Pamela Kort / Max Hollein (Hgg.): Rodin Beuys, Düsseldorf: Richter 2005, 368 S., ISBN 978-3-937572-34-5, EUR 49,00
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Anlässlich der "Rodin Beuys"-Ausstellung in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt vom 9. September bis zum 27. November 2005 erschien ein zweisprachiger Katalog in Deutsch und Englisch mit über 300 Abbildungen. Das Verhältnis und die vielfältigen künstlerischen Beziehungen von Joseph Beuys zu den Werken von Auguste Rodin sowie Wilhelm Lehmbrucks spiegelten in der Ausstellung erstmals ausgewählte zeichnerische und skulpturale Exponate der drei Bildhauer wieder. Mit einem deutlichen Gewicht von über 140 Papierarbeiten zu insgesamt 40 plastischen Werken versprach das Konzept der Ausstellung (Kuratorin: Pamela Kort) einen deutlichen Zusammenhang zwischen Rodin, Lehmbruck und Beuys aufzuzeigen, da das Medium der Zeichnung für alle drei weit mehr denn lediglich vorbereitende Skizze war. Durch Lehmbrucks frühen Tod weniger klar, aber mit tausenden von Zeichnungen Rodins und Beuys' belegt, eint sie, dass sie Arbeiten auf Papier als autonome Werkgruppe neben den Plastiken verstanden. In der direkten Zusammenschau der frühen Zeichnungen und Aquarelle von Beuys aus den Jahren 1947-1961, zeigen sich "Anklänge" (7), so Max Hollein im Vorwort des Katalogs (7-13), zu Rodins "Zeit nach 1895". In Technik und Formensprache sowohl der Papierarbeiten als auch der Plastiken sollen die Ideen von Bewegung, Metamorphosen und Fragment das jeweils Innovative und ihnen Gemeinsame deutlich machen (7, 8, 9).
In dem einführenden Aufsatz zu "Rodin, Lehmbruck, Beuys" (64-109) weist Pamela Kort durch profunde Recherche neue Zusammenhänge, von bisher nur wenig ausgearbeiteten Beziehungen von Beuys' zu Lehmbruck und Rodin nach. Der Körper ist allen zentrales Thema und im Besonderen die weibliche Gestalt. Bei Rodin fungiert sie mehr als handfeste Chiffre des Eros und "Entsprechung zum Pulsieren der Natur" (66), in Beuys frühen Themenrepertoire hingegen verkörpern die Frauen mehr das Prinzip Weiblichkeit, ihre Fruchtbarkeit und regenerative Kraft. Eher dem klassischen Kanon entnommen, arbeiten jedoch beide "Erneuerer der Kunst" mit mythologischen Frauengestalten, wie Circe, Minerva oder Mänaden und Nereiden (67).
Ausgehend von der 1986 gehaltenen Dankesrede von Beuys an Lehmbruck (68) [1], entwickelt Kort die vielschichtigen Ebenen der Rodin- und Lehmbruckrezeption von Beuys, deren Anfänge bereits in Beuys' Schülerzeit zurückreichen (69). Die Autorin weist Beuys' wichtigste Rezeptionsquellen auf, so die Tatsache, dass er Rilkes Rodin-Monografie aus dem Jahre 1922 besaß [2], die er intensiv mit Unterstreichungen bearbeitet hatte (92). Zudem studierte Beuys, so ergab ein Gespräch der Autorin mit Franz Joseph van der Grinten, ausgiebig die Rodin-Publikationen des befreundeten Bruderpaars (98) sowie diejenigen aus den Beständen der Düsseldorfer Kunstakademie (89). Eine Fülle an überraschend neuen Forschungsergebnissen stellt die Autorin für die, für den Künstler so wichtigen 50er-Jahre vor, in denen er seine neuen künstlerischen Thesen entwickelt hatte. Das bekannte Bienen- und Honigthema beispielsweise, wie in der Zeichnung "Honigsammlerin" von 1953, korreliert sie mit neuen literarischen Quellen, die Beuys gekannt haben muss (89). Ebenso verwebt sie Beuys "Faunesse-Thema" mit Rodins künstlerischer Ideenwelt und deutet es als ein Zeichen der Erneuerung (101).
In einer vergleichenden Analyse von J. Adolf Schmoll gen. Eisenwerth zur Darstellung der "Faunesse" (167-184) vertieft und erweitert der Autor die Quellensuche und Formenanalyse zu diesem Thema in den Arbeiten von Beuys und Rodin. Für dieses bekannte Beuys-Motiv erschließt Eisenwerth, wie bereits Pamela Kort in ihrer vorausgegangenen Analyse, neue formale Entsprechungen, so beispielsweise Rodins Arbeit "Fugit Amor" von 1885 (172).
Die monografischen Untersuchungen von Claude Keisch zu Rodins "Bürger von Calais" (122-147) und Dieter Koepplins zur Exposition der Frau im Werk von Joseph Beuys (201-231) eröffnen überraschend neue Ergebnisse. Keisch beispielsweise konstatiert, dass Rodin eine eigene Retusche in der Wahrnehmung seines Werkes vornahm, indem er "stets den Traditionalisten hervorkehrt" (123). Auf der Basis dieses Wissens versteht man Beuys' Verdienst, in den Fünfzigerjahren Rodins Modernität für sich erkannt zu haben. Nicht zuletzt, so deutet die Autorin an, war Beuys auch angeregt durch die Neubewertung der Plastik durch Josef Gantners und J.A. Schmoll gen. Eisenwerths "Würdigung des Unvollendeten und Torso-Motivs" (124).
Bereits der Bekanntheitsgrad von Rodins Œuvres beruht, wie der aller späteren Künstler, auf fotografischer Verbreitung. Zwei Aufsätze sind diesem Thema gewidmet: Zum einen beleuchtet Hélène Pinets Text (256-270) die fotografische Rezeptionsgeschichte Rodins. Zum anderen bietet die Untersuchung von Josephine Gabler einen weiteren Konnex zwischen Beuys und Rodin, indem die Autorin speziell die Rodin-Rezeption in Deutschland für den wichtigen Zeitraum zwischen 1930-1950 analysiert (322-349). Beuys' Bezüge und Umarbeitungen von Rodins Ideenwelt bezeugen umso mehr seinen innovativen Formwillen, wenn man weiß, wie Gabler erläutert, dass Rodin zwar viel diskutiert und rezipiert, jedoch nicht "als Ausgangspunkt für neue Lösungen verstanden wurde" (324).
Im Anschluss an die Texte folgt ein Verzeichnis der ausgestellten und abgebildeten Werke, das ins Englische übersetzt ist und sogar die Maßeinheiten von cm in inch umgerechnet hat. Auf den letzten Seiten ist noch ein Personenregister eingefügt, was jedoch die fehlende Bibliografie nicht ersetzen kann, die aus unerfindlichen Gründen nicht erstellt wurde.
Insgesamt ist der Katalog ein lohnender Forschungsbeitrag. Die abgebildeten Arbeiten von Rodin und Beuys im Vergleich öffnen das Auge für neue Zusammenhänge. Der schmale Ausblick auf das Spätwerk von Rodin und das Frühwerk von Beuys erscheint zunächst recht eingeschränkt. In der Ausarbeitung der Untersuchungen und den großformatigen Abbildungen jedoch ist der Ausschnitt stringent und durch Kennerschaft wohl kalkuliert. Mit neuen Zusammenhängen gewinnt Beuys' Kunst der 50er-Jahre an neuen wichtigen Aspekten und Rodin kann wieder mehr in der Moderne verankert werden. Obwohl Lehmbrucks Werke auch in der Ausstellung präsent waren und seine Vermittlerrolle ebenso wichtig ist, findet er leider keinen rechten Platz in den Katalogbeiträgen. So referiert der Ausstellungstitel die Zusammenschau von Rodin / Beuys; Lehmbruck wird vernachlässigt. Das Übergewicht der ausgestellten Exponate ist jedoch von Beuys und folgerichtig müsste die Ausstellung "Beuys Rodin" heißen, oder ist hier noch eine Wertung der Künstler zu spüren?
Anmerkungen:
[1] Aus Anlass der Verleihung des Lehmbruckpreises an ihn, 12.01.1986, Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg.
[2] Rainer Maria Rilke: Auguste Rodin. In: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Hg. vom Rilke-Archiv. Frankfurt am Main 1987, Bd. 5.
Heike Fuhlbrügge