Rezension über:

Umberto Roberto (a cura di): Ioannis Antiocheni Fragmenta ex Historia chronica (= Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur. Archiv für die Ausgabe der Griechischen Christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte (TU); Bd. 154), Berlin: De Gruyter 2005, CCXI + 661 S., ISBN 978-3-11-018687-1, EUR 178,00
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Rezension von:
Mischa Meier
Seminar für Alte Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Mischa Meier: Rezension von: Umberto Roberto (a cura di): Ioannis Antiocheni Fragmenta ex Historia chronica, Berlin: De Gruyter 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/12/10017.html


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Umberto Roberto (a cura di): Ioannis Antiocheni Fragmenta ex Historia chronica

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Seit Jahrzehnten stellte eine moderne, die neuesten Ergebnisse der (insbesondere quellenkritischen) Forschungen zur spätantiken Historiografie berücksichtigende Edition der Chronik (historía chroniké) des Johannes von Antiocheia ein wichtiges Desiderat dar. Die bisher maßgebliche Fragmentsammlung von C. Müller (FHG IV-V) aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist - was nicht weiter verwundern dürfte - nicht nur in wesentlichen Punkten der Text- und Quellenkritik sowie der Fragmentzuordnungen überholt, sondern auch schlichtweg unvollständig. [1] Dass es trotzdem derart lange gedauert hat, bis nunmehr ein aktueller Johannes-Text vorgelegt werden konnte, dürfte vor allem mit der komplizierten Überlieferungslage der nur fragmentarisch erhaltenen Chronik zusammenhängen, die nichtsdestotrotz ausgesprochen wichtiges Material zur Geschichte der Spätantike sowie zu älteren, nicht mehr erhaltenen Historikern und Chronisten bietet. Umberto Roberto hat sich der herculischen Aufgabe gestellt und sie mit Bravour gelöst. Sein kritischer Text, dem eine italienische Übersetzung der Fragmente sowie eine ausführliche Einleitung - die bisher beste geschlossene Darstellung der mit Johannes zusammenhängenden Probleme - beigegeben ist, stellt die Johannes-Forschung auf eine neue Basis.

Dabei ist nahezu alles an Johannes umstritten, angefangen mit seiner Datierung: Der konventionellen Sichtweise zufolge umfasste seine christliche Universalgeschichte ursprünglich den Zeitraum von Adam bis zur Usurpation des Herakleios im Jahr 610 n. Chr.; folgerichtig wurde Johannes als Autor des beginnenden 7. Jahrhunderts angesehen. Demgegenüber hatte jedoch im Jahr 1989 Panagiotis Sotiroudis darauf aufmerksam gemacht, dass die als authentisch anzusehenden Johannes-Fragmente offenbar mit Berichten über die Zeit des Anastasios (491-518) enden; alle dem Johannes von Antiocheia zugeschriebenen Fragmente, die sich auf die spätere Phase bis Phokas (602-610) beziehen, weisen seiner Ansicht nach signifikante Eigenheiten auf, die den Autor zu der (bisher nicht widerlegten) These geführt haben, dass Johannes von Antiocheia sein Werk um 520/530 verfasst haben müsse und mit dem von Euagrios erwähnten Johannes Rhetor identisch sei, der ein Geschichtswerk bis zum Jahr 526 hinterlassen habe (ebd., 148-153). Das für die spätere Zeit einschlägige Textmaterial müsse dementsprechend einem anonymen Johannes-Continuator zugeschrieben werden. [2] Roberto hingegen kehrt wieder zur herkömmlichen Datierung zurück (XI-XII), mit folgenden Argumenten:

1.) Der von Euagrios mehrfach erwähnte Johannes Rhetor zeige ein deutliches Interesse an Antiocheia, was für eine Identifikation mit Johannes Malalas spreche; Johannes von Antiocheia hingegen konzentriere sich - trotz seiner Herkunft - vor allem auf Rom und Konstantinopel (XIIf., Anm. 3).

2.) Johannes Antiochenus kannte die Chronik des Johannes Malalas, und zwar auch deren so genannte 2. Auflage, die die späteren Jahre Justinians bis zu dessen Tod 565 umfasste. Eine Datierung in die 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts ist somit unmöglich (XIII).

3.) Das Werk des Johannes von Antiocheia offenbart ein deutliches Interesse an politischen Fragen, insbesondere an Fragen nach legitimer bzw. illegitimer Macht, nach guten und schlechten Monarchien und der Gestalt von Tyrannenherrschaften. Vor diesem Hintergrund sei Johannes' Interesse für eine Behandlung des "Tyrannen" Phokas und ein Abschluss des Werkes mit dessen Sturz und dem Herrschaftsantritt des Herakleios folgerichtig (XIII-XIV).

Diese Argumente haben einiges für sich. Eine Datierung des Johannes in das frühe 7. Jahrhundert scheint damit wieder eine solidere Basis zu finden, wenngleich der im Vergleich zum erhaltenen Rest des Werkes auffällig abweichende Charakter der Fragmente für die Spätzeit weiterhin erklärungsbedürftig bleibt. Allerdings verändert auch die Chronik des Johannes Malalas im zweiten Teil des abschließenden 18. Buches in deutlicher Weise ihren Charakter - alle Versuche, hierin das Werk eines anonymen Fortsetzers zu sehen, haben sich bisher als nicht überzeugend erwiesen.

Robertos Einleitung behandelt neben der schwierigen Verfasser- und Datierungsfrage auch den zwischen klassizistischen und chronikartigen Einflüssen oszillierenden Charakter der Chronik sowie - in gebotener Ausführlichkeit und mit enormer Detailkenntnis - die Überlieferungsprobleme (XXXI-CXXIV); ebenso wichtig für die Analyse des Werkes sind seine Quellen, denen Roberto anschließend nachgeht (CXXV-CLVII). Dass sich unter den benutzten Autoren neben älterem Material sowohl 'klassizistische' Historiografen (z. B. Eunapios, Priskos) als auch Kirchenhistoriker (Sokrates) und Chronisten (vor allem Johannes Malalas), ja sogar eine griechische Version des Eutropius (CXXXI-CXXXIV) finden, verweist auf den weiten Horizont des Johannes. Die abschließenden Kapitel der Einleitung widmen sich dem Schicksal der Johannes-Chronik (CLVII-CLXVIII) und nehmen Stellung zur älteren Edition von C. Müller (CLXIX-CLXXIII).

Die anschließende Präsentation der Fragmente, jeweils mit italienischer Übersetzung (1-575), ist klar gegliedert, übersichtlich angeordnet und über mehrere Register gut zu erschließen. Eine eingehende Auseinandersetzung mit diesem Hauptteil des Buches kann und muss im Rahmen dieser Anzeige freilich nicht erfolgen.

Nicht alle Entscheidungen Robertos werden einhellige Zustimmung finden - so z. B. seine Bewertung der Excerpta Salmasiana, die bereits von Bruno Bleckmann kritisiert worden ist. [3] Trotz allem: Mit der nun vorliegenden Edition ist ein wichtiger Fortschritt erzielt worden, und die dahinter stehende Leistung gilt es vorbehaltlos anzuerkennen. Ohne Robertos Johannes-Edition wird sich niemand mehr seriös mit quellenkritischen Problemen der spätantiken Historiografie beschäftigen können.


Anmerkungen:

[1] Fragmenta Historicorum Graecorum (FHG) collegit, disposuit, notis et prolegomenis illustravit Carolus Müllerus, Vol. IV, Paris 1868, 535-622; Vol. V, Paris 1883, 27-38.

[2] P. Sotiroudis: Untersuchungen zum Geschichtswerk des Johannes von Antiocheia, Thessaloniki 1989, 39 ff., 148-153.

[3] Siehe B. Bleckmann: Rezension zu Robertos Edition, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 9 (2006), 1071-1075, URL: http://gfa.gbv.de/dr,gfa,009,2006,r,08.pdf [10.10.2006].

Mischa Meier