Andrew Ayton / Philip Preston: The Battle of Crécy, 1346 (= Warfare in History; Vol. 22), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2005, xi + 390 S., ISBN 978-1-84383-115-0, GBP 25,00
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Die drei katastrophalen Niederlagen, welche die Engländer den Franzosen im Hundertjährigen Krieg beibrachten (Crécy 1346, Poitiers 1356, Azincourt 1415), zählen seit jeher zu jenen Aspekten dieses Konflikts, auf die sich die Historiografie Englands, aber auch Frankreichs mit Vorliebe konzentriert. Desto mehr ist hervorzuheben, dass der vorliegende Band keineswegs nur Altbekanntes wiederholt. Im Gegenteil, er bietet inhaltlich, aber auch methodisch Neues und wird damit die weitere Forschung befruchten. Er beschränkt sich freilich auf den Versuch, die Ereignisse zu rekonstruieren, insbesondere zu erklären, warum die Engländer die Schlacht gewannen, und lenkt sein Hauptaugenmerk auf die englische Seite.
Die Idee, der Schlacht von Crécy ein Buch zu widmen, entstand während einer Tagung, die außer dieser Schlacht auch jener von Azincourt galt. Drei der Referenten arbeiteten ihre Vorträge zu kurzen Kapiteln des vorliegenden Werks aus; außerdem wurde Françoise Autrand für einen Beitrag gewonnen. Andrew Ayton erweitete seinen Beitrag zur Tagung entscheidend, sodass er jetzt (als Kap. 5) fast 100 Seiten umfasst. Darüber hinaus verfassten Ayton und Preston fünf ganz neue Kapitel. So entstand eine Mischung aus Tagungsband und Monografie. Darunter leidet die Stringenz der Argumentation und es kommt häufig zu Redundanzen.
Diejenigen Beiträge, die nicht von den beiden Herausgebern stammen, bieten knappe, solide Überblicke über die in ihnen behandelten Themen: Michael Prestwich schildert den Ablauf der Schlacht (Kap. 4) mit großer Quellenkenntnis. Christophe Piel kennzeichnet die Beziehungen zwischen dem normannischen Adel und dem französischen Königtum als entspannt und pragmatisch (Kap. 6). Die Strukturen des französischen Heeres umreißt Bertrand Schnerb (Kap. 7). Françoise Autrand schildert die politischen Folgen der Schlacht für das französische Königtum (Kap. 8).
Die wichtigsten Erträge des Werks versammeln jene Abschnitte, welche die beiden Herausgeber Ayton und Preston abfassten. Schon im ersten Kapitel, einer "Einführung", welche "Kontext und Bedeutung" der Schlacht verdeutlichen will, stellt Ayton sehr anregende Überlegungen an. Er wendet sich z. B. gegen die oft formulierte pauschale Aussage, dass Schlachten im Mittelalter seltene Ausnahmen waren. Ferner hebt er ganz zu Recht hervor, zu den wesentlichen Folgen der Schlacht zähle die Tatsache, dass die Engländer wenige Monate später Calais erobern konnten. Doch stellt er die Grundsätze des methodischen Vorgehens, das im Buch angestrebt wird, nicht klar heraus und nimmt inhaltlich manches vorweg, was später noch angesprochen wird.
Im folgenden Kapitel 2 widmet sich Ayton dem Feldzug, der zur Schlacht bei Crécy führte. Bislang erschien König Eduard III. von England meist als ein von den Franzosen Gejagter, der sich schließlich zur Schlacht stellen musste. Ayton hingegen vertritt nun ganz überzeugend die These, dass die Landung auf der Cotentin-Halbinsel, der Vorstoß auf Paris, dann der Marsch in Richtung von Calais Elemente eines von Eduard III. kühl geplanten Vorgehens waren. Ziel sei es gewesen, vom Krieg bislang weitgehend nicht berührte französische Provinzen zu verwüsten, dadurch dem Feind direkt zu schaden und den französischen König Philipp VI. unter für ihn ungünstigen Bedingungen zu einer Feldschlacht zu zwingen. Auch hätten Eduard III. und einige seiner Berater das Schlachtfeld von Crécy aufgrund früherer Aufenthalte in der Gegend sicherlich gekannt.
Die Topografie des Schlachtfelds untersucht Preston (Kap. 3). Er pflichtet der bisherigen Auffassung bei, welche die Walstatt nordöstlich des Dorfes Crécy lokalisiert. Dort bezog die englische Armee auf einem Hügel eine Stellung, welche die Franzosen von Südosten angriffen. Aufgrund eigener Untersuchungen des Geländes kann Preston auf einen wichtigen, bislang unbekannten Umstand hinweisen: Der Hügel fiel zu einem Tal ab, an dessen gegenüberliegendem Rand sich eine Böschung befand. Sie war in weiten Abschnitten immerhin vier Meter hoch und machte damit das frontale Vorrücken größerer Einheiten unmöglich. Vielmehr mussten die Franzosen wohl durch einen engen Zugang in das Tal einrücken, konnten sich dort nicht richtig entwickeln und hatten nach dem Desaster auch keine Chance für einen geordneten Rückzug, denn dieser musste zwangsläufig wieder durch das Nadelöhr erfolgen.
Die Zusammensetzung des englischen Heeres während des Crécy-Feldzugs analysiert Ayton mit großer Sorgfalt (Kap. 5). Diese Untersuchung ist für die Kenntnis von Heeren des 14. Jahrhunderts von großer Bedeutung. Wichtig für den Ablauf der Schlacht ist vor allem das Ergebnis, dass auf englischer Seite die führenden Männer und wohl auch ihre Soldaten über große Erfahrung verfügten.
Überraschenderweise erfolgt erst im vorletzten Abschnitt die systematische kritische Untersuchung der Quellen zur Schlacht, die wiederum aus der Feder Aytons stammt (Kap. 9). Er analysiert die einzelnen Quellen sorgfältig hinsichtlich ihres Aussagewertes. Über die Schlacht von Crécy hinaus von Bedeutung ist die Einsicht, dass man zur Rekonstruktion der Ereignisse nicht einfach nur scheinbar zuverlässige, brauchbar erscheinende Stücke aus einzelnen Quellen kombinieren dürfe, sondern auch und gerade bei scheinbar unverfänglichen Einzelheiten stets die Darstellungsabsicht der Autoren beachten müsse.
Im abschließenden Kapitel 10 wenden sich Ayton und Preston nochmals den Kernfragen des Ablaufs zu: der Topografie und den Bogenschützen. Erstmals bieten sie eine begründete Theorie dazu an, wie die "Gleve" (engl. und frz. "lance") eigentlich taktisch funktionierte. Es handelte sich dabei um Gruppen, die einen Panzerreiter und dazu Bogenschützen sowie andere Kämpfer umfassten. Bisher wurden diese Gleven in der Forschung nur als administrative Einheiten abgehandelt, die für die Anwerbung und Bezahlung von Söldnern eine Rolle spielten. Ayton und Preston folgern nun aus ihren Überlegungen zur Aufstellung des englischen Heeres, dass innerhalb der Gleve offenbar eine enge Kooperation unter den unterschiedlich Bewaffneten stattfand. Wichtig sind auch die Überlegungen zur Versorgung der Bogenschützen mit Munition. Ungefähr eine halbe Million Pfeile hatte das englische Heer für seine Bogenschützen zur Verfügung, also 50 bis 70 pro Mann. Dieser Vorrat wäre jedoch schnell verbraucht gewesen, wenn die Schützen ihre maximale Schussrate von wenigstens 10 Schuss pro Minute lange durchgehalten hatten. Es gab also keinen dauernden Pfeilregen, sondern zeitlich genau begrenzte und gut überlegte Einsätze. Dies wiederum verweist auf die Disziplin und Erfahrung der Schützen.
Die Schwächen im Aufbau des Bandes sowie die Wiederholungen und Redundanzen sollten nicht den Blick darauf versperren, dass hier aufschlussreiche Ergebnisse präsentiert werden. Das betrifft unmittelbar die Heere, den Feldzug und die Schlacht von 1346. Viele Aspekte aber verweisen allgemein auf die Kriegführung im 14. Jahrhundert: auf die Struktur der Heere und den Ablauf militärischer Operationen, darüber hinaus auf die Disziplin und den sozialen Zusammenhalt im Heer, die Planung und die Planbarkeit komplizierter und aufwändiger Unternehmungen - und damit letztlich auf jene Gesellschaft, die solche Heere aufstellte.
Malte Prietzel