Sybille Schröder: Macht und Gabe. Materielle Kultur am Hof Heinrichs II. von England (= Historische Studien; Bd. 481), Husum: Matthiesen 2004, 336 S., ISBN 978-3-7868-1481-8, EUR 51,00
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Untersuchungen zu Gaben und Geschenken sind schon seit einigen Jahren ein spannendes Feld der neueren Mediävistik, legen sie doch Zusammenhänge offen, die sich aus den schriftlichen Quellen nicht unmittelbar erschließen lassen. [1] Noch weiter weg von Schriftlichkeit führt die Untersuchung der Sachkultur, wie sie im Zentrum der Arbeit des "Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit" in Krems steht. [2] Es liegt nahe, diese beiden Fragen miteinander zu verbinden, vor allem dort, wo eine ausreichende Quellenbasis vorliegt. Für das Hochmittelalter bietet sich dafür im europäischen Kontext am ehesten England an, das spätestens seit der Zeit Heinrichs II. über ein reiches Verwaltungsschrifttum und eine vielgestaltige Chronistik verfügte. Hier setzt die vorliegende Arbeit an, eine im Sommersemester 2003 an der Freien Universität Berlin angenommene Dissertation. Sie argumentiert durchweg vorsichtig, in kleinen Schritten, und vermag dadurch zu interessanten Ergebnisse zu gelangen.
Angesichts der vorliegenden Vorarbeiten werden die theoretischen Vorüberlegungen relativ knapp gehalten. Die Ausgangsfrage ist, "welche Funktionen die materielle Kultur für die Repräsentation Heinrichs II. hatte" (13), und welche Rolle der königliche Hof dabei spielte. Ausgeblendet bleibt jedoch bewusst - vielleicht ein gewisser Nachteil - die weitgehend eigenständige Hofhaltung Eleonores, der Gemahlin Heinrichs. Die wichtigste Quellengrundlage bilden die pipe rolls, die die Abrechnungen der sheriffs vor dem Schatzamt dokumentieren und ab 1155 geschlossen vorliegen. Ihrer Entstehung und dem Quellenwert ist noch ein späterer Abschnitt gewidmet (Kap. 5.1.2., 103-113). Daneben werden - ebenfalls gedruckte - historiografische und literarische Texte sowie Traktate und Schriften wie der "Dialog über das Schatzamt" herangezogen. Neben dem Hinweis auf den für die Arbeit grundlegenden Aufsatz von Joachim Ehlers [3] werden einleitend auch zentrale Begriffe wie Repräsentation, Legitimation, Hof und Gabentausch angesprochen.
Der Band gliedert sich in einen allgemeineren Teil, der sich mit Aspekten der materiellen Kultur und der Repräsentation, Anforderungen an die Freigebigkeit des Königs, seinen Geschenken sowie der dahinter stehenden Finanzverwaltung beschäftigt, und einen zweiten Teil mit Beispielen für einzelne Güter und Waren: Wild, Wein, Bier, Textilien und Prachtzelte. Diese Anlage bringt einige Wiederholungen mit sich, zumal wenn die eigenen Kapitel im Text noch einmal mit vollem Titel zitiert werden (z. B. 84).
Im ersten Teil wird zunächst, aufbauend auf der Darstellung der Quellen, die Funktionalität der Kleidung Heinrichs II. hervorgehoben und in Beziehung zum Aufwand der Vorgänger gesetzt. Dann werden die Bedeutung der Jagd und der An- und Abwesenheit des Königs, die auch als Machtmittel genutzt werden konnte, und die Rolle einzelner Gegenstände bei der Repräsentation herausgearbeitet. Dabei wird Thomas Becket als Kanzler eine "Stellvertretungsposition" in der Prachtentfaltung am Hof zugeschrieben, eine interessante, aber durchaus diskussionswürdige These. Es folgen hochmittelalterliche Vorstellungen über Eigentum und Freigebigkeit, aus Fürstenspiegeln und verwandten Schriften, sowie zu frommen Stiftungen. Ein Exkurs dazu behandelt die misslungene Schenkung einer Bibelhandschrift an das Kloster Witham sowie die Zurückweisung einer Schenkung durch den Erzbischof Wilhelm von Reims. Daran schließt sich eine Übersicht über die Empfänger der Gaben Heinrichs II. an, am Hof wie unter auswärtigen Fürsten und Herren, mit einem Überblick über die Art der verschenkten Güter. Abschließend werden die Formen der Abrechnung im Schatzamt beschrieben und zwei bedeutende Beschaffer von Waren für den Hof vorgestellt, Edward Blund und "Heinrich von Cornhill", zusammen mit einem Abschnitt über die Rolle Londons.
Der zweite Teil beginnt mit Wildtieren und Repräsentation, dem unter Heinrich intensivierten Forstrecht und Wild als Geschenk, so an Philipp II. von Frankreich. Das folgende Kapitel beschäftigt sich zunächst mit Verbreitung, Konsum und Symbolgehalt von Bier und Wein in der europäischen Gesellschaft des Mittelalters, um sich dann dem Konsum und den Gastmählern am Hof zuzuwenden. Das dritte Kapitel behandelt analog zuerst allgemein Textilien und Kleidung, dann die Situation am englischen Hof - mit einem kulturgeschichtlich interessanten Exkurs über Tischdecken -, die Ausstattung von seinen Mitgliedern und von Gästen sowie die Beschaffung und Produktion der verwendeten Materialien. Den Abschluss dieses Teils bildet ein Kapitel über Prachtzelte und ein Geschenk an den Kaiser. Das etwas unpassend so bezeichnete "Schlusswort" resümiert - nach knappen Zusammenfassungen am Ende der einzelnen Kapitel - noch einmal die Ergebnisse und stellt sie in einen größeren kulturgeschichtlichen Zusammenhang. - Der Band ist durch Orts-, Personen- und Sachregister erschlossen.
Eine Dissertation muss keine literarischen Qualitäten haben, sie sollte aber grundsätzliche Normen wie die Geschlossenheit der Argumentation und die hinreichende Klarheit des Aufbaus erfüllen. Die vorliegende Arbeit leidet am Fehlen intensiverer Vorüberlegungen, inwieweit die für sich interessanten, aber teilweise eher zufällig wirkenden Teile tatsächlich eine Einheit bilden und - vor allem - wie die materielle Kultur klarer vom Phänomen der Gaben und der Geschenke unterschieden werden kann, statt beides durchgängig zu vermischen (eklatant in Kap. 4.3.). So springen gerade die ersten Kapitel von sehr allgemeinen, nicht allein auf Heinrich II. bezogenen Überlegungen zu sehr konkreten, partiell am Ende wiederholten Aspekten - der zweite Teil wirkt hier in der Anlage systematischer -, und quellenkritische Bemerkungen zu den pipe rolls stehen im Kontext der inhaltlichen Diskussion. Stilistisch und argumentativ wenig glücklich wirken die endlosen Hinweise auf Forschungsliteratur im Text. Dabei verschwindet manchmal die Position der Autorin hinter den Zitaten, oder es entsteht der Eindruck, die Literatur sei das Wesentliche, nicht die zugrunde gelegte Quelle: wenn etwa eine anonyme Vita Beckets offenbar einer "Bestätigung" durch die Biografie W. L. Warrens über Heinrich II. bedarf (so 50).
Ungeachtet dieser Kritikpunkte liegt mit dem Band aber eine vielgestaltige Untersuchung zu den Fragen der modernen Mediävistik vor. Die Ebene der Sachkultur wird immer wieder mit der Wahrnehmung und normativen Vorstellungen verbunden, der wirtschaftsgeschichtliche Zugang mit Aspekten von Performanz und Symbolik, die Analyse von Herrschaft mit kulturgeschichtlichen Fragen. Auch wenn einige Lücken nur mühsam geschlossen werden können, sind es gerade die Details, die den Reiz dieser Studie ausmachen, von den Tischdecken bis hin zum für Friedrich I. bestimmten Prachtzelt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. u.a. Lorenz Sebastian Benkmann: Schenken als mittelalterliches Phänomen, in: Hans-Werner Goetz: Moderne Mediävistik, Darmstadt 1999, 206-212.
[2] URL: http://www.imareal.oeaw.ac.at/.
[3] Joachim Ehlers: Anglonormannisches am Hof Heinrichs des Löwen? Voraussetzungen und Möglichkeiten, in: ders. / Dietrich Kötzsche (Hg.): Der Welfenschatz und sein Umkreis, Mainz 1998, 205-217.
Jürgen Sarnowsky