Claudia Schmalhofer: Die Kgl. Kunstgewerbeschule München (1868-1918). Ihr Einfluss auf die Ausbildung der Zeichenlehrerinnen (= Kunstwissenschaften; Bd. 13), München: Utz Verlag 2005, 562 S., ISBN 978-3-8316-0542-2, EUR 64,00
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Im Rahmen der aktuellen gender studies zur künstlerischen Ausbildung von Frauen im 19. Jahrhundert befasst sich Claudia Schmalhofer in ihrer nun veröffentlichten Dissertation mit der Königlichen Kunstgewerbeschule München. [1] Im Fokus ihrer Arbeit steht die Ausbildungssituation von Frauen als Zeichenlehrerinnen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.
Der Themenstellung entsprechend hat die Arbeit einen zweigeteilten Aufbau. Die Autorin widmet sich zunächst der Königlichen Kunstgewerbeschule München als Institution, um anschließend die dort verfolgte kunstpädagogische Ausbildung von Lehramtskandidatinnen im Zeichenfach zu untersuchen. Exkurse und Vergleiche insbesondere zu den Kunstgewerbeschulen in Nürnberg und in Wien sowie zur gleichzeitigen Ausbildungssituation der männlichen Zeichenlehrer ergänzen die Darstellung. Dem faktenreichen Textteil ist ein mehr als dreihundert Seiten umfassender Anhang beigefügt, in dem die wichtigsten Quellen zur Königlichen Kunstgewerbeschule München und ihrer Zeichenlehrerausbildung zusammengetragen sind. Neben den zumeist illustrierenden Abbildungen von Direktoren, Gebäudeansichten und Unterrichtsdokumenten sind die Satzungen und die Studienpläne und Prüfungsordnungen der männlichen und weiblichen Abteilung hervorzuheben. Als besonders aufschlussreich erweisen sich die tabellarischen Übersichten zu Professoren, anderen Lehrkräften und Prüfungskommissionsmitgliedern sowie die Auflistung sämtlicher Studierender der Kunstgewerbeschule mit Angabe ihrer Lehrfächer und Studiendauer. Wichtige Statistiken sind anschaulich durch Grafiken aufbereitetet, ein chronologischer Abriss der markantesten Ereignisse in der Geschichte der Kunstgewerbeschule rundet die Arbeit ab.
Das Jahr 1868, als die offizielle Gründung durch Ludwig II. erfolgte, markiert den Anfang der äußerst langen Geschichte der Königlichen Kunstgewerbeschule München, die auch über die Umbenennungen der Jahre 1928 und 1937 in Staatsschule bzw. Akademie für Angewandte Kunst bis 1946 hinweg bestand. Der Auflösung als selbstständige Einrichtung folgte die Vereinigung mit der Akademie der Bildenden Künste zur heutigen Hochschule der Bildenden Künste München. Unter Berücksichtigung der beiden Vorgängerinstitutionen - dem Verein zur Ausbildung der Gewerke und der Kunstschule für Mädchen - verlegt Schmalhofer den zeitlichen Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf die Jahre von der offiziellen Gründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Diese zeitliche Eingrenzung ist maßgeblich von einer desolaten Quellenlage bestimmt, aus der auch die bislang mangelnde Beachtung der Münchner Kunstgewerbeschule seitens der Forschung zu erklären ist. Nur lückenhaft haben sich Jahresberichte, Satzungen und Akten der Lehrkörper erhalten, und "für den Zeitraum von 1918 bis 1946 fehlen Jahresberichte, sodass die ursprüngliche Absicht der Verfasserin, den gesamten Zeitraum von 1868 bis 1946 abzudecken, scheiterte und eine Eingrenzung bis 1918 erfolgen musste" (15). Konsequent bricht ihre Bearbeitung, die sie anhand der ersten Direktoren nachzeichnet, 1918 ab, obwohl sich die Ära Riemerschmied bis zu seiner Absetzung 1924 erstreckte. Schmalhofers ausgezeichnete Recherchen und Auswertungen der Quellen ermöglichen trotz allem einen intensiven Einblick in die Geschichte und Ausbildung der Münchner Kunstgewerbeschule.
Die Autorin zeichnet die Geschichte der Kunstgewerbeschule anhand ihrer für den Untersuchungszeitraum maßgeblichen Direktoren nach. Besonders aufschlussreich sind dabei die Ausführungen zu Emil von Lange (1875-1912) und zu Richard Riemerschmied (1913-1924). Unter von Lange wurde die weibliche Abteilung eingegliedert, der programmatische Neubau im Neorenaissancestil eingeweiht und vor allem die nationale und internationale Reputation der Anstalt gestärkt. Doch: "Aufgrund des konservativen Verständnisses von Langes konnte sich die Münchner Kunstgewerbeschule nur schwer von der im Historismus gewonnenen künstlerischen Position distanzieren und ein neues zeitgemäßes Profil entwickeln. [...] Lange verspielte damit die Chance auf ihr Überleben im 20. Jahrhundert und trug letztendlich zu ihrem Verschwinden bzw. ihrer Eingliederung in die Münchner Akademie seinen Teil bei" (209). Richard Riemerschmied, der radikale Reformen wie die Einführung der Koedukation verfolgte und sich für eine Minderung von Gips- und Naturstudium zu Gunsten kreativitätsfördernder Maßnahmen aussprach, konnte sich nicht gegen die konservative Grundgesinnung des "zum Teil überalterten und auf den Historismus eingeschworenen Lehrkörpers" (210) durchsetzen. Dennoch blieb die Kunstgewerbeschule München mit einem Drittel weiblicher Studierender die wichtigste Institution für die weibliche Ausbildung im Bereich der Kunst und kann nach Aussagen Schmalhofers keineswegs zu einer Rumpfakademie degradiert werden oder gar zu einer Vorschule, in der die angewandte Kunst lediglich als Vorhof der freien fungiert hätte. Die Autorin stellt die fortschrittliche Ausbildung von Frauen als Zeichenlehrerinnen heraus, deren Qualität den Unterricht der männlichen Kollegen zeitweise sogar übertraf. Der Studienplan und die Prüfungsordnung mit Fächern wie Methodik, Didaktik und praktischer Lehrsimulation erwiesen sich als einzigartig in Deutschland. "Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Kgl. Kunstgewerbeschule München [...] durch die Erstellung und Verbesserung der Prüfungsordnungen [...] wesentlich Einfluss auf die Ausbildung der Zeichenlehrerinnen genommen hat. Die Ausbildung der Zeichenlehrerinnen, die in den Anfängen ganz und gar kunstgewerblich ausgerichtet war, wurde zunehmend schulspezifischer" (201).
Ergänzenswert wäre eine Kontextualisierung der Untersuchungsergebnisse mit Blick auf die zeitgenössische Situation weiblicher Studierender. Auf Grund polemisch geführter kunsttheoretischer Diskurse über die Beschäftigung von Frauen mit Kunst und über den ihnen angelasteten Dilettantismus waren sie im Grunde auf eine Ausbildung im kunstgewerblichen oder kunstpädagogischen Bereich beschränkt. Hier wäre auch auf den Zusammenhang hinzuweisen, dass zwar bereits 1872 eine erste staatlich anerkannte Ausbildung für Frauen ermöglicht wurde, allerdings zunächst ausschließlich in den angewandten Künsten. Im Bereich der freien bzw. hohen Kunst musste etwa der Künstlerinnen-Verein München auf die Zulassung von Frauen an der Akademie oder die Verstaatlichung seiner eigenen Damen-Akademie bis 1920 - nach der offiziellen Gleichstellung von Mann und Frau durch die Weimarer Verfassung - warten. Es erstaunt daher die Bemerkung Schmalhofers, dass "sich die Frauenbewegung an der Münchner Kunstgewerbeschule kaum bemerkbar" (106) gemacht habe, obwohl sich mit Clementine von Braunmühl, Else Gürleth-Hey, Olga Weiss, Frieda Erhardt, Elsa Brauneis, Karl Gebhardt, Julius Diez, Maximilian Dasio, Robert Engels, Heinrich Waderé und anderen Lehrkörpern und Studierenden der Königlichen Kunstgewerbeschule im Münchener Künstlerinnen-Verein engagierten.
Es bleibt jedoch festzuhalten, dass Claudia Schmalhofer mit ihrer Dissertation zur Königlichen Kunstgewerbeschule München und ihrer Zeichenlehrerinnenausbildung eine klaffende Lücke in der Erforschung des Ausbildungswesens im München des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu schließen vermag. Trotz der erklärten und wohl zu Recht ausgesparten Analyse der künstlerischen Arbeiten von Lehrkräften und Studierenden [2], gelingt es der Autorin durch beispielhafte Quellenarbeit - etwa anhand der überlieferten Auflistung der benutzten Lehrmittel - die künstlerische Position der Königlichen Kunstgewerbeschule und ihre pädagogische Ausrichtung zu ermitteln. Der klar gegliederte Aufbau und die pointierten Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels erleichtern die Lektüre der äußerst fakten- und quellenreichen Aufbereitung, auch wenn die Wahl von Endnoten an Stelle von Fußnoten das wissenschaftliche, quellennahe Lesen unnötig erschwert. Der Autorin ist es gelungen erstmalig Fakten zu der bislang nicht näher bestimmbaren Kunstschule für Mädchen zusammenzutragen und auch mit dem Anhang eine fundierte Studie zu schaffen, die zu einem Nachschlagewerk für weitere Forschungen besonders zur Münchner Kunstgewerbeschule werden wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. etwa: Friederike Weimar: Es ist mir sehr, sehr ernst mit meiner Kunst. Zur Entwicklungsmöglichkeit von Hamburger Künstlerinnen in den Jahrzehnten um 1900, in: Künstlerinnen der Avantgarde in Hamburg zwischen 1890 und 1933, hg. von Ulrich Luckhardt, Ausst. Kat. Hamburg, Bremen 2006, 9-12; Elke Lauterbach-Phillip: Die GEDOK. Ihre Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Bildenden und Angewandten Kunst, München 2005; Cornelia Matz: Die Organisationsgeschichte der Künstlerinnen in Deutschland von 1867 bis 1933, Tübingen 2001; Edith Neumann: Künstlerinnen in Württemberg. Zur Geschichte des Württembergischen Malerinnen-Vereins und des Bundes Bildender Künstlerinnen Württembergs, Bd. 1 u. 2, Stuttgart 1999; Carola Muysers: Auswertung des Workshops "Professionalisierungsgeschichte bildender Künstlerinnen", in: Kritische Berichte 25 (1997), 90 f.; Sabine Plakolm-Forsthuber: Künstlerinnen in Österreich 1897-1938. Malerei, Plastik, Architektur, Wien 1994; Berlinische Galerie, Museum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur (Hrsg.): Profession ohne Tradition. 125 Jahre Verein der Berliner Künstlerinnen, Ausst. Kat. Berlin, Berlin 1992.
[2] "Was die vorliegende Arbeit nicht leisten kann und will, ist, die künstlerische und kunstgewerbliche Betätigung der Professorenschaft darzustellen. Dieses wäre ein spannendes Thema, dem sich eine gesonderte und äußerst umfangreiche Forschung widmen müsste. Das Gleiche gilt für die kunstgewerbliche Betätigung der Schülerschaft" (20). Rückschlüsse auf die Ausbildungssituation wären außerdem kritisch einzuschätzen, da eine Auswahl aus Hunderten von Arbeiten immer willkürlich wäre und hierfür kaum auf Forschungsliteratur zurückgegriffen werden könnte.
Yvette Deseyve