Wolfgang Drost / Marie-Hélène Girard: Gautier et l'Allemagne (= Bild- und Kunstwissenschaften; Bd. 2), Siegen: Universitätsverlag Siegen 2005, 357 S., ISBN 978-3-936533-17-0, EUR 14,90
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Charles Baudelaire: Salon de 1859. Texte de la Revue française établi avec un relevé de variantes, un commentaire et une étude sur Baudelaire critique de l'art contemporain par Wolfgang Drost avec la collaboration de Ulrike Riechers, Paris: Editions Honoré Champion 2006
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Der aus einem internationalen Kolloquium der Universität Siegen zu Ehren Wolfgang Drosts 2003 hervorgegangene Sammelband "Gautier et l'Allemagne" ist die erste Publikation, die sich systematisch mit der Beziehung von Théophile Gautier zu Deutschland auseinander setzt. Es ist ein weiterer Beitrag zu den deutsch-französischen Kunstbeziehungen und reiht sich ein in einen immer stärker sich manifestierenden kulturellen Transfer zwischen den beiden Ländern, der nicht zuletzt durch das 1997 gegründete Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Ein Großteil der Autoren der vorliegenden Publikation gehört der "La Société Théophile Gautier" in Montpellier an.
Gemäß den Herausgebern Wolfgang Drost und Marie-Hélène Girard soll der Band, der den Blick auf einen Vermittler moderner Kunstbetrachtung öffnet, ein breites Publikum in Deutschland und Frankreich anvisieren. Dieser Anspruch wird durch eine detaillierte Präsentation der Beiträge in der Einleitung und durch deutsche Zusammenfassungen der einzelnen Artikel am Ende des Buches erreicht. Leider sind alle Beiträge, gleichwohl Thematik wie Veranstaltungsort auf Deutschland bezogen sind, vollständig in Französisch abgefasst. Dadurch minimiert sich der Kreis der Rezipienten, was auf Grund des so neuen und spannenden Sujets umso bedauerlicher ist und sich für den Kulturaustausch restriktiv auswirkt. Der Kunstinteressierte von heute sieht sich damit in derselben leidigen Situation wie Gautier, der auf deutsche Übersetzungen, meist von Nerval, angewiesen war, was eine stringente Einschränkung im Zugriff auf deutsche Kultur bedeutete.
Das Ziel der Herausgeber, das interdisziplinäre und interkulturelle Spektrum des Gautier'schen Œuvres in der Auseinandersetzung mit der deutschen Kultur zu entfalten, reflektiert sich bereits in der Gliederung. Die Einteilung in einen literarischen, einen kunstbezogenen sowie einen so genannten verschiedenste Bereiche umfassenden Sektor erfüllt die anvisierte Intention. Gleichzeitig verkörpert sie Gautiers Ideologie, die in einer "unendlichen Kunstwelt" und einem möglichst breit gefächerten Begriff der Kunst angesiedelt ist. [1]
Der Einstieg in den Literaturteil und somit in die Publikation selbst ist mit der Studie über Gautier als Leser von Faust gut gewählt. Die Implantierung von Faust'schem Gedankengut in Gautiers Werken ist anschaulich von Anne Geisler-Szmulevicz dargestellt. Die Verfasserin versteht es, Gautiers Begeisterung für Faust an den Leser weiter zu geben. Der Artikel wird damit zu einem inspirierenden Moment für den Rezipienten, der nun neugierig auf Gautier und seine Beziehung zu Deutschland geworden ist.
Mit den weiteren Beiträgen über E.T.A. Hoffmann (Alain Montandon), Heinrich Heine (Paolo Tortonese) und Friedrich Schiller (Claudine Lacoste) werden die Protagonisten vorgestellt, die das kulturelle Bild des literarischen Deutschlands für Théophile Gautier konstituieren. Eine exponierte Stellung nicht nur im ersten Teil, sondern auch innerhalb der gesamten Publikation nimmt Martine Lavauds Studie über Deutschland in der Dichtung Gautiers ein. Stringent wird hier der essenzielle Aspekt herausgearbeitet, dass Gautiers einziges Interesse an Deutschland in einem ästhetischen Ideal besteht. Das prägende Charakteristikum seines Schaffens, der "goût de l'art" manifestiert sich somit auch in seinem Verhältnis zu Deutschland als zentrales Moment. Es geht um die "métempsycose culturelle", einer kulturellen Seelenwanderung, von der Théophile Gautier bereits 1832 geträumt hat. Aufschlussreiche quellenkundliche Einblicke, differenzierende Sichtweisen und eine verständliche Sprache zeichnen die Beiträge aus. Insgesamt manifestieren sie alle die enge geistige Verbindung zwischen Gautier und Deutschland.
Der Auftakt zum zweiten Teil macht Pierre Vaisse mit der Übersicht einer allgemeinen Rezeption deutscher Kunst zu Gautiers Zeiten. Hier geht es wieder einmal mehr um den immer wieder kehrenden Aspekt des Vorurteils in der Diskussion über die deutsch-französische Beziehung seit Madame de Staels Buch "L'Allemagne" und die diesbezüglichen Auswirkungen auf die Nazarener. Es ist wahrscheinlich nicht verfehlt von einem Höhepunkt im Rahmen der vorliegenden Publikation zu sprechen, wenn es um den Beitrag von Marie-Hélène Girard geht. In einer faktenreichen und mit neu gewonnenen Erkenntnissen verdichteten konzisen Studie entwickelt Girard ein authentisches Dürerbild. Einen eigenständigen Artikel über den deutschen Maler hat Gautier nie verfasst. Girard gelingt eine scharfsinnig analysierende Rekonstruktion aus impliziten Bemerkungen, die Gautier im Rahmen seiner Schriften zu zeitgenössischen Künstlern, wie Riesener, Tissot oder Penguilly-l'Haridon implantierte. Man könnte hier geradezu von einer "transposition d'art" sprechen, denn ähnlich wie Gautier seine Salonartikel als literarisches Substitut für die Kunstwerke dargestellt hat, so erzeugt Girard Gautiers Bild über Dürer und andere deutsche Maler. Die weiteren Artikel (Francis Moulinat, Cassandra Hamrick, James Kearns) widmen sich den traditionell bekannten Sujets: "Philosophische Kunst", die Nazarener, Deutschland versus Frankreich und deren dualistische Anschauung von Malerei, Glaube und Gedanke versus Form und materielle Gestaltung, Intellekt versus Gefühl. Besondere Aufmerksamkeit sollte noch dem Beitrag von Karen D. Sorenson über Goethes Faust im Salon 1846 gelten. Der Verfasserin geht es um die Resonanz, die die Bilder in der Vorstellung eines Kritikers, der gleichzeitig Dichter ist, hervorrufen. Nicht nur dass Gautier hier im größeren Kontext seiner Persönlichkeit wahrgenommen wird, diese Studie ergibt zusammen mit dem Beitrag von Geisler-Szmulevicz eine wohltuende Synthese innerhalb dieser Publikation und erlaubt eine reizvolle Perspektive Gautiers Deutschlandbildes.
Der dritte Teil thematisiert gemäß der Zusammengehörigkeit der Künste verschiedene Aspekte, die Gautiers Persönlichkeits- und Schaffensspektrum dokumentieren: Gautier, der Vielreisende (Françoise Court-Pérez), Gautier, der Musikliebhaber (François Brunet), die Beziehung zu Baudelaire (Karin Westerwelle) und Gautiers Hinwendung zur Spiritualität und zum Mesmerismus (Annette Geiger).
Die explizite Intention der Publikation, einige bis jetzt weniger bekannte Seiten im Schaffen Gautiers zu erhellen, nicht aber die Lücke in der Aufarbeitung der Biografie zu schließen, darf als geglückt bezeichnet werden, gleichwohl der thematische Rahmen mitunter zu weit gespannt ist, in dem das Thema "Gautier und Deutschland" eingebettet ist. Interessant erscheint, dass eben dieser Punkt in der Einleitung von den Herausgebern selbst angesprochen wird.
Einige kleinere Unebenheiten, wie ein in der Einleitung zwar vorgestellter Beitrag, der sich aber nicht in der Publikation wieder findet, sollen den ausgewogenen Gesamteindruck jedoch nicht schmälern. Ganz im Sinne von Théophile Gautier, der die Kunstkritik als Kommentierung des Schönen und des Guten, keineswegs als Auflistung von Fehlern betrachtet, ist "Gautier et l'Allemagne" eine Publikation, die dazu auffordert, mehr über Gautier und dessen Bild über das kulturelle Deutschland zu erfahren. Der deutsch-französische Dialog hat eine neue Facette bekommen und die Gautier-Forschung genügend Stoff zum Weiterdenken.
Anmerkung:
[1] Vgl. Théophile Gautier: Salon 29.7.1859; ibid.: L'Artiste, 6.Serie/Tome 3, 1857 Introduction, 14.12.1856.
Kristiane Pietsch