in der Renaissance. Beziehungen zwischen Kunst und Wirtschaft (= Studi / Centro Tedesco di Studi Veneziani; 9), Sigmaringen 1993.
[2] Alexander Francis Cowan: The Urban Patriciate. Lübeck and Venice 1580-1700 (= Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte; N.F. Bd. 30), Köln / Wien 1986.
[3] Peter Burke: Venice and Amsterdam. A Study of Seventeenth-Century Elites, Cambridge u.a. 1994.
Ruth Schilling