Georg Friedrich Koch: Die Reisen nach Italien 1803-1805 und 1824. Überarbeitet und ergänzt von Helmut Börsch-Supan und Gottfried Riemann (= Karl Friedrich Schinkel. Lebenswerk; Bd. XIX), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2006, 688 S., 17 Farb-, 682 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-06601-4, EUR 168,00
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Nachdem bereits 1979 Gottfried Riemann die beiden Reisetagebücher Karl Friedrich Schinkels seiner 1803-1805 und 1824 unternommenen Reisen nach Italien herausgegeben hatte [1], liegt nun in der Reihe des "Schinkel-Werks" eine neue kommentierte Edition vor. Die Tagebücher werden wortgetreu einschließlich der Korrekturen und in originaler Schreibweise wiedergeben und mit fast allen der rund 750 Einzelblätter und Studien in Skizzenbüchern Schinkels illustriert. Vor nicht weniger als 40 Jahren, 1966, hatte Georg Friedrich Koch den Auftrag zur Bearbeitung der Italienreisen von der damaligen Herausgeberin des Schinkel-Werks, Margarete Kühn, bekommen. 1991 war sein Manuskript abgeschlossen, doch kam Kühn nicht mehr zur Redaktionsarbeit, sie starb 1995, nachdem Koch selbst bereits ein Jahr zuvor verstorben war. Börsch-Supan und Riemann als neue Herausgeber des "Schinkel-Werks" nahmen sich schließlich des Manuskripts an, das sie grundsätzlich neu überarbeiteten, sodass das nun vorliegende Werk zwar auf Kochs grundlegenden Arbeiten beruht, vor allem aber eine Leistung der beiden Bearbeiter ist. Für die einleitenden Ausführungen zur ersten und zweiten Reise, den Katalog der Zeichnungen sowie den Exkurs zu "Schinkels Blick auf die Kunst und Begegnungen mit zeitgenössischen Künstlern 1824" zeichnet Börsch-Supan allein verantwortlich. Beide Herausgeber gemeinsam besorgten die Edition der Texte und weiterer Quellen unter denen die Tagebuchfragmente und Briefe von Schinkels Begleiter auf der ersten Reise, Johann Gottfried Steinmeyer, besondere Beachtung verdienen. Gegenüber der Riemann'schen Edition von 1979, die die Texte in gereinigter Form ansprechend auch für ein breites Publikum aufbereitete und mit den schönsten Zeichnungen Schinkels bebilderte, steht nun wie bei Reinhard Wegners Edition von Schinkels Frankreich- und Englandreise von 1826 (Schinkel Lebenswerk; Bd. 16, 1990) Textkritik und vollständige Präsentation aller mit der Reise in Zusammenhang stehenden schriftlichen und bildlichen Zeugnisse (Tagebücher, Briefe, Briefentwürfe, Zeichnungen, Skizzen) im Vordergrund. Obwohl die Herausgeber den von Koch vorgesehenen umfangreichen Kommentar gestrafft haben, ist der Anmerkungsapparat zu den Tagebüchern noch immer sehr ausführlich und gibt zu allen besuchten Orten, Bauten sowie zu allen Personen, die Schinkel in den Tagebüchern erwähnt, knappe, sachlich informative und immer verlässliche Erläuterungen.
Die Bedeutung gerade der ersten Reise für Schinkels künstlerischen Werdegang steht außer Zweifel. Indem die Herausgeber auch die Korrekturen und Streichungen in Schinkels Aufzeichnungen aufgenommen haben, erfährt man nun auch wie der junge Künstler während der Reise gedanklich und stilistisch an sich arbeitet, um seine mit offenen Augen aufgenommenen Eindrücke auch sprachlich angemessen umzusetzen. Besonders deutlich wird dieser Reifeprozess auch im Vergleich mit dem Tagebuch der zweiten Reise von 1824, das er vor allem für seine Frau Susanne schrieb. Der Staccatostil der ersten Reise weicht hier zuweilen literarisch anmutenden Passagen. Deutlich spiegelt sich auch der gegenüber der ersten Reise andere Zweck, denn Schinkel reiste diesmal nicht um sich künstlerisch zu bilden, sondern er hatte von Minister von Altenstein den konkreten Auftrag, seine "Kunstreise" in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Museumsbau und dem Sammlungsaufbau in Berlin zu stellen (Brief des Ministers, 639-641). Während Schinkel auf der ersten Reise noch ein Suchender ist, tritt er die zweite Reise als ein anerkannter Künstler und Architekt an. Auf der ersten Reise hatte er sich als Landschaftsmaler so weit qualifiziert, dass er gegen seinen "Willen" und seine "Bestimmung" von Jospeh Anton Koch und anderen Malern mehr als Landschaftsmaler denn als Architekt beurteilt wurde (Brief an Carl Gotthard Graß, 165). Diesen Eindruck bestätigen allerdings auch die zahlreichen Landschaftszeichnungen und Aquarelle Schinkels, die gegenüber reinen Architekturaufnahmen überwiegen. Die Perfektion der Entwürfe für ein Landhaus bei Syrakus (Kat. 291-296) und die grandiosen Innenansichten der Dome von Prag, Mailand und anderen Kirchen zeigen jedoch Schinkels Anspruch an sein eigentliches Metier. Mit in den Katalog der Zeichnungen wurden die auf der Reise entstandenen Zeichnungen zu "Verziehrungen aus dem Altherthume", die Ernst Friedrich Bussler als Kupferstiche herausgab, aufgenommen sowie auch die Vorzeichnungen zu den 1807-1815 entstandenen Dioramen, die auf Reisestudien beruhen. Unter den Zeichnungen zur zweiten Reise fallen die Entwürfe für die architektonische Anordnung des Grabmals Papst Pius' VII. in St. Peter in Rom heraus, die Schinkel für Berthel Thorwaldsen entwarf (Kat. Nr. 496-498) und über dessen anerkennendes Lob er sehr erfreut war (315).
Persönliches über Schinkel selbst und seine Reisebegleiter erfährt man in beiden Tagebüchern nur wenig. Das Wenige aber bestätigt das hohe menschliche Bild von Schinkel: Als er und sein Begleiter Steinmeyer, der spätere Architekt von Putbus einmal in einer Herberge Zeuge einer pikanten Szene im Nachbarzimmer werden, ist es Schinkel der Steinmeyer "Ruhe und Bezähmung" als dem "Edelste[n] des Menschen" predigt (Brief an Friedrich Moser, 167). Die zuweilen derben Scherze des neben Gustav Friedrich Waagen, August Kerll dritten Mitreisenden der zweiten Reise, Henri François Brandt ist Schinkel bald überdrüssig und resümiert in einem Brief zu Ende der Reise seiner Frau über den "trivial gewordene[n] Brandt": "Ausser einigem Spass den er uns gemacht hat er uns nichts genutzt, wohl aber wir ihm." (Brief an Susanne Schinkel, 378). Liebevoll sind seine Brief an Susanne und seine Kinder und man wünscht sich mit ihm, dass er einmal so "reich" würde, um mit seiner Familie "in Musse des Vergnügens wegen" noch einmal nach Rom kommen zu können (Brief an Susanne Schinkel, 374). Kontakt zu Architektenkollegen hat Schinkel offensichtlich nicht gesucht, lediglich Wilhelm Stier begegnete er mehrfach, auch zu den so zahlreichen deutschen Künstlerkollegen in Rom suchte er keinen dauernden Kontakt. "Das Cafe Greco, den Treffpunkt der deutschen Künstler, hat er nicht besucht."(602)
Während der Inhalt der Tagebücher durch die Riemann'sche Edition bereits bekannt waren, liegt die eigentliche Überraschung der Neuedition zum einen in ihrer Vollständigkeit, zum anderen aber in der Aufnahme des leider nur fragmentarisch überlieferten Tagebuchs Steinmeyers, der Schinkel 1803-1805 begleitete (603-635). Ganz im Kontrast zu Schinkels nüchtern sachlicher Diktion sprudelt es aus Steinmeyer nur so heraus. Farbenreich und ausführlich schildert er "Land und Leute", zuweilen ist er gar witzig, aber auch als Architekturbeobachter brilliert er, wie ein Beispiel zeigen mag: "Die Baukunst gleicht hier in Dresden einer Coquette, die, um ihre Schätze zu höhen, den ganzen Vorrat ihrer Garderobe zum Aushängeschild so appliziert hat, dass keine wirkliche Form mehr sichtbar geblieben ist und die man für etwas ganz anderes hält, als sie in der Tat ist. Überladener Flitterstaat ist der Hauptcharakter der Gebäude..." (606). Dass der Bericht nur bis zur Abfahrt von Corniale nach Triest überliefert ist und nur einige Briefe über die weiteren Stationen der Reise berichten, ist ein großer Verlust.
Leider haben die Herausgeber die Edition der Tagebücher von Heinrich Gentz, der 1790-1795 auf ähnlichen Wegen durch Italien und auf Sizilien wie Schinkel dreizehn Jahre später reiste, nicht zur Rate gezogen. [2] Gewiss war Schinkel über Gentz' Reiseerfahrungen unterrichtet. So besichtigte er in Palermo die Scuola Botanica (1789) von Léon Dufourny (fälschlich: "dorischen Gartensaal vom Architekten du Fournier", 104) als eines der wenigen zeitgenössischen Bauten, zu denen er sich überhaupt äußert. Auch Gentz hatte sich intensiv mit diesem Bau auseinander gesetzt und es ist zu vermuten, dass er Schinkel über diesen von ihm positiv aufgenommenen Bau informierte. Ein näherer Vergleich der beiden Reisetagebücher dürfte darüber hinaus einige Erkenntnisse über die Art des Umgangs mit der von beiden verwendeten Guidenliteratur erbringen. Was war Konvention, wo zeigt sich eigenes Interesse und der Drang zu neuen Entdeckungen? Auch wäre das kunst- und architekturgeschichtliche Vokabular, etwa der Begriffs der "sarazenischen Baukunst", den Gentz und Schinkel gebrauchen, oder der Begriff des "Paulinzeller Stils" den Schinkel und Steinmeyer benutzen, auf gemeinsame Quellen hin zu prüfen. Weiterhin wäre es gewiss eine lohnenswerte Forschungsaufgabe, Reisetagebücher wie diejenigen Gentz' oder Schinkels einer Parallellektüre mit der einschlägigen Guidenliteratur und der Kunstliteratur zu unterziehen. So könnte etwa das immer wiederholte negative Urteil über die Sakristei von St. Peter in Rom vielleicht letztlich auf Milizia zurückgeführt werden, von dem aus es dann zur Standardkritik wurde. Solide textkritische Editionen wie die vorliegende bilden für alle weitere Forschung in diese und andere Richtungen die notwendige Grundlage.
Anmerkungen:
[1] Gottfried Riemann (Hrsg.): Karl Friedrich Schinkel: Reisen nach Italien: Tagebücher, Briefe, Zeichnungen, Aquarelle, Berlin 1979.
[2] Michael Bollé und Karl Robert Schütze (Hrsg.): Heinrich Gentz (1766-1819): Reise nach Rom und Sizilien 1790-1795; Aufzeichnungen und Skizzen eines Berliner Architekten, Berlin 2004.
Klaus Jan Philipp