Gerd Althoff: Heinrich IV., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006, 335 S., 10 Abb., ISBN 978-3-89678-555-8, EUR 34,90
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Am 7. August 1106 starb nach einer fünf Jahrzehnte währenden Regierungszeit, die an Konflikten und Krisen alles andere als arm war und oft mit der Überschrift "Die Zeit des Investiturstreits" versehen wird, Kaiser Heinrich IV. Die neunhundertste Wiederkehr seines Todestages und das Gedenken an die dramatischen Ereignisse von 1076/77, die untrennbar mit dem Namen "Canossa" verbunden sind, boten Anlass für zahlreiche wissenschaftliche Aktivitäten, die sich dem vorletzten Salier und seiner Zeit widmeten. Zu dem Kreis dieser Bemühungen zählt auch die hier vorzustellende Monografie von Gerd Althoff, der in Münster lehrt und zu den profiliertesten deutschen Mediävisten gehört.
Ebenso wie in seinem 1996 erschienenen Buch über Kaiser Otto III., das hinsichtlich der Herangehensweise und der Ergebnisse durchaus kritisch aufgenommen wurde, setzt Althoff auch in seinem neuen Werk ganz eigene Akzente. In dem Otto gewidmeten Band hat Althoff nachdrücklich betont, dass der moderne Historiker unzulässig von den in den Quellen bloß genannten Fakten auf Motive schließe und den Herrschern daher irrig politische Konzepte und konkrete Zielsetzungen regelrecht unterstelle. Stattdessen müssten vielmehr die zahlreichen Spielregeln und Rituale gedeutet werden, nach denen sich politisches Handeln vollzogen habe. Bei dieser Sicht rückte der Herrscher als Individuum letztlich ganz in den Hintergrund. [1]
Diese 1996 gewissermaßen zum Programm erhobenen Ansichten treten in Althoffs neuem Buch spürbar zurück. Im Mittelpunkt steht nämlich die Frage, was im Streit Heinrichs mit deutschen Großen und dem Reformpapsttum von den zahlreichen massiven Vorwürfen zu halten sei, die sowohl zeitgenössische als auch jüngere Autoren gegen den Kaiser erhoben haben und die zu einem nicht geringen Teil aus angeblich schweren sexuellen Verfehlungen bestehen. Ob der Salier ein "Wüstling" gewesen sei oder nicht, wurde bereits öfter diskutiert, doch geht Althoff weit darüber hinaus, denn er deutet die schweren Krisen im Reich auf dem Hintergrund von Heinrichs Person. [2] Damit wendet er den Blick von den das Handeln bestimmenden Rahmenbedingungen wieder auf den einzelnen Menschen.
In der "Einleitung" (11-40) grenzt Althoff zunächst sein Anliegen von älteren beziehungsweise anders gelagerten Sichtweisen nachdrücklich ab. Referiert werden Urteile von Wilhelm von Giesebrecht (1890) bis hin zu Matthias Becher (2003): Die Forscher seien dem Salier im Allgemeinen wohlgesinnt gewesen, hätten sich an Fragen der Machtpolitik orientiert und Heinrichs Regierung nach ihrem Nutzen für die königliche Zentralgewalt bilanziert. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien hingegen nicht ernsthaft zur Erklärung der unter ihm ausgebrochenen Krise herangezogen worden. Im Anschluss umreißt Althoff knapp die Vorgeschichte der Zeit Heinrichs IV. mit Blick auf die Stellung des König- und Kaisertums, die Formierung des Reformpapsttums und die Etablierung der Normannen. Der folgende Hauptteil des Buches besteht aus einer chronologisch angelegten und sich an den Grundzügen der politischen Geschichte orientierenden Darstellung, die in folgende Abschnitte gegliedert ist: "Die Zeit der Regentschaft und die ersten Jahre selbständiger Regierung (1056-1073)" (41-85), "Der erste große Konflikt: Die Sachsenkriege (1073-1075)" (86-115), "Die Konflikte mit Papst Gregor VII." (116-195), "Konsolidierung oder Fortdauer der Krise: Heinrichs letzte Jahrzehnte" (196-253). Dabei stützt sich Althoff, der ausführlich die für seine spezifische Fragestellung wichtigsten Quellen zitiert, auf die bekannte und einschlägige Literatur, so zum Beispiel Gerold Meyer von Knonau (1890-1904), Christian Schneider (1972), Jörgen Vogel (1983), seine eigene Schülerin Monika Suchan (1997) und Ian Stuart Robinson (1999). Die Darstellung bewegt sich jedoch nicht immer auf dem aktuellen Forschungsstand, denn so kommt etwa die Behandlung des Konfliktes mit Gregor VII. an der Dissertation von Johann Englberger kaum vorbei, und für die Vorstellung des Carmen de bello Saxonico hätte der Beitrag von Bernhard Vogel herangezogen werden müssen. [3]
Die von Althoff als Beleg für seine Interpretation angeführten Texte und deren Aussagen über Heinrichs Persönlichkeit und Regierungsweise stammen freilich zum größten Teil von den Gegnern des Kaisers, sodass es schwierig ist, den Wahrheitsgehalt der zahlreichen Vorwürfe zu überprüfen. Gleichwohl neigt Althoff dazu, einige wichtige, besonders auf die Herrschaftspraxis zielende Kritikpunkte ernst zu nehmen. Diese Fragen diskutiert er in einer gedankenreichen Zusammenfassung, die mit "Aspekte einer Gesamtwürdigung Heinrichs IV." (254-302) überschrieben ist und sich etwa wie folgt resümieren lässt: Das offenkundige Unvermögen des Saliers, Papst Gregor VII. gegenüber ein vertrauensvolles Klima zu schaffen und zu wahren, die Großen angemessen an der Herrschaft zu beteiligen und Konsens herzustellen anstatt sich mit Rangniederen zu umgeben und durch Geheimnistuerei sowie notorische Unzuverlässigkeit den gesamten Herrschaftsverband zu destabilisieren, liege in Heinrichs Kindheit und Jugendzeit begründet. Wegen des frühen Todes des Vaters sei der junge König nämlich in die Fänge eines Regentschaftsrates gelangt, dessen Wirken freilich keineswegs vorbildlich gewesen sei. Heinrich sei dadurch den Begehrlichkeiten der jeweiligen Regenten ausgeliefert gewesen und habe daher gar nicht erfahren können, wie die überkommene und bewährte, auf Einvernehmen gerichtete Herrschaft funktioniere. Den verderblichsten Einfluss habe der in Anlehnung an zeitgenössische Quellen als "exzentrisch" (293) charakterisierte Erzbischof Adalbert von Bremen ausgeübt, der den Salier nachhaltig geprägt haben soll. Erst in deutlich späteren Jahren habe Heinrich dann zu einer halbwegs annehmbaren Herrschaftspraxis gefunden.
Gerd Althoff hat ein sehr persönliches Buch vorgelegt, das zweifelsohne Stoff für weitere Diskussionen bieten wird. Diese werden daran anknüpfen, dass er erstmals die zahlreichen, den Salier scharf kritisierenden Stimmen ernst genommen, aus ihnen ein Persönlichkeitsbild Heinrichs IV. geformt und zudem ein Erklärungsmodell für die unter ihm ausgebrochenen Krisen entwickelt hat.
Anmerkungen:
[1] Gerd Althoff: Otto III. (= Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 1996; vgl. Michael Borgolte: Biographie ohne Subjekt, oder wie man durch quellenfixierte Arbeit Opfer des Zeitgeistes werden kann, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 249 (1997), 128-141; Franz-Reiner Erkens: Mirabilia mundi. Ein kritischer Versuch über ein methodisches Problem und eine neue Deutung der Herrschaft Ottos III., in: Archiv für Kulturgeschichte 79 (1997), 485-498.
[2] Vgl. zuletzt Tilman Struve: War Heinrich IV. ein Wüstling? Szenen einer Ehe am salischen Hofe, in: Oliver Münsch / Thomas Zotz (Hg.): Scientia veritatis. Festschrift für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag, Ostfildern 2004, 273-288.
[3] Johann Englberger: Gregor VII. und die Investiturfrage. Quellenkritische Studien zum angeblichen Investiturverbot von 1075 (= Passauer Historische Forschungen, Bd. 9), Köln / Weimar / Wien 1996; Bernhard Vogel: Zum Quellenwert des Carmen de bello Saxonico, in: Deutsches Archiv 52 (1996), 85-133.
Bernd Schütte