Rezension über:

Mark van Hattem / Mariska Pool / Mathieu Willemsen (eds.): In the Wake of Napoleon. The Dutch in time of war 1792-1815, Bussum: Uitgeverij Thoth 2005, 128 S., ISBN 978-90-6868-404-9, EUR 34,50
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Rezension von:
Christoph Rehm
Wehrgeschichtliches Museum, Rastatt
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Rehm: Rezension von: Mark van Hattem / Mariska Pool / Mathieu Willemsen (eds.): In the Wake of Napoleon. The Dutch in time of war 1792-1815, Bussum: Uitgeverij Thoth 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/12/10220.html


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Mark van Hattem / Mariska Pool / Mathieu Willemsen (eds.): In the Wake of Napoleon

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Mit einer Vielzahl von Veranstaltungen wird in diesem Jahr die 200. Wiederkehr des Umbruchjahres 1806 begangen. Doch nicht nur in Deutschland wird in hochrangigen Ausstellungen an diese Zeit erinnert. Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass diese wechselhafte Epoche nicht nur hierzulande präsent, publikumswirksam und somit für die Museen zugkräftig ist. Das Königliche Armee- und Waffenmuseum Delft präsentierte vom 14. Oktober 2005 bis zum 1. April 2006 eine Ausstellung über die Niederlande in den Jahren 1792 bis 1815, als deren Begleitband das hier vorzustellende Buch erschienen ist.

Die Republik der Vereinigten Niederlande war der erste Staat Alteuropas, der dem Ansturm des revolutionären Frankreich nicht standhielt. Mit ihrem Ende und der Gründung der Batavischen Republik nach französischem Vorbild, 1795, begann die Neuordnung des Kontinents und eine zwanzigjährige Phase, während der auch die Niederlande nicht zur Ruhe kommen sollten, sondern andauernd staatliche Um- und Neugestaltungen über sich ergehen lassen mussten. 1806 kassierte Napoleon die Republik und übertrug sie als Königreich Holland seinem Bruder Louis, der jedoch eine zu große Selbständigkeit entwickelte. Nachdem es zum Bruch zwischen beiden Brüdern gekommen war, besetzten 1810 französische Truppen Holland. Die Niederlande wurden ein Teil des französischen Kaiserreiches. Der Friede von Paris schließlich leitete die Rückkehr der Oranier ein, und der Sohn des letzen Erbstatthalters bestieg als Wilhelm I. den Thron des neugegründeten Königreiches der Niederlande.

In einem für die Museumslandschaft nach wie vor ungewöhnlichen Zugriff nahm die Ausstellung diese unruhigen und wechselhaften Jahre aus der Nahperspektive in den Blick und fragte nach dem konkreten Kriegserleben der unmittelbar beteiligten Menschen. Paradigmatisch wählten die Ausstellungsmacher 19 Personen aus, denen gemeinsam eine aktive militärische oder politische Rolle war. Dabei versuchten sie, einen möglichst breiten sozialen Querschnitt zu präsentieren. Neben König Louis und dem Kronprinzen Wilhelm von Oranien sind es Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten. Aber auch Armeelieferanten, Ärzte und die Rolle der Frauen innerhalb der damaligen Heere werden berücksichtigt. Außen vor bleibt die Zivilbevölkerung, ohne deren freiwillige oder (zumeist) erzwungene Unterstützung das ganze System der napoleonischen Kriegführung nicht vorstellbar ist. Hervorzuheben, weil von der Geschichtsschreibung all zumeist vernachlässigt, ist die Berücksichtigung der immensen Leiden und des massenhaften Todes, die der Krieg für Hunderttausende von Pferden in einer Zeit bedeutete, in der diese nicht nur als Reittiere der Kavallerie unmittelbar am Kampfgeschehen teilnahmen, sondern auch jede Heeresbewegung einzig und allein von ihrer Zugkraft abhing.

Die zentralen Themen sind die Fragen nach dem konkreten Leben im Krieg und dem persönlichen Erleben von Gewalt, Elend und Tod. Daneben wird versucht, die Motivationen näher zu beleuchten, die hinter persönlichen Entscheidungen in bestimmten Schlüsselsituationen standen. Untersucht werden etwa die Triebfedern, die zum Eintritt in das Militär führten. Besonders reizvoll ist die Aufarbeitung der Beweggründe, die hinter vielfach geforderten Loyalitätsentscheidungen standen. In dieser von Wechseln und Brüchen geprägten Zeit war der Einzelne immer wieder mit der Frage konfrontiert, wem er die Treue halten sollte und wem er Gehorsam schuldete: Dem Haus Oranien oder der Batavischen Republik, dieser oder König Louis, dem König oder dem Kaiser, Napoleon oder wieder den Oraniern? Weitestgehend zeichnen sich dabei Handlungsmuster ab, die von persönlichen Loyalitätsgefühlen gegenüber der Einheit und den Kameraden, von Karrieredenken oder individuellen Überlebensstrategien, aber auch von militärischer Berufsethik geprägt waren.

Dabei wird Erstaunliches zutage gefördert, das mit vertrauten Stereotypen nationalstaatlicher Überlieferung kollidiert. So etwa das Verhalten des Oberst Jan Coenraad Duuring, eines gebürtigen Rotterdamers, der seine außergewöhnliche Karriere in der batavischen Armee begann, dann für einige Jahre zur Marine wechselte, um in den Kolonien 1802 wieder bei der Infanterie zu dienen. 1806 kehrte er mit seinem Bataillon nach Europa zurück und wurde Offizier der königlichen Armee. 1809 zeichnete er sich bei der Niederschlagung des Schillschen Zuges aus, wurde in die Garde Louis Bonapartes versetzt, 1810 dann mit seinem Regiment in die französische Kaisergarde übernommen. 1814 folgte er nicht dem Ruf der Heimat nach Offizieren, sondern blieb seinem Eid treu und bei seiner Truppe in Frankereich. In Waterloo führte er und nicht ein Franzose das letzte intakte Bataillon der Kaisergarde und deckte die Flucht Napoleons vom Schlachtfeld. Nach der Rückkehr der Bourbonen musste Duuring die französische Armee verlassen. Aber auch in der niederländischen Armee war nun kein Platz mehr für ihn, der an seinem Napoleon geleisteten Eid festgehalten hatte.

In mühevoller Arbeit gelang es den Ausstellungsmachern, ihre Fragestellungen ausschließlich an Originalstücken abzuarbeiten, die in ihrer überwiegenden Mehrheit in unmittelbarem Zusammenhang mit den ausgewählten Personen standen. Eventuelle thematische Leerstellen wurden in Kauf genommen und nicht durch ein Übermaß an Inszenierung kompensiert, wie es sonst so oft bis zum Überdruss zu sehen ist. Diese lobenswerte konzeptionelle Einschränkung führt aufgrund der lückenhaften Überlieferung an ausstellungsfähigen Sachzeugnissen und Quellen unweigerlich zu einer inhaltlichen Beschränkung, was natürlich auch Konsequenzen für den Begleitband hat.

Dieser folgt der biographischen Ausstellungskonzeption, indem er in seinem Hauptteil die 20 Lebensbilder noch einmal essayistisch vertieft. Eingerahmt werden sie durch vier kürzere Beiträge, die es ermöglichen, die einzelnen Biographien besser in den historischen Gesamtkontext einzuknüpfen. Mark van Hattem gibt zu Beginn einen Überblick über die wechselhafte Geschichte der niederländischen Truppen von der Armee der Generalstaaten über die republikanischen Truppen und die Armee des Königreiches bis zu deren Eingliederung in die französische Armee und der Neugründung der Königlich Niederländischen Armee.

Jos Hilkhuijsen zeigt auf, wie das Kriegsgeschehen die bildenden Künste beeinflusste. An ausgewählten Kaiserporträts und Schlachtengemälden zeitgenössischen Karikaturen und den "Desastres" von Goya verdeutlicht er, wie unterschiedlich die Künstler auf die militärischen und politischen Ereignisse reagierten: von der Panegyrik der napoleonischen Hofkunst, der Kritik und Diffamierung des Gegners durch die Satiriker bis zur resignativen Anklage des Krieges und der menschlichen Existenz überhaupt durch Goya.

Mathieu Willemsen zeichnet die Geschichte der Feuerwaffenproduktion in der Manufaktur Cuilenburg und deren Probleme nach, die am Ende zur Verdrängung durch Lüttich und Maastricht führten. Heereskundlich geprägt schließlich ist der Beitrag von Harm Stevens über Blankwaffen der Epoche.

Dennoch bleiben Zusammenhänge im Dunkeln, etwa über die Katastrophe der Grande Armee, die aufgrund der beschränkten Möglichkeiten der Heeresversorgung absehbar war. Hilfreich wären Einblicke in Strategie und Taktik gewesen, auch die Geschichte der niederländischen Kolonien und die Beteiligung der holländischen Truppen am verheerenden Bürgerkrieg in Spanien bleiben unerwähnt.

Gleichwohl können die einzelnen Beiträge durchaus auch für die deutsche Geschichtswissenschaft anregend wirken, wenn es darum geht, Vorstellungen und Gedankenmuster von Soldaten und Offizieren in den Rheinbundstaaten zu untersuchen. Bei näherer Betrachtung würden sich gewiss neue Bilder ergeben, die den in diesem Band zu findenden nicht unähnlich sein dürften. Bis 1813 kämpften sie als Deutsche in der Grande Armee und hatten durchaus ihre eigenen Vorstellungen von Nation, Vaterland und Feinden, die es als gleichwertig zu der Gedankenwelt der preußischen Reformer wahrzunehmen gilt. Bleibt abschließend noch die sehr anspruchsvolle und angenehme Art der Gestaltung und die durchweg hohe Abbildungsqualität der äußerst seltenen Gegenstände hervorzuheben.

Christoph Rehm