Rezension über:

Harald Bollbuck: Geschichts- und Raummodelle bei Albert Krantz (um 1448-1517) und David Chytraeus (1530-1600). Transformationen des historischen Diskurses im 16. Jahrhundert (= Imaginatio Borealis. Bilder des Nordens; Bd. 8), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, 405 S., ISBN 978-3-631-54789-2, EUR 68,50
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Rezension von:
Otfried Czaika
Königliche Bibliothek Stockholm
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Otfried Czaika: Rezension von: Harald Bollbuck: Geschichts- und Raummodelle bei Albert Krantz (um 1448-1517) und David Chytraeus (1530-1600). Transformationen des historischen Diskurses im 16. Jahrhundert, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/03/12027.html


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Harald Bollbuck: Geschichts- und Raummodelle bei Albert Krantz (um 1448-1517) und David Chytraeus (1530-1600)

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Harald Bollbuck behandelt in seiner Dissertation die Chroniken der beiden Historiker Albert Krantz und David Chytraeus sowie deren Geschichts- und Raumverständnis. Albert Krantz wurde 1448 in Hamburg geboren, wirkte nach Studien in Rostock dortselbst als Dekan der artistischen Fakultät und später als Rektor der Universität. Nach 1486 übte Krantz verschiedene diplomatische Tätigkeiten im Dienste der Hanse aus und wurde 1493 Domlektor und 1508 Domdekan in Hamburg. Seine nach 1500 entstandenen Chroniken wurden posthum veröffentlich und mehrfach im 16. Jahrhundert gedruckt. David Chytraeus wurde 1530 in Ingelfingen geboren, studierte in Tübingen und Wittenberg (u.a. bei Luther und Melanchthon) und folgte 1551 einem Ruf an die Universität Rostock, wo er bis zu seinem Tode wirkte. Der gemäßigte Lutheraner Chytraeus hinterließ ein umfassendes theologisches, didaktisches und historiographisches Werk.

Der Vergleich des Geschichts- und Raumverständnisses von Krantz und Chytraeus gewinnt insbesondere insofern an Plausibilität, als Chytraeus seine historiographische Tätigkeit als eine continuatio des Krantzschen Werkes sah. Angesichts dieser Tatsache ist es überraschend, dass Bollbuck der erste ist, der sich an einen näheren Vergleich der beiden Historiker wagt. Bollbuck muss daher mehrgleisig fahren, sowohl die relevanten Studien zu beiden Historikern beachten, als auch seine Primärdokumente, insbesondere die Chroniken des Krantz und des Chytraeus, analysieren. Dies zieht zudem die Notwendigkeit einer entsprechend weiträumigen Recherche nach sich. Bollbuck nimmt daher notwendigerweise auch auf Studien angrenzender Wissenschaftsgebiete, insbesondere die kirchenhistorische Forschung, Bezug. Dadurch - und durch eine stupende Quellenkenntnis - gelingt es dem Verfasser, die geistesgeschichtliche Wirkmächtigkeit sowie eine weltanschauliche und politische Funktionalität von Geschichtsschreibung am Werk zweier Historiographen des 16. Jahrhunderts paradigmatisch zu entfalten.

Nur einmal - an einer für Bollbucks Forschung eigentlich unbedeutenden Stelle - zieht Bollbuck einen vorschnellen Schluss: Justus Elias Evander, der Mitschriften verschiedener Chytraeus-Hörer zusammenfasste (13), stammte nicht aus Schweden, sondern wurde 1565 in Creutzburg geboren, gräzisierte den Namen seines Vaters (Gutmann), wirkte in Anhalt und starb 1624 in Weimar. Mit schwedischen Trägern dieses Namens hat Justus Elias Evander nichts zu tun.

Nach einigen theoretischen Vorüberlegungen sowie einer Präsentation des Forschungsstandes behandelt Bollbuck in chronologischer Ordnung die Chroniken des Albert Krantz und David Chytraeus. Die vorliegende Studie schließt mit einem auswertenden Vergleich ab. Bollbucks Untersuchung könnte eine gewisse Einseitigkeit zugunsten von David Chytraeus vorgeworfen werden, da die Untersuchung von dessen Chroniken ausführlicher geraten ist. Allerdings ist dies wohl eher in der Natur der Sache begründet, da Chytraeus nicht nur eine nahezu unüberschaubare Menge unterschiedlicher Chronikausgaben, sondern auch zahlreiche Einblicke in seine Historikerwerkstatt, nicht zuletzt in Form einer weitläufigen europäischen Korrespondenz, gegeben hat.

Albert Krantz war in seiner historiographischen Darstellung insbesondere aus apologetischem - gegen das Barbarenverdikt der italienischen Renaissance gerichtetem - Interesse darum bemüht, eine neue germanische Ethnographie zu schaffen. Die Dignität der Germanen, unter denen nicht nur die skandinavischen Völker, sondern durch den Begriff der "Wandalen" auch die Russen, Polen, Tschechen etc. subsumiert sind, wird u.a. durch den Verweis auf die biblische Vetustas der Germanen (ihre Abstammung von Noahs Nachfahren Tuisco) hervorgehoben. Zudem wertet Krantz die Antike als "heidnisches und grausames Zeitalter" (130). Dadurch wird "[...] der Germane aus der Barbarei heraus- und neben Italienern und Franzosen in die zivilisierte Welt hineingeschrieben [...]" (131). Das Germaniamodell des Albert Krantz ist dreigliedrig und setzt sich aus der an ptolemäische Vorstellungen angelehnten Idee der Germania magna, der politischen Fundamentalidee des deutschen Imperiums und der lokalhistorischen norddeutsch-niederdeutschen Komponente, die etwa über die Bezeichnungen Saxones und Wandali abgerufen wird, zusammen. Bollbuck weist mit Hinblick auf die Reduktion genealogischer Diskurse bei Krantz darauf hin, dass die nationale Germanenkonzeption keinen politisch-dynastischen Mythos begründen konnte. Zudem konnte durch die posthume Veröffentlichung des Werkes (1519) Krantz' Chronik den zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeformten (proto-)nationalen Diskurs höchstens noch affirmativ verstärken, ihn aber nicht mehr entscheidend prägen. Krantz sei insgesamt dem "erweiterten Umfeld des von Konrad Celtis initiierten frühhumanistischen Projekts der Germania illustrata zuzuordnen" (347).

Bollbuck schließt sich (u.a. mit Hinweis auf die beginnende historisch-kritische Distanz) der bisherigen Forschungslage an und wertet die beiden Chronikverfasser Krantz und Chytraeus als Humanisten. Bei dem Melanchthonschüler Chytraeus treten in weitaus größerem Maße als bei seinem Vorgänger Krantz pädagogische und moralische Aspekte sowie eine beginnende Historisierung der Theologie hinzu. Während Krantz also Geschichte als humanistisches Germaniaprojekt schrieb, fokussierte Chytraeus auf deren Bildungsaspekt und insbesondere auf die konfessionelle Komponente. Chytraeus ist in erster Linie bestrebt, eine Geschichte der Reformation (allerdings nicht ohne Reichsgeschichte) zu schreiben. Der Begriff der Saxonia bekommt damit eine neue Konnotation: "Das topographische Herzstück der Beschreibung [...] bildet Kursachsen mit seiner vorbildlichen Kirchenverfassung und Wittenberg als Ausgangsort der Reformation" (358, siehe auch 218-220). Der Germania-Diskurs wird von Chytraeus weitgehend ausgeblendet, der konfessionelle dagegen betont. Dies hat Folgen für die Darstellung: Barbaren, Skythen, mittelalterliche Scholastik sind nun allesamt Beispiele von Barbarei, Papst und Türken Manifestationen des Antichrist, Jan Hus ist nun nicht mehr Ketzer wie bei Krantz, sondern Wegbereiter der reinen Lehre. Dennoch, auch wenn Chytraeus in seinen Chroniken die Geschichte der Reformation schreibt, so bleiben seine Ausführungen weder chronologisch auf das Reformationsjahrhundert noch geographisch auf protestantische Territorien beschränkt. Aus der Betonung der Wittenberger Reformation folgt zudem, dass Chytraeus nun auch in extenso die Geschichte der skandinavischen Reiche aufnimmt und die Darstellung u.a. dem lutherischen Herrscherideal annähert - mit mittel- und langfristigen Folgen wie z.B. der "essentielle[n] Verbindung der patria mit der lutherischen Konfession [...] unter Gustav II. Adolf [...]" (362).

Harald Bollbuck hat mit seiner Dissertation einen bedeutenden Beitrag zur Geistesgeschichte des 16. Jahrhunderts geliefert. Er legt die Arbeitsweisen, Interessen und Diskurszusammenhänge der beiden Historiker Albert Krantz und David Chytraeus offen. Bollbucks Buch ist damit nicht nur für Profan- und Literaturhistoriker, sondern auch für die kirchenhistorische Forschung und den Diskurs über das Konfessionalisierungsparadigma relevant. Insbesondere die bei Chytraeus sorgsam herausgearbeiteten Interferenzen zu Skandinaven ordnen den Rostocker Theologen und sein historiographisches Werk in einen erweiterten konfessionellen Kontext ein. Damit wird die bereits andernorts in der Forschung herausgearbeitete Rolle des Chytraeus für die Konfessionalisierung des schwedischen Reiches unterstrichen und zudem deren Bedeutung für den Aufstieg zur lutherischen Großmacht unter Gustav II. Adolf angeschnitten. Bollbuck weist damit weit über den eigentlichen Untersuchungsgegenstand hinaus. Seine Studie wird für die zukünftige Beschäftigung mit dem konfessionellen Zeitalter im schwedischen Reich sowie für die konfessionelle Selbstdarstellung Gustavs II. Adolf und die Schaffung eines konfessionellen kollektiven Gedächtnisses im Dreißigjährigen Krieg eine grundlegende Funktion zukommen.

Otfried Czaika