Dominik Groß: Beiträge zur Geschichte und Ethik der Zahnheilkunde, Würzburg: Königshausen & Neumann 2006, 321 S., ISBN 978-3-8260-3314-8, EUR 49,80
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Als einer der wenigen Experten zur Geschichte der Zahnheilkunde im deutschsprachigen Raum hat zweifellos der Aachener Ordinarius für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Dominik Groß zu gelten, der mit dem vorliegenden Sammelband kein klassisches "Vielautorenbuch" vorgelegt hat, sondern vielmehr eine verfasserbezogene Anthologie zur Geschichte und Ethik der Zahnheilkunde. Die Beiträge wurden bereits in anderer Form veröffentlicht beziehungsweise sind zur Publikation vorgesehen, und der Autor ist sich der Problematik wohlbewusst, dass die Zusammenstellung bereits publizierter Aufsätze in einem neuen Band einer Legitimation bedarf. Diese gibt er nachvollziehbar in seinem Vorwort (7): Groß macht unter anderem deutlich, dass ihn "das Gefühl, weite Bereiche der Zahnheilkunde nunmehr bearbeitet zu haben, und der damit verbundene Wunsch, eine Zäsur zu setzen", um sich verstärkt anderen Forschungsschwerpunkten zu widmen, bestärkt habe. Mit dem vorliegenden Band möchte Groß "den Forschungsschwerpunkt 'Geschichte der Zahnheilkunde' abschließen und ihn dem wissenschaftlichen Nachwuchs anempfehlen". Nicht zuletzt aus dieser - durchaus sehr persönlichen - Motivation und Begründung heraus ist ein Buch entstanden, das nichts grundlegend Neues bringt, das jedoch für die Fachwissenschaft als Ausgangsbasis oder Zwischenbilanz für weitere Forschungen anzusehen ist.
Das Buch ist in acht thematische Abschnitte untergliedert: Im ersten Abschnitt "Vom Empiriker zum Bildungsbürger: Die Herausbildung des akademischen Zahnarztes" sind vier Beiträge zusammengefasst, in denen Groß in kompetenter und fundierter Form die Professionalisierung und Akademisierung des zahnärztlichen Berufes und Berufsstandes aufgearbeitet hat. Der einzige Beitrag des zweiten Segments "Zahnärzte versus Dentisten: Der Dualismus der Zahnheilkunde", der sich mit dem Berufsbildungsprozess der nichtapprobierten Zahnbehandler auseinandersetzt, schließt nahtlos an; die Ausweisung eines eigenen, nur diesen einen Aufsatz umfassenden Abschnitts wäre wohl nicht zwingend notwendig gewesen.
Gleiches gilt für Kapitel 3 "Zahnmedizin als Kassenleistung? Der Weg zum Kassenzahnarzt". Es umfasst ebenfalls nur einen Beitrag, in dem deutlich herausgearbeitet wird, dass die Entwicklung des Berufsstandes und dessen Zweiteilung in approbierte und nichtapprobierte Zahnbehandler mit der so genannten "Kassenfrage" in enger Wechselwirkung stand und dass auch heute noch das Krankenkassenwesen für das zahnärztliche Berufsbild von elementarer Bedeutung ist.
Auch die "Entwicklung der Schul- und Jugendzahnpflege" (Kapitel 4, zwei Beiträge) wird sehr stark unter dem Gesichtspunkt der Professionalisierung betrachtet.
Es folgt das Kapitel "Die Geschlechterfrage: Der Eintritt der Frauen in die Zahnheilkunde" mit zwei Beiträgen - ein Themenbereich, der auch in aktuellen Diskussionen und Tendenzen nachwirkt, entwickelt sich doch die Zahnmedizin in den letzten Jahren immer stärker zu einem typischen "Frauenstudium". Angesichts dieser auch im Geleitwort von Thomas Kerschbaum bereits angesprochenen "'Feminisierung' der Zahnmedizin" (5) ist der historische Rückblick sehr aufschlussreich, wird hier doch deutlich, dass Frauen aus unterschiedlichen Gründen in der akademischen Zahnheilkunde - auch als Hochschullehrerinnen - bereits sehr früh verhältnismäßig stark präsent waren.
Unter der Überschrift "Die Zahnheilkunde als akademisches Fach: Aktuelle Herausforderungen" folgen zwei Gasteditorials von Dominik Groß sowie ein Beitrag über das Schicksal der 'Deutschen Zahnärzte-Bibliothek' sowie der 'Forschungsstelle für die Geschichte der Zahnheilkunde' - Beiträge, die vor allem als (mahnende) Zeitdokumente zu verstehen sind.
Dass durch die Beschränkung auf eigene (sowie einige wenige mit Koautoren verfasste) Publikationen das Spektrum inhaltlich etwas eingegrenzt wird, zeigt das Kapitel "Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Ethische Fragen in der Zahnheilkunde". Es enthält eine zusammen mit Gundolf Keil verfasste Einführung zum Band 'Ethik in der Zahnheilkunde' [1], der 2002 von Dominik Groß herausgegeben wurde und als erster Buchband zu diesem wichtigen Themengebiet im deutschsprachigen Raum zu gelten hat. In dieser Einleitung erfolgt zwar die Problematisierung der Fragestellungen, es wird konstatiert, welch ein Desiderat die Bearbeitung der Ethik in der Zahnheilkunde darstellt, wie auch ein Rückblick zur Geschichte der (Standes)-Ethik in Deutschland und den USA gegeben wird. Inhaltliche Diskussionen zu den verschiedenen ethischen Fragestellungen erfolgen jedoch nur am Rande. Hier wäre ein deutlicherer Hinweis auf den entsprechenden Sammelband mit den einschlägigen Fachbeiträgen (etwa durch die Wiedergabe des Inhaltsverzeichnisses) sicherlich nicht unbescheiden, sondern zweckdienlich gewesen.
Im zweiten Beitrag des Ethik-Segments tritt ein anderes, ebenfalls strukturelles und bei Zweitabdrucken kaum vermeidbares Problem zutage: So leidet der Artikel über "Die 'Musterberufsordnung für Zahnärzte und Zahnärztinnen' in ethischer Sicht" (zusammen mit Karin Groß) etwas daran, dass die der Untersuchung zugrunde gelegte Musterberufsordnung (MBO) aus dem Jahre 1999 mittlerweile mehrfach überarbeitet wurde und von der derzeitig gültigen Fassung vom 16.02.2005 inhaltlich und strukturell abweicht. Gleichwohl wird hier deutlich, dass die Auseinandersetzung mit entsprechenden Themen nicht ohne Effekt bleibt: So monierten Karin und Dominik Groß seinerzeit, dass in der zahnärztlichen MBO - anders als in der ärztlichen Musterberufsordnung - kein Gelöbnis vorangestellt war, ferner das "Wort Ethik und seine Derivate beziehungsweise (Teil)synonyme" (276) kein einziges Mal vorkamen. Zwar fehlt das Gelöbnis heute immer noch, jedoch erfolgte eine Hinwendung zum Thema durch den Passus, dass der Zahnarzt seinen Beruf unter anderem "nach den Geboten der ärztlichen Ethik" auszuüben hat (MBO, § 2, Abs. 2a). Deshalb richtet sich die Kritik nicht gegen den Abdruck des Beitrags in der nicht aktualisierten Form; hilfreich wäre indes ein Hinweis oder Zusatz gewesen, worin auf die Problematik hingewiesen wird.
Im abschließenden Kapitel "Lexikalische Beiträge zur Zahnheilkunde" sind einige Handbuchbeiträge angehängt; ein kombiniertes Sach- und Namensregister rundet den Band ab.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass aufgrund der Aneinanderreihung in sich geschlossener Aufsätze zu ähnlichen beziehungsweise inhaltlich stark miteinander verschränkten Themenkreisen zwangsläufig eine Reihe inhaltlicher Redundanzen und Überschneidungen entsteht, was indes den Wert des Buches nicht schmälert. Es ist insofern weniger als zusammenhängende beziehungsweise kontinuierlich zu lesende Gesamtdarstellung zu verstehen und war wohl auch nicht als solche intendiert. Vielmehr werden dem Leser die grundlegenden Publikationen des Herausgebers (und seiner Koautoren) mit unterschiedlichen Akzenten und Nuancierungen verfügbar gemacht.
Es wird in hohem Maße deutlich, dass wesentliche Verdienste der Forschungen von Dominik Groß zur Geschichte der Zahnmedizin in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Professionalisierung und Akademisierung der Zahnärzteschaft liegen, wie er auch den Forschungen zur Ethik der Zahnmedizin in Deutschland wichtige Impulse gegeben hat. Auf diesen Gebieten hat er wahre Grundlagenarbeit geleistet.
Das Buch kann all denjenigen empfohlen werden, die auf der Basis dieser Forschungen weiterarbeiten möchten, aber auch allen Zahnärzten, die Interesse an der Entwicklung des eigenen Berufes, den daraus entstandenen und weiterhin entstehenden berufs- und standespolitischen sowie ethischen Problemfeldern haben. Sie finden hier ein Kaleidoskop wissenschaftlich fundierter Fachbeiträge, vor deren Hintergrund aktuelle und künftige berufspolitische Diskussionen sicherlich in einem anderen, helleren Licht erscheinen.
Anmerkung:
[1] Dominik Groß (Hg.): Ethik in der Zahnheilkunde (= Zwischen Theorie und Praxis, 3), Würzburg 2002.
Ralf Vollmuth