Edward B. Westermann: Hitler's Police Battalions. Enforcing Racial War in the East (= Modern War Studies), Lawrence, KS: University Press of Kansas 2005, xv + 329 S., ISBN 978-0-7006-1371-7, GBP 24,50
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Die besondere Konzentration der zeithistorischen Forschung auf die Beteiligung der Wehrmacht an nationalsozialistischen (Staats-)Verbrechen hat mitunter den Blick auf die Teilnahme anderer hoheitlicher Waffenträger etwas verstellt. Dies galt lange Zeit auch für die deutsche Polizei, obwohl deren Relevanz für die Exekution von NS-Politik von Amts wegen gegeben war und im Grunde auf der Hand lag. Doch schon der Internationale Militärgerichtshof hatte der Uniformierten Polizei im Gegensatz etwa zur Gestapo keine eigene Aufmerksamkeit gewidmet. Dass der langjährige Chef der Ordnungspolizei, Kurt Daluege, 1946 in Prag zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, konnte gerade die bundesdeutsche Erinnerung nicht wesentlich beeinflussen. Das unselige Bündnis von inner- und außerhalb der Nachkriegspolizei aktiven Ehemaligen sowie offiziell-gesellschaftlicher Geschichtsklitterung und Beschweigung tat das Seine dazu, dass die dunklen Seiten der Polizeigeschichte hinter dem seit den 1930er-Jahren offensiv propagierten Bild des "Freundes und Helfers" in Uniform verborgen blieben.
Unter den weniger beachteten polizeilichen Aktivitäten im 'Dritten Reich' stellte die unmittelbare Beteiligung von Polizeibataillonen an den nationalsozialistisch inspirierten Eroberungs- bzw. Vernichtungsfeldzügen mitsamt der Teilnahme am Holocaust mit das dunkelste Kapitel dar. Die in derlei Fällen zu Tage tretende offene Mordlust oder demonstrative Kaltblütigkeit von Massenmördern in Polizeiuniform zwangen parallel zur jüngeren Aufarbeitung dazu, neu nach Motiven und Antriebskräften von Tätern überhaupt zu fragen. Von daher war es kein Zufall, dass Daniel Goldhagen gerade am Beispiel von Polizeibataillonen seine zu Recht sehr umstrittene These vom "eliminatorischen Antisemitismus" als Bestandteil deutscher Kultur entwickelte. Auf Grund dieses Generalanspruchs hielt es Goldhagen denn auch für unnötig, "die Entwicklung der Ordnungspolizei oder der Polizeibataillone während der NS-Zeit" in seine Untersuchung zu integrieren. [1]
Dagegen hat sich Westermann in seiner Studie ausführlich mit eben dieser Entwicklung befasst. Sein Ziel ist es, die, im Sinne von Edgar H. Schein, "Organisationskultur" der Ordnungspolizei zu bestimmen, die die großflächigen Mordeinsätze durch Polizisten denk- und praktizierbar gemacht habe. [2] Dieses Modell sucht den Schlüssel zur Ergründung institutioneller Identität vor allem bei der Organisationsspitze. Auf diese Weise kann Westermann anhand der Vorstellungen Himmlers und Dalueges unschwer Antisemitismus und Antibolschewismus als wesentliche Säulen eines neuen Kodex herauspräparieren. Beide ideologischen Versatzstücke erweisen sich in den von Westermann beigebrachten Detailstudien als wichtige, aber kaum als einzige Antriebsfaktoren individuellen Handelns vor Ort. Das belegen die erschreckend wenigen, für die Verweigerer keineswegs exzeptionell gefährlichen Fälle, in denen Polizisten die Mitwirkung an Mord und Totschlag explizit ablehnten. Westermann geht es in seiner komprimierten und klaren Darstellung allerdings, wie bereits gesagt, auch gar nicht um die Bestimmung eines vermeintlich allein ausschlaggebenden Bedingungsfaktors verbrecherischen Handelns im NS-Staat, sondern um die Ausleuchtung notwendiger sowie stimulierender Rahmenbedingungen.
Das erwähnte ideologische Substrat allein reichte aus Sicht der neuen Machthaber nicht aus, um Gesetzeshüter zu Tätern werden zu lassen. Vielmehr musste diese mit einer neuen, "soldatischen" Identität ausgestattet werden. Die entsprechenden Maßnahmen der Nationalsozialisten konnten insgesamt an Tendenzen sowohl einer (völkisch-)rechten Ideologisierung als auch der Militarisierung der Polizei aus der Zeit vor 1933 anknüpfen. Dabei legten sie von Beginn an besonderen Wert auf eine gezielte Personalpolitik: Innerhalb weniger Wochen hatten Göring und Daluege (in Preußen), Frick (im Reich) und Himmler (in Bayern) Schlüsselpositionen für Kontrolle und Lenkung der Polizei übernommen respektive gefestigt. Diese Positionen nutzten sie weidlich, um die Polizeikader auf allen Ebenen mit erprobten Anhängern zu durchsetzen. Zugleich postulierten sie die eigenen Feindbilder mitsamt der ideologischen Radikalität als neue Richtlinien polizeilichen Handelns: Hierfür stehen etwa der berüchtigte Schießbefehl Görings oder die Bildung einer preußischen Hilfspolizei aus Mitgliedern der SA, SS und des Stahlhelms jeweils bereits im Februar 1933. Diese Doppelentwicklung mündete trotz der mitunter miteinander konkurrierenden persönlichen Vorstellungen oder Ambitionen in den Führungsetagen zügig in der organisatorischen Verschmelzung von Partei- und Staatstruppen unter dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Himmler bzw. unter den Höheren SS- und Polizeiführern im Reich und in den besetzten Gebieten.
Die strukturelle Entwicklung ging mit einer zunehmend militarisierten Ausbildung Hand in Hand. Als deren Ziel benannte Daluege bereits im Herbst 1937 die Einsatzfähigkeit im Kriege. Die ab 1936 laufenden Bemühungen um den Aufbau einer Kolonialpolizei verweisen beispielhaft auf die ideologisch fundierte Aufgabendefinition zurück. Westermann beschreibt in diesem Kontext ausführlich die vielfältigen Mittel einer eingehenden Indoktrination mittels Lehrplan, Presse, Kameradschaftsabenden usw., die zur inneren Ausrichtung der Polizei auf eine "SS-Ethik" (Westermann) beitrug. Zu dem besonderen Stellenwert der Polizei passte, dass sie analog zur SS, aber im Gegensatz zur Wehrmacht, "Mischlinge" nicht in ihre Reihen aufnehmen wollte. Daneben erwies sich etwa die Kooperation mit Gestapo und SS inner- und außerhalb der Reichsgrenzen als Medium und zugleich Beleg der fortschreitenden ideologischen Erziehung.
Der Überfall auf Polen, das Unternehmen "Barbarossa" und die Besatzungspolitik im Osten markierten neue Wirkungsstufen der ideologisierten Polizeisoldaten: Diese Kapitel bilden den eigentlichen Fokus von Darstellung und Argumentation Westermanns.
Im August 1940 war mit 59.000 Mann fast die Hälfte der verfügbaren Polizeikräfte in insgesamt 101 Bataillonen organisiert. Von diesen wiederum waren allein 20 im Generalgouvernement und in den annektierten polnischen Gebieten, weitere sieben im Protektorat stationiert - deutliche Belege für den hohen Stellenwert der Polizeibataillone für die deutsche Besatzungspolitik und ihre Verbrechen. Ihre Tätigkeit erstreckte sich von der Mithilfe bei der "Rückführung" ethnisch Deutscher bis hin zur Verfolgung von Sinti und Roma. Die von der Wehrmacht begrüßten "Partisaneneinsätze", die Tötung von Kriegsgefangenen und Massenmorde an Juden und anderen politisch oder rassenideologisch verfemten Opfergruppen gehörten buchstäblich zum Polizeialltag (einschließlich Schutzpolizei und Gendarmerie im Ausland). Von daher kann es nicht verwundern, dass Polizisten aus eigener Initiative heraus Vernichtungsaktionen initiierten oder ausweiteten. Westermann verzichtet bewusst auf den Versuch, eine statistische Bilanz ihres Wirkens zu ziehen. Er macht aber nachdrücklich die mörderische Effizienz einer "kumulierenden Vernichtungsstrategie" deutlich (238 f.), der überall und immer wieder einzelne, dutzende oder hunderte Menschen zum Opfer fielen.
Im Feuer sowjetischer Gegenoffensiven hatten die Polizisten neben ideologischer Verlässlichkeit schließlich auch ihre rein "soldatische" Kampfkraft zu beweisen. Auf diese Weise entsteht tatsächlich ein Bild "politischer Soldaten" in Polizeiuniform, die ganz dem Beispiel ihrer nationalsozialistischen Führungselite folgten. Das von Westermann dargelegte, gradlinige Entwicklungskontinuum weist indes an einigen Stellen Bruchstellen auf, die zur weiteren Diskussion anregen werden. So muss die militärische Ausbildung von Polizisten gerade bis 1934 nicht zwangsläufig als bewusste Militarisierung der Polizei interpretiert werden, sondern fügte sich in die verdeckten Rüstungsanstrengungen des Deutschen Reichs ein; ähnlich ambivalent stellt sich das überlieferte Lob der Wehrmacht für die militärischen Fertigkeiten der 1935 in die Armee überführten und damit für die Polizei verlorenen preußischen Landespolizei dar. Unabhängig hiervon können NS-motivierte Verbrechen österreichischer Polizisten (213 ff.) natürlich auf den prägenden Einfluss deutsch-nationalsozialistischer Führungskader verweisen. Sie setzen damit aber zugleich auf eine relativ abrupte Wirksamkeit der spezifischen, über Jahre hinweg herangewachsenen Organisationskultur, die eher vorausgesetzt als nachgewiesen wird. Ähnliches gilt schließlich hinsichtlich des "Rückgrats" (83) der Polizeibataillone, für die rund 26.000 Mann also, die erst im Oktober 1939 für die Polizei rekrutiert worden waren.
Gerade deren problemlose, sofortige Verwendbarkeit für nationalsozialistisch definierte und ausgestaltete Polizeiaufgaben führt letztlich wieder zur Frage nach vorpolizeilichen Prägungen zurück. So beschreibt Westermann im Fazit prägnant die Umbildung der deutschen Polizeiapparate in wesentliche Instrumente nationalsozialistischer Eroberungs- und Rassenpolitik und weist die Bedeutung der NS-Ideologie als ein wichtiges Handlungsmotiv auch unterer Chargen nach. Ob sich angesichts der besonderen Kaderpolitik und der politischen Entwicklungen ab 1933 die Organisationskultur der Polizei allerdings tatsächlich so klar von ihrem Umfeld abhob, ist allerdings weniger eindeutig geklärt, wodurch ganz nebenbei der Blick für die Komplexität der notwendigen Erklärungsmodelle für Polizeiverbrechen im Nationalsozialismus zusätzlich geschärft wird.
Anmerkungen:
[1] Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996, 219. Zur Gesamtbewertung vgl. bereits Dieter Pohl: Die Holocaust-Forschung und Goldhagens Thesen, in: VfZ 45 (1997), 1-48.
[2] Vgl. Edgar H. Schein, Organizational culture and leadership, San Francisco 1985.
Andreas Hilger