Barbara Marx (Hg.): Kunst und Repräsentation am Dresdner Hof, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2005, 360 S., 25 Farb-, 76 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-06556-7, EUR 51,00
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Im Laufe der Jahrhunderte definierte der Dresdener Hof seine Position zunächst als (kur-)fürstlich protestantischer, später als königlich katholischer Hof im Spannungsfeld zwischen ästhetischer Eigentradition und kultureller Aneignung immer wieder neu. Der von Barbara Marx herausgegebene Sammelband beschäftigt sich mit den so genannten Klassikern der Kunstgeschichte am Beispiel Dresdens: der häufig besprochenen Kunstkammer (inkl. Sammlungstypologien und Kunstankauf), Begräbnissen, Portraits, Repräsentationsräumen, Musik und abschließend einem übergeordneten Artikel über Kunst als Form einer institutionellen Herrschaftsausübung.
Barbara Marx widmet sich der Kunst als Repräsentationsmedium an den Kursächsischen Höfen Wittenberg, Torgau und Dresden und zeigt, dass die Formulierung eines eigengeschichtlichen Herrschaftsanspruches im 16. Jahrhundert zu einer lokalen Künstlerpatronage führt (10).
Gleich drei Aufsätze werden der Kunstkammer gewidmet und thematisieren unterschiedliche Aspekte. Elisabeth Tiller (40-72) analysiert den Aufbau und die Ausstattung der Kunstkammer des Kurfürsten August: Diese unterscheidet sich typologisch und topologisch von anderen Fürstensammlungen. Vor allem der Vergleich mit der rudolfinischen Sammlung zeigt, dass August "gleichsam allegorisch sein Territorium zur Werkstatt (verkürzt), um sich als lutherischer Fürst in der schieren Masse der mit höchster Kunstfertigkeit gearbeiteten Werkzeuge ebenso zu reflektieren wie einem beständigen Memento auszusetzen, dem lutherischen Auftrage Präsenz zu verleihen" (62).
Während Kristina Popva (170-198) die Kunstkammer anhand eines erhaltenen Inventars von 1640 und mithilfe der Auswertung von Briefen mehrerer Kunstkämmerer, Rechnungen und Kostenvoranschlägen ein recht farbenfrohes Ambiente in der Mitte des 17. Jahrhunderts rekonstruiert, widmet Peter Plassmeyer (156-169) seinen Aufsatz einzelnen Modellen, die in der Kunstkammer ausgestellt werden. Seine Analyse zeigt, dass die Kunstkammer nicht nur als ein Ort des Sammelns sondern vielmehr auch als ein Ort des Wirkens zu interpretieren ist. Als solche ist sie folglich immer ein Ort der Forschung, da sie einen Querschnitt ausgewählten Wissens präsentiert. Sie ist aber auch ein Ort der Dokumentation fürstlichen Handelns und damit integraler Bestandteil des Machterhalts und der Machtdemonstration. Beide Elemente bilden wichtige Bestandteile der kurfürstlichen Herrschaftsstrategie.
Begräbnisse dienen ebenfalls der Herrschaftsrepräsentation. Alexandra-Katrin Stanislaw-Kemenah (72-96) vergleicht zwei 85 Jahre auseinander liegende Begräbnisse: Am 12.09.1500 verstirbt Herzog Albrecht, am 11.02.1586 erliegt Kurfürst August einem Schlaganfall. In der Zwischenzeit wird 1539 die Reformation eingeführt und 1547 die Kurwürde errungen.
Das Handlungsgrundmuster dieser wichtigen zeremoniellen Anlässe bleibt gleich. Auch die Ausgestaltung der für die Feierlichkeiten genutzten Kirchen und die Präsentation der Särge folgt einem ähnlichen Prinzip. Es ist nicht das Bestattungsritual an sich, das sich nach der Reformation ändert, sondern das Verständnis seiner Bedeutung. Die Begräbnisse sind symbolische Visualisierungen von Herrschaft und deren Fortbestand. "Die Symbolisierungsleistungen der höfischen Repräsentation beider Landesherren brachten mit Hilfe der Begräbnisrituale die jeweilige Selbstdarstellung und den Machtanspruch nicht nur des Herrschenden, sondern nach dessen Ableben auch die Sicherung der Dynastie und die Selbstkonstitution der am Ritual Teilnehmenden sichtbar zum Ausdruck." (90)
Karin Kolb analysiert die "Wittenberger Kurfürstenbilder" als Beispiele Landesherrlicher Repräsentation an der Universität. Sie unternimmt den Versuch, aufgrund stilistischer Vergleiche die Portraits nicht der Cranach-Werkstatt sondern Lucas Cranach dem Jüngeren direkt zuzuschreiben und damit die Entstehungszeit um 1570 anzusetzen (98). Entscheidende Eckdaten und äußere Anlässe für diesen Auftrag der ursprünglich fünf, heute aber nur drei Portraits umfassenden Serie ist zum einen die so genannte zweite Fundationsurkunde von 1569 und zum anderen die in der Zeit von 1576-1580 vollzogenen Universitätsreform, die das Ziel der Vereinheitlichung der Universitätsordnungen und Zentralisierung sowie Ausbau und Festigung landesherrlicher Gewalt verfolgte.
Etwas vollmundig will sich Margitta Coban-Hensel Kurfürst August als Spiritus Rector der bildnerischen Schlossausstattungen widmen. Hierbei erscheint problematisch, dass wenig Material erhalten ist.
Nach der Belehnung mit der Kurwürde treibt August von Sachsen den Landesausbau voran und verfolgt seine persönliche Vorliebe, die Jagd. So werden zu seinen Lebzeiten eine Vielzahl von Jagdschlössern projektiert bzw. mit deren Bau begonnen. Die Thematik Ausstattung bewegt sich im Spektrum der Reichstreue und ritterlich-christlichen Tugenden. Sie mag begründet sein in der stark lutherischen Geisteshaltung, eventuell aber auch im persönlichen Geschmack des Regentenpaares.
Esther Münzberg betrachtet das gesamte Ensemble "Stallgebäude" mit dessen Doppelfunktion Stallbetrieb und Rüstkammer für den Zeitraum 1591-1683. Die Rekonstruktion des Erscheinungsbildes zeigt einen Sammlungskomplex mit einem speziell dynastisch-repräsentativen Charakter. Es wird die Intention offen gelegt, dem zeitgenössischen Betrachter ein möglichst grandioses Bild vom Herrscher zu geben (150). Zum besseren Verständnis werden virtuelle Rundgänge unter dem Blickwinkel Prestigeinvestition und Sammlung inszeniert. Die Analyse der Ausstattung unter den Aspekten Nutzung und Zeremoniell belegt, dass es sich im Falle des Stallgebäudes von Anfang an um eine definitiv museale Nutzung der höfischen Repräsentation handelt. Eine praktische Nutzung ist fast auszuschließen. Neu war seinerzeit ebenfalls für die kurfürstlichen Gemächer einen kunstkameralen Charakter zu entwickeln (149). Das Ensemble entspricht einer manieristischen Kunstkammer, in der es ausdrücklich erlaubt ist, Objekte in die Hand zu nehmen. Die Räumlichkeiten beherbergen höchst komplexe Exponate und stellen damit die Herrschaft der sächsischen Kurfürsten als "das Besondere" dar.
Zwei Aufsätze nehmen sich des großen Komplex Hofmusik an, die spezifische Inszenierungselemente ausbildet. Feste sind ohne eine Hofkapelle undenkbar. Mary Frandsen (198-217) zeichnet die vielfältigen Funktionen der Dresdener Hofkapelle nach. Während der Regentschaft Johann Georg II. erlebt diese ihren Höhepunkt von 1660-1679 (anlässlich der Karnevalsfestlichkeiten). Wichtig war auch die sonntägliche Liturgie, die Johann Georg II. entscheidend weiterentwickelte und lutherisch prägte.
Auch am Beispiel der Dresdener Oper kann man politisches Kalkül nachweisen. In der Zeit von 1694-1763 wächst die außenpolitische Bedeutung der Wettiner durch den Erwerb der polnischen Krone, aber auch durch eine äußerst geschickte Heiratspolitik. Panja Mücke stellt die Frage, inwieweit der Dresdener Hof mit der Oper seine dynastische Stellung, seine finanziellen Ressourcen und seinen ökonomischen Einfluss innerhalb des Reiches markieren konnte. Friedrich August I. vertraut primär auf die Repräsentationswirkung der Architektur, der Konzeption der Kunstsammlungen und vier Festzyklen. Für ihn dient die Oper lediglich der Benennung dynastischer Beziehungen und politischer Kräfteverhältnisse. Mit dem Anwerben von herausragenden Sängern kann 1717 institutionell und im künstlerischen Niveau an die großen Höfe Anschluss gefunden werden. Der Dresdener Hof positioniert sich kulturell-zeichenhaft auf Augenhöhe mit den einflussreichen europäischen Höfen (220). Die Oper bildet jedoch nur eine der möglichen Komponenten der Festgestaltung. Der Schwerpunkt verlagert sich während der Regentschaft Friedrich Augusts II., der verstärkt die Hofmusik fördert (218). Der besondere Rang der Hofoper resultiert nun aus der Kombination verschiedener auf einander abgestimmter künstlerischer Leistungen. Die Opera seria wird zum kulturell-repräsentativen Hauptelement.
Virginie Spenle analysiert die institutionellen Mechanismen des Kunstankaufes unter August II. und August III. und zeigt damit für das 18. Jahrhundert die neue Leitidee: der Herrscher als Kunstkenner und dem damit verbundenen Wertewandel am Hof (228-260). Dies führt zu massiven Kunstankäufen (durch Gesandtschaften und ein ausgeklügeltes Agentennetz), Schaffung neuer Räumlichkeiten, aber auch vielfach Integration der Sammlungen in das höfische Zeremoniell und zu einem Konkurrenzverhalten unter den Fürsten, schließlich werden alle finanziellen, personellen und diplomatischen Mittel mobilisiert.
Im 16. Jahrhundert ist Kunst unbestritten eine Form institutioneller Herrschaftsausübung. Christoph Oliver Mayer hinterfragt die Art und Weise der Repräsentation. Er denkt darüber nach, warum ausgerechnet die Kunst (inklusive der Medien Schrift und Bild) sich so vorzüglich für die Repräsentation eignet (261-289). Der erste Schritte zur Autonomisierung ist ein gestiegenes Selbstbewusstsein, dass mit politischen Erfolgen und konfessioneller Überzeugung einhergeht. Die symbolische Repräsentation verdeckt reale Machtkämpfe und macht faktische Machtpotenziale unsichtbar. Es wird in der Frühen Neuzeit eine bewusst inszenierte Auseinandersetzung mit der Tradition etabliert, wobei Macht in Relation zu einer anderen Macht gesetzt wird. Das hat wiederum einen kulturellen Vergleich zur Folge, der sich besonders in der institutionalisierten Repräsentation abbilden kann.
Alle Autoren können mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen - mal Analyse einzelner Objekte, mal der gesamte Komplex - nachweisen, dass das jeweilige Medium zum Zwecke der Herrschaftslegitimation dient. Möglicherweise hätte der Spannungsbogen etwas stärker herausgearbeitet werden können, wenn man eine andere Reihenfolge gewählt hätte. Der Einzelverdienst der Aufsätze wird dadurch aber nicht geschmälert, zeigt doch jeder einzelne Aufsatz, welch ausgeklügeltes "Marketing" vom jeweiligen Regenten verfolgt wurde.
Edith Ulferts