Rezension über:

Dirk Meier: Land unter. Die Geschichte der Flutkatastrophen, Ostfildern: Thorbecke 2005, 185 S., ISBN 978-3-7995-0158-3, EUR 22,90
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Bernd Rieken: "Nordsee ist Mordsee". Sturmfluten und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte der Friesen (= Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands; Bd. 83), Münster: Waxmann 2005, 455 S., ISBN 978-3-8309-1499-0, EUR 29,90
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Rezension von:
Marie Luisa Allemeyer
Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Stellungnahmen zu dieser Rezension:
Empfohlene Zitierweise:
Marie Luisa Allemeyer: Die Geschichte der Flutkatastrophen (Rezension), in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/9339.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Umweltgeschichte" in Ausgabe 6 (2006), Nr. 7/8

Die Geschichte der Flutkatastrophen

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Naturkatastrophen - zumindest wenn sie historisch sind - erfreuen sich seit einigen Jahren steigender Beliebtheit in der Geschichtswissenschaft. Dies ist eigentlich weniger überraschend als die Tatsache, dass sie von der Zunft so lange "unentdeckt" geblieben waren. Schließlich hinterlassen Katastrophen, so zynisch das klingt, oft ausgesprochen aussagekräftige Spuren in verschiedenen Archiven der Geschichte. In Anlehnung an den von Edouardo Grendi und Hans Medick geprägten Begriff kann man sie als "normale Ausnahmefälle" bezeichnen. [1] Sie zwingen die betroffenen Menschen, das ihnen widerfahrene Unglück zu deuten und lassen auf diese Weise Positionen, Deutungsmuster und Argumentationszusammenhänge erkennen, die ansonsten nur selten sichtbar werden. Seit der 1981 veröffentlichten Studie von Arno Borst über das Erdbeben von 1348 [2] und der 1992 erschienenen Habilitation von Manfred Jakubowski-Tiessen über die Bewältigung der Sturmflut des Jahres 1717 [3] hat sich die historische Katastrophenforschung zu einer eigenen Forschungsrichtung entwickelt. Besonders in den letzten Jahren sind mehrere Studien über die Wahrnehmung, Deutung und Verarbeitung unterschiedlicher natürlicher Extremereignisse unternommen worden. [4]

Es liegt gewissermaßen in der Natur der historischen Naturkatastrophe, dass sie Untersuchungsgegenstand unterschiedlicher Fachdisziplinen ist und Berührungspunkte zwischen natur- und kulturwissenschaftlichen Methoden bietet. Eine bisher noch nicht durchgeführte Verknüpfung verschiedener Ansätze wagt Bernd Rieken. Er liebt das Meer, ist in Ostfriesland geboren und zur Schule gegangen. Anders als Urlauber und binnenländische Forscher, von denen er sich nachdrücklich abgrenzt, kennt er die Nordsee auch "in jener Zeit, da die Touristen fort sind" (11, 25, 276). Er hat "auf See schlimme Stürme erlebt und an Land Sturmfluten." Deshalb fühlt er sich vom Meer nicht nur angezogen, sondern fürchtet es auch. Diese "ambivalente Liebe zum Meer" bildet offenbar den Hintergrund, vor dem sich Rieken dazu entschlossen hat, ein Buch über das zu schreiben, "was die Friesen und andere Küstenbewohner am meisten fürchten: Sturmflutkatastrophen" (alles 11).

Das Buch mit dem alarmierenden Titel basiert auf einer volkskundlichen Habilitationsschrift, die der Autor 2004 an der Universität Wien eingereicht hat. Rieken möchte es als Beitrag zur Mentalitäts- und Katastrophengeschichte verstanden wissen (42). Es geht ihm um "die kulturelle Wahrnehmung der Nordsee und ihres Bedrohungspotentials als Bestandteil der Mentalität" der Friesen. Dabei verfolgt er das Anliegen, "die Angst vor der Sturmflut als Bestandteil der Mentalitätsgeschichte plausibel [zu] machen" (26).

Rieken hat sich auf die Fahnen geschrieben, unterschiedliche Methoden anzuwenden, um "die Mentalität der Friesen" zu beleuchten. Als gelernter Volkskundler möchte er "den Interessen und Bedürfnissen breiter Schichten der Bevölkerung" nachgehen (13). Seine Quellenbasis lässt bereits die methodisch breit angelegte Herangehensweise erkennen: Neben Annalen, Rechtssammlungen, Chroniken und Predigten untersucht Rieken auch Reiseberichte, Heimatromane, Zeitungsartikel, Reportagen und Webseiten. Zahlreiche in diesen Texten enthaltene "so genannte Volkssagen", können für eine ethnologische Untersuchung genutzt werden (33).

Rieken möchte es aber keineswegs bei einer volkskundlichen Studie "der Friesischen Kultur" belassen, sondern bricht eine Lanze für die Verknüpfung zwischen Volkskunde und Psychologie, wie sie bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begonnen, später aber nicht fortgeführt worden sei. Dabei hätten Richard Beitl, Adolf Spamer und Lily Weiser-Aall in den 1930er-Jahren den Weg für die Ethnopsychologie geebnet. Sie wurde aber - zu Riekens Bedauern - seither kaum beachtet (44 f.). Nachdrücklich plädiert er deshalb dafür, im Rahmen einer mentalitätshistorischen Untersuchung auch tiefenpsychologische Methoden zu nutzen, weil sie allein es erlaubten, einen Blick "hinter die Kulissen" zu werfen und damit den Auftrag der Wissenschaft einzulösen. Beschränke man sich hingegen lediglich darauf, die "bewußten Inhalte" in den Köpfen der Menschen zu untersuchen, ließe man "ein nützliches Instrumentarium" zur Untersuchung historischer Mentalitäten außer Acht (26 f.).

Es wäre zu kurz gegriffen, Riekens Plädoyer für tiefenpsychologische und psychoanalytische Ansätze lediglich darauf zurückzuführen, dass er nicht nur Volkskundler und Philosoph, sondern auch freischaffender Psychoanalytiker ist. Nein, Rieken benötigt ein derartiges Instrumentarium, um eine der Hauptthesen seines Werkes entwickeln zu können: Er möchte nachweisen, dass Sturmfluten von den an der Küste lebenden Menschen "als vom Menschen verursacht betrachtet werden - früher als Strafe Gottes, heute als Strafe der Natur" (18). Den Küstenbewohner längst vergangener Jahrhunderte, der in der Sturmflut die gerechte Strafe Gottes für sein sündhaftes Verhalten gesehen habe, wie auch den Zeitgenossen, der selbst noch anlässlich der Tsunami-Katastrophe seine eigene Mitschuld suche, eint Riekens Erkenntnis nach das Bedürfnis, sich selber als (zumindest Teil-)Verursacher des erlittenen Leides zu sehen: "Wenn man eine längerfristige historische Perspektive einnimmt, gelten Sturmfluten durchweg als vom Menschen verursacht. [...] Sturmfluten sind [heute] zwar nicht mehr ein Ausdruck des strafenden Gottes für sündhaftes Tun, aber sie sind ein Ausdruck der 'zornigen Natur' über das 'sündhafte' Umweltverhalten der Menschen" (325).

Die hier von Rieken erkannte Kontinuität ist zweifellos bemerkenswert. Frappierend ist aber vor allem sein nächster Schritt: Bei diesem Deutungsverhalten der Menschen handele es sich nämlich um eine nützliche Vorstellung, weil der Mensch auf diese Weise "das Gefühl der Kleinheit und Minderwertigkeit" kompensieren kann, das ihn in Anbetracht der übermächtigen Naturgewalten überkommt. Diese Auffassung ist Riekens Erkenntnis nach "Ausdruck des egozentrischen Denkens, des Es gilt mir" (325). Er erläutert: "Denn schuld sein bedeutet: Ursache sein - und Ursache sein heißt, über Macht verfügen. [...] Gäbe es den Menschen nicht, dann gäbe es auch keine (Sturmflut-)Katastrophen!" (341). Der Küstenbewohner des 17. Jahrhunderts wie auch das nach seiner Mitschuld fragende Opfer einer Naturkatastrophe des 21. Jahrhunderts verleihen sich gleichermaßen Größe und Bedeutung. Was, so drängt sich die Frage auf, hat Rieken in die Lage versetzt, derartige Einblicke in die Psyche historischer Akteure zu erlangen?

Da das Buch für sich beansprucht, einen geschichtswissenschaftlichen Beitrag zur Untersuchung "der Mentalität der Friesen" zu leisten, drängt sich die Vermutung auf, dass der Verfasser über die Interpretation historischer Quellen zu der Erkenntnis gelangt sei, der Mensch neige dazu, Naturkatastrophen anthropozentrisch zu deuten. In expliziter Abgrenzung von Untersuchungen, die sich seiner Ansicht nach lediglich auf gelehrte Quellen stützen (34, 275 f.), behauptet Rieken, seine Erkenntnisse aus der Untersuchung von Texten zu ziehen, die repräsentativ für die breiten Schichten der Bevölkerung seien. Sein Gewährsmann ist dabei vor allem Emo von Huizinge, Abt des Prämonstratenserklosters Wittewierum, der im 13. Jahrhundert eine beachtenswerte Chronik verfasste (bes. 126-169).

In seiner Beschreibung der so genannten Marcellusflut (1219) deutet der Abt die verheerende Flut als eine Strafe Gottes, die die Menschen durch ihr sündhaftes Verhalten verdient und auf sich gezogen hätten (150-155). Im Zuge dieser allgemeinen Schuldzuweisung geht Emo auch mit sich selbst ins Gericht und benennt eigene Verfehlungen (159 ff.). Diese Selbstanalyse beschert dem Abt des 13. Jahrhunderts Riekens Sympathie, weil dessen Auffassung nach "derjenige ein qualitativ höheres menschliches Niveau erreicht, der seinen vermeintlichen oder tatsächlichen Fehlern ungetrübt ins Auge zu schauen vermag, denn nur dann kann man an ihnen arbeiten und sich weiterentwickeln." (168).

Rieken scheint den Abt gewissermaßen auf seiner Couch liegen zu sehen und arbeitet mit seinen chronikalischen Aufzeichnungen, als handele es sich dabei um die Aussagen eines heute lebenden Menschen. Ob sich die vornehmlich an Personen und Lebenswegen und -weisen des späten 19. und 20. Jahrhunderts entwickelte Methode der Psychoanalyse unverändert auf vergangene Jahrhunderte zurückprojizieren lässt, erscheint indes mehr als fragwürdig. Von derartigen Zweifeln unbeeindruckt, zieht Rieken aus seiner psychoanalytischen Rückprojektion allgemein gehaltene ahistorische Analogieschlüsse, die zumindest überraschend, oft aber auch schlicht nicht mehr nachvollziehbar sind.

In Emos Beschreibung der Marcellusflut erkennt Rieken das Gefühl einer tiefen existenziellen Bedrohung, das seiner Erkenntnis nach auftritt, weil durch Zerstörung von Deichen und Häusern "leibliche und kulturelle Abgrenzungssysteme" zusammenbrechen und der Mensch dadurch "auf die Stufe frühkindlichen Ausgeliefertseins an ein primäres Objekt" zurückgeworfen werde (167). Verallgemeinernd stellt er fest, dass der Küstenbewohner in gleicher Weise dem Meer ausgeliefert sei, wie der Mensch im Allgemeinen seiner Mutter, "auf die man zwar angewiesen ist und von der man genährt werden möchte, die in ihrer Schutzfunktion jedoch versagt und darüber hinaus zu aggressiven Durchbrüchen neigt: Man erhofft sich durch sie die Stillung elementarer Bedürfnisse, wird aber immer wieder gleichsam in ein schwarzes Loch gestoßen." (147). Die von ihm festgestellte Analogie zwischen Meer und Mutter führt Rieken noch weiter aus: "In Gestalt des Fruchtwassers haben Wasser und gute Mutter als primäre Objekte überdies etwas Gemeinsames, und umso traumatisierender muss es wirken, wenn sie sich in ihr absolutes Gegenteil verwandeln." (167).

Spätestens an diesen Stellen des Buches fällt es schwer, Riekens Auslassungen zu folgen. Eine Auflistung derartiger Passagen ist müßig. Sie erschweren es sehr, die auch für die Geschichtswissenschaft anregenden Gedanken des Autors im Auge zu behalten. Es soll deshalb an dieser Stelle darauf verzichtet werden, das Buch allein an diesen - leider nicht wenigen und das gesamte Werk durchziehenden - Erörterungen zu messen (neben den genannten Seiten, etwa 182 ff., 153, 247, 257, 334, 336). Sie lassen sich vielleicht am besten in Riekens eigenen Worten zusammenfassen: "Das mag dem einen oder anderen möglicherweise spekulativ erscheinen, doch das Unbewusste wandelt mitunter auf verschlungenen Pfaden." (153).

Was bleibt aber nun, wenn man die in psychoanalytische Rückprojektionen und Spekulationen abgleitenden Passagen einmal außen vor lässt? Riekens Buch liegt eine Leistung zugrunde, die durchaus nicht gering geschätzt werden darf. Neben anderen Verdiensten hat er beispielsweise der Chronik des Emo von Wittewierum, die bisher fast nur in der niederländischen Wissenschaft intensiver beachtet wurde, zu Recht zu größerer Bekanntheit verholfen. Anerkennenswert ist auch der Umgang mit fremdsprachigen Texten, die Rieken im Fließtext fast immer übersetzt wiedergibt im Anhang allerdings im Original anführt. Der Anhang enthält dadurch eine Vielzahl interessanter und zum Teil schwierig andernorts aufzufindender Texte, und auch das Quellen- und Literaturverzeichnis zeugt von der intensiven und breit gefächerten Arbeit, die dem Werk zugrunde liegt. Durch das von ihm selbst gesteckte Ziel, allgemein gültige, überzeitliche Erkenntnisse über "die Mentalität der Friesen" zu erlangen, nimmt sich Rieken aber selbst unweigerlich die Möglichkeit, Wahrnehmungsweisen und Deutungsmuster, mit denen die Bewohner der Küstenregion auf drohende oder eingetretene Sturmfluten reagierten, in angemessener Weise historisch, sozial und situativ zu differenzieren. Das ist aber vielleicht auch gar nicht die Absicht des Autors gewesen.

Mit der Geschichte der Flutkatastrophen im Allgemeinen befasst sich Dirk Meier. Hätte er sein Buch in Reimform abgefasst, könnte man es in den Bereich der Kasualdichtung einordnen. Aber auch so ist es wohl zu Recht als Gelegenheitsschrift zu bezeichnen. Der Tsunami, der am 26. Dezember 2004 große Teile der ostasiatischen Küstenregion überflutete, ist augenfälliger Auslöser für dieses Buch gewesen. Im Thorbecke Verlag ging man offenbar davon aus, dass das Thema durch dieses Ereignis einen großen Interessentenkreis finden würde. Mit Dirk Meier engagierte man einen Autor, der auf seinem Gebiet, der archäologischen Küstenforschung, ein erfahrener und anerkannter Fachmann ist. Seit über 15 Jahren befasst er sich mit der Landschafts-, Umwelt- und Siedlungsgeschichte der Nordseeküste und hat in seinen Publikationen fundierte und umfassende Forschungsergebnisse der Küstenarchäologie vorgestellt [5].

Beginnend mit dem "Mythos von der großen Sintflut" (16-29) wirft er im hier vorgestellten Buch einen Blick zurück auf die nacheiszeitlichen Klimaveränderungen (38-45), streift antike (30-37), mittelalterliche und neuzeitliche Flutkatastrophen und setzt diese Chronologie bis in die Gegenwart fort (96-148). In einem zum Teil Schwindel erregenden Parforceritt umrundet er mit seiner Flutchronologie den Erdball und durchmisst mehrere Jahrtausende. Eingestreut zwischen die in erster Linie ereignisorientierten, globalen Kapitel finden sich einige, fast ausschließlich auf die europäische Nordseeküste bezogene Passagen mit knappen Erläuterungen über die Entstehung und Geomorphologie der Küstenregion (46-50), ihre frühe Siedlungsgeschichte (51-58) und die Geschichte des Deichbaus (69-95). In einem abschließenden Kapitel widmet sich Meier einigen Zukunftsperspektiven, in denen ein erneuter Meeresspiegelanstieg oder eine zweite Sintflut prognostiziert werden.

Der weite Bogen, den Meier schlägt, und der lediglich 185 Seiten starke Umfang des Buches lassen freilich nicht mehr als eine recht holzschnittartige Darstellung dessen entstehen, was im Titel als "die Geschichte der Flutkatastrophen" angekündigt wird. Während die kursorischen Einlassungen auf einzelne Flutereignisse sehr stark auf einen nur an oberflächlicher Information interessierten Leserkreis ausgerichtet sind, merkt man den Hintergrundkapiteln deutlich an, dass Meier hier durchaus aus dem Vollen hätte schöpfen können. Leider greift er aber nur an wenigen Stellen auf sein umfangreiches Fachwissen zurück. Das hier möglicherweise handlungsleitende Motiv, dadurch möglichst weite Leserkreise ansprechen zu können, hat dazu geführt, dass das Buch nicht die Überzeugungskraft erlangt, die ihm sein Autor hätte verleihen können. In weiten Teilen leidet die Qualität der Darstellung stark durch den äußerst weitgesteckten zeitlichen und räumlichen Rahmen.

Ob es beabsichtigt ist, dass auch am Layout des Buches viel an die Holzschnitttechnik erinnert, muss wohl Spekulation bleiben. Anstatt den Raum unterhalb kleinformatiger Bilder für den Fließtext zu nutzen, füllen seltsame Wellenlinien zum Teil halbe Seiten auf (z. B. 34, 47, 62, 74, 84, 113, 135 usw.). Die offenbar fehlende Bereitschaft zu Textumbrüchen und die zahlreichen Druckfehler lassen erahnen, dass das Buch unter hohem zeitlichem Druck und mit Blick auf das womöglich kurzlebige, durch den Tsunami angeregte Kaufinteresse entstanden ist. Ein sorgfältiges Lektorat hätte ihm sicherlich sehr gut getan.

Dirk Meier schließt sein Buch mit den Worten: "Es ist ernst: Ein nachhaltiger Umgang mit den Ressourcen unserer Erde und eine Verminderung des Kohlendioxidausstoßes sind notwendig. Das wird einen weiteren Meeresspiegelanstieg nicht verhindern, aber vielleicht vermindern. Wenn wir erst wie Gilgamesch einen Überlebenden der großen Flut fragen müssen, wie es vorher war, ist es zu spät, denn viele Menschen und Tiere haben keinen Platz auf der Arche gehabt." (155). Meier nutzt hier die Gelegenheit, ein auf Publikumserfolg ausgerichtetes Buch mit einer an die Leser gerichteten Aufforderung zur Schonung der natürlichen Ressourcen zu verbinden. Man kann ahnen, dass seiner jahrelangen Beschäftigung mit der Küstenregion mehr als nur ein berufliches Interesse zu Grunde liegt und er mit seinem Buch auch ein umweltpolitisches Anliegen verfolgt. Eine Haltung, die durchaus Anerkennung verdient, zugleich aber auch eine Haltung, in der Bernd Rieken vermutlich die von ihm "durchweg" unter Küstenbewohnern konstatierte ego-anthropozentrische Schuldzuweisung erkennen würde.

Historische Naturkatastrophen und die in ihrem Zusammenhang entstandenen Texte können Einblicke in Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster historischer Akteure gewähren, die sich jenseits dieser Extremereignisse nur selten offenbaren. Zwar sind es lediglich Ausnahmesituationen, die anlässlich der Katastrophe in kurzem Licht erscheinen. Auch ihre Untersuchung kann aber wichtige neue Erkenntnisse über historische Lebenswelten hervorbringen.

Das Erkenntnispotenzial, das die Untersuchung historischer Katastrophen birgt, wurde von Bernd Rieken nicht sehr weit ausgeschöpft. Mit seiner unorthodoxen Verknüpfung volkskundlicher und tiefenpsychologischer Ansätze betritt er zwar Neuland. Sein Beitrag zur historischen Katastrophenforschung liegt aber weniger in den auf diese Weise gewonnenen Erkenntnissen, als vielmehr in den sehr gut von ihm aufgearbeiteten und bereitgestellten Quellen. Dirk Meier hat mit seinem Buch sicher nicht das Ziel verfolgt, einen neuen Beitrag zur historischen Katastrophenforschung zu leisten. Sein Verdienst ist es vielmehr, das Thema als solches - wenn auch mit seinen hier nicht ausgebreiteten Erkenntnismöglichkeiten - einem breiteren Publikum bekannt gemacht zu haben.


Anmerkungen:

[1] Hans Medick: Mikro-Historie, in: Winfried Schulze (Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen 1994, 41-53, hier 47.

[2] Arno Borst: Das Erdbeben von 1348. Ein Historischer Beitrag zur Katastrophenforschung, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), 529-569.

[3] Manfred Jakubowski-Tiessen: Sturmflut 1717. Die Bewältigung einer Naturkatastrophe in der Frühen Neuzeit, München 1992.

[4] Vgl. beispielsweise: Dieter Groh / Michael Kempe / Franz Mauelshagen (Hg.): Naturkatastrophen. Zu ihrer Wahrnehmung, Deutung und Darstellung von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, Tübingen 2002; s. hierzu die Rezension von Katrin Knäusel, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 12 [15.12.2005], URL: http://www.sehepunkte.de/2005/12/3749.html; Manfred Jakubowski-Tiessen / Hartmut Lehmann (Hg.): Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten, Göttingen 2003; s. hierzu die Rezension von Nils Freytag, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [10.09.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/09/2056.html; Christian Pfister (Hg.), Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500-2000, Bern u.a. 2002; s. hierzu die Rezension von Christian Rohr, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 10 [15.10.2003], URL: http://www.sehepunkte.de/2003/10/1487.html.

[5] Dirk Meier: Frühe Deiche in Eiderstedt, in: Thomas Steensen (Hg.): Deichbau und Sturmfluten in den Frieslanden, Bräist / Bredstedt 1992, 20-31; ders.: Frühe Besiedlungsmuster und der Wandel des Naturraumes zur Kulturlandschaft in Eiderstedt und Dithmarschen, in: Ludwig Fischer (Hg.): Kulturlandschaft, Bräist / Bredstedt u.a. 1997, 45-66; ders.: Untersuchungen zum frühen Deichbau in Schleswig-Holstein und Dänemark, in: Mamoun Fansa (Hg.): Kulturlandschaft Marsch. Natur, Geschichte, Gegenwart, Oldenburg 2005, 133-147.

Marie Luisa Allemeyer