Fritz Burger: Le ville di Andrea Palladio. Contributo alla storia dell'evoluzione dell'architettura rinascimentale (1909). A cura di Elena Filippi e Lionello Puppi. Traduzione di Elena Filippi, Turin: Umberto Allemandi & C. 2004, 215 S., ISBN 978-88-422-1280-5, EUR 28,00
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1909 publizierte der Kunsthistoriker, Künstler und Schriftsteller Fritz Burger (1877-1916) mit seinem Buch Die Villen des Andrea Palladio. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Renaissance-Architektur im Leipziger Verlag Klinkhardt & Biermann die erste monographische Aufarbeitung der Landhäuser des Vicentiner Architekten. Sie sollte für die moderne Palladio-Forschung wegweisend werden. Nebst einer Einführung und einem Abschlusskapitel, in dem die Bauten im entwicklungsgeschichtlichen Kontext der frühneuzeitlichen Villenarchitektur situiert und die Rhetorik und Ästhetik ihrer Formensprache aus gattungs-, problem- und stilorientierter Perspektive analysiert werden, präsentierte der deutsche Forscher 20 respektive 25 Villen. Die schönen und präzisen Bauanalysen, die die Gebäude in ihren historischen und bauherrschaftlichen Entstehungskontext stellen, machen dabei, wie schon Heinrich Wölfflin in seiner Rezension der Publikation von 1910 festhielt [1], die eigentliche Qualität der Arbeit aus. Burger gelang es, zentrale palladianische Architekturprinzipien, die Charakteristika der Bauten und deren Ästhetik genau zu erfassen. Mit Sensibilität für die poetisch-künstlerische und "malerische" Komponente der Villen, die sich der avantgardistischen methodischen Zugangsweise dieses unkonventionellen Wissenschaftlers verdankt, ermöglichte er erstmals eine von "kritischem Bewusstsein" (Reinhard Bentmann / Michael Müller) geleitete Erfassung der Gebäude in situ. Zu einer Zeit, als der Wissensstand noch rudimentär, das umfangreiche Archiv- und Quellenmaterial nur ansatzweise gesichtet oder ausgewertet und die Besichtigung der Bauten vor Ort mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war, wusste er für die Eigenheiten der Villen in ihrem topographisch-historischen wie soziokulturellen Raum zu sensibilisieren. Allerdings blieben ihm Palladios Verankerung in der angestammten Bautradition weitgehend und der Zusammenhang der Villen mit der Bonifica-Bewegung noch gänzlich verschlossen. Der sozialökonomische Hintergrund der venezianischen Villenbewegung rückte denn auch erst seit den 1960er Jahren ins Bewusstsein der Fachwelt.
Diesen und anderen zeit- wie forschungsbedingten Relativierungen oder Korrekturen seiner Arbeit zum Trotz, die vor allem Burgers einführende wie abschließende Ausführungen betreffen, war sein Beitrag auch insofern richtungsweisend, als er (erneut) einen Architekten und mit ihm eine Kunst- und Kulturregion ins Zentrum des Interesses rückte, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts neben Florenz und Rom wenig Wertschätzung erfuhren. Mit Hilfe einer modernen Methodik, die überdies die historische und architektonische Analyse mit einer auf künstlerische Erkenntnis ausgerichteten "Zeitzeugenschaft" zu verbinden versuchte, bereitete er die Einsicht in die Bedeutung vor, die der venezianischen respektive palladianischen Villenkultur im Kontext der frühneuzeitlichen und modernen Architektur- und Kulturgeschichte zukommt.
Mit der italienischen Ausgabe dieser Schrift in der 2003 begründeten Reihe "Fonti e testi inediti e rari per la civiltà delle ville venete", mit der Burgers Buch erstmals übersetzt und neu aufgelegt erscheint, trägt das "Istituto Regionale per le Ville Venete" dem Pioniercharakter des Werks adäquat Rechnung [2].
Diese Institution, die seit 1979 den Erhalt, die Restaurierung und wissenschaftliche Aufarbeitung der venezianischen Villen mit ihren Tausenden von Exponaten sicher stellt, hat damit einem Buch und seinem Verfasser zur späten Ehrung verholfen, das aus verschiedenen Gründen paradoxerweise kaum rezipiert und dennoch wegweisend gewesen ist. Dieser Sachlage gehen die HerausgeberInnen in einer Einführung von Elena Filippi (9-27), die auch für die Textübertragung ins Italienische verantwortlich zeichnet (31-153; Anhang mit Exkurs I/II, 156), und in einem Nachwort von Lionello Puppi (209-215) detailliert nach. Eine Konkordanz am Ende des Textes, die Burgers Datierung der Villen mit den Ergebnissen der nachfolgenden Forschung vergleicht, beschließt das Buch (217).
In ihren kritischen Kommentaren führen Filippi und Puppi ein in die Aktualität, die wissenschaftshistorische Bedeutung und die Problematiken von Burgers Villenbuch. Die Kontextualisierung dieser Schrift im Rahmen der wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeit Burgers (Filippi), trägt der Persönlichkeit des Forschers als ein der "Brücke" nahestehender Künstler und als unorthodoxer Wissenschaftler Rechnung. Puppis Nachwort bringt eine Situierung und Präzisierung von Burgers Ergebnissen im Kontext des gegenwärtigen Forschungsstandes und eine Berichtigung und Würdigung der Einzelresultate seiner Studie. Allerdings hätten hier Puppis profunde Kenntnisse umfassender einfließen können, wenn er die Diskussion von Burgers Buch im Kontext der nachfolgenden Palladio-Forschung vertieft und sie nicht auf wenige ausgewählte Arbeiten der italienischen und am Rande auch angelsächsischen Forschung beschränkt hätte. Diese nicht wissenschaftlich begründete Beschränkung kommt auch in der Konkordanz zum Ausdruck, in der die Gegenüberstellung von Burgers Villendatierungen forschungskollektivistisch auf Giangiorgio Zorzis (1969) und Lionello Puppis (1973/1999) Oeuvre-Kataloge beschränkt bleibt [3].
Zudem gehen einzelne Übertragungen im grundsätzlich sorgfältig übersetzten Text am Original vorbei respektive verändern die Aussage der Sätze. Eine gewisse Freiheit dem Originaltext gegenüber kommt auch im Inhaltsverzeichnis zum Ausdruck, das nicht vollständig übernommen und übersetzt worden ist. Man verzichtete auf die Auflistung der Unterkapitel. Auch wenn es begrüßt werden muss, dass die HerausgeberInnen sich auf Burgers Originalabbildungen stützen, wäre eine bessere Abbildungsqualität dieser schönen Paperback-Publikation angemessener gewesen. Außerdem wird nicht thematisiert, dass im schwarzweißen Tafelteil in der Ausgabe 1909 einzelne Grundrisse (Taf. 4, 24.2, 27, 29) mehrfarbig gedruckt sind. Schließlich stört, wenn auf dem hinteren Buchdeckel der ursprüngliche Publikationsort der Schrift mit München (Abfassungsort) anstatt mit Leipzig (Publikationsort) angegeben wird.
Diesen Kritiken zum Trotz bleibt es das große Verdienst der HerausgeberInnen und des "Instituto Regionale per le Ville Venete" durch diese kommentierte und übersetzte Neuausgabe des Textes von Burger der modernen Palladio-Forschung ihre "Ursprünge" erneut ins Bewusstsein zu rufen. Man wünscht diesem Buch und den HerausgeberInnen der italienischen Ausgabe deshalb eine über den italienischen und architekturspezifischen Fachbereich hinaus gehende Aufnahme und Diskussion.
Anmerkungen:
[1] Heinrich Wölfflin, Rezension von Fritz Burger, "Die Villen des Andrea Palladio. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Renaissancearchitektur", in: Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. 33, 1910, S. 266-267.
[2] Die von Lionello Puppi herausgegebene Reihe wurde mit der Neuauflage von Vincenzo Scamozzis Quellentext Intorno alle ville: lodi e comodità delle fabriche suburbane e rurali (aus: V. Scamozzi, L'Idea della architettura universale, Venedig 1615) begründet.
[3] Giangiorgio Zorzi, Le ville e i teatri di Andrea Palladio, Vicenza 1969; Lionello Puppi, Andrea Palladio. L'opera completa [1973], aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, betreut von Donata Battilotti, Mailand 1999.
Kornelia Imesch