Rezension über:

Joachim Poeschke u.a. (Hgg.): Das Soester Antependium und die frühe mittelalterliche Tafelmalerei: Kunsttechnische und kunsthistorische Beiträge. Akten des Wissenschaftlichen Kolloquiums vom 5. - 7. Dezember 2002 veranstaltet vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Münster, vom Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster und der Fachhochschule Köln (= Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde; Bd. 80), Münster: Aschendorff 2005, 384 S., 318 Abb., ISSN 0043-4337
Inhaltsverzeichnis dieses Buches

Rezension von:
Hartmut Krohm
Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Gerhard Lutz
Empfohlene Zitierweise:
Hartmut Krohm: Rezension von: Joachim Poeschke u.a. (Hgg.): Das Soester Antependium und die frühe mittelalterliche Tafelmalerei: Kunsttechnische und kunsthistorische Beiträge. Akten des Wissenschaftlichen Kolloquiums vom 5. - 7. Dezember 2002 veranstaltet vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Münster, vom Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster und der Fachhochschule Köln, Münster: Aschendorff 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/04/9635.html


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Joachim Poeschke u.a. (Hgg.): Das Soester Antependium und die frühe mittelalterliche Tafelmalerei: Kunsttechnische und kunsthistorische Beiträge

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Kostbarster Schatz des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte in Münster ist zweifellos das Antependium aus dem St. Walpurgiskloster in Soest. Bei diesem handelt es sich um das älteste überlieferte Tafelbild des deutschen Sprachgebiets, entstanden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts - folglich aus einer Zeit, in der das auf Holz gemalte Bild im Rahmen der abendländischen Kirchen-, insbesondere Altarausstattung überhaupt eine Rolle zu spielen begann. Erhalten hat sich in diesem Fall zugleich ein Beispiel von herausragender künstlerischer Qualität.

Die trotz der Substanzverluste und Farbveränderungen insgesamt relativ gut erhaltene St. Walpurgis-Tafel wurde von Lisa Monner im Jahr 2000 in Zusammenhang mit einer Diplomarbeit an der Fachhochschule in Köln kunsttechnologisch untersucht. Diese Untersuchung war der Anlass für ein wissenschaftliches Kolloquium, das im Dezember 2003 vom Landesmuseum in Münster gemeinsam mit dem Institut für Kunstgeschichte der dortigen Universität sowie der Fachhochschule in Köln veranstaltet wurde. Zwecks Veröffentlichung der Beiträge dieser interdisziplinären Tagung reservierte die Zeitschrift "Westfalen" eigens einen Band, herausgebracht mit größter Sorgfalt, vor allem auch hinsichtlich der Bildausstattung. Erfreulicherweise liegen damit zu den Anfängen der Tafelmalerei aus jüngster Zeit gleich drei Publikationen vor, neben jener zur Soester Tafel das 1997 herausgegebene Arbeitsheft des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege zum Aschaffenburger Tafelbild aus dem frühen 13. Jahrhundert sowie das anlässlich einer Wiederherstellung erschienene Buch zum "Thornham Parva Retable", einem englischen Beispiel um 1340 (vgl. die Rezension von Stephan Kemperdick in sehepunkte 5 (2005), Nr. 12).

Insbesondere die Veröffentlichungen zu den Beispielen in Aschaffenburg und Soest ergänzen einander, in beiden sind auch Fragen der Funktion, der liturgischen Nutzung des Bildes an und auf dem Altar, ausführlich und kompetent zur Sprache gebracht. Auf die Behandlung weiterer mehr oder weniger zeitgenössischer Zeugnisse hier wie dort in Mittel- und Südeuropa - im Fall der Publikation zu Soest etwa des Retabels von Wetter, des "Rosenheimer Altaraufsatzes" oder gar des geschnitzten Kruzifixes von Petrognano und seiner Fassung - hätte man sicherlich verzichten können. Leider trifft man in beiden Bänden auf eine sattsam bekannte Situation: Die Beiträge zur Kunsttechnologie führen nur bedingt an kunsthistorische Fragestellungen heran, die Bearbeitung von Seiten des Kunsthistorikers bedient sich kaum der vom Restaurator erbrachten Ergebnisse. Das gilt auch hinsichtlich des Erkenntniswerts der Untersuchungen zur St. Walpurgis-Tafel von Lisa Monner, die ja den Ausgangspunkt für das Kolloquium in Münster bildeten. Allerdings setzte Hans Portsteffen hier in seiner Analyse der Bildtafel-Rahmen-Konstruktion einen entscheidenden Akzent, der über die Kunsttechnologie hinaus die Augen öffnen könnte. Seine auf das Schreinerwerk ausgerichtete Untersuchung bestätigt den auch in künstlerischer Hinsicht festgestellten außergewöhnlich hohen Standard. Die Ausführung und Verbindung von Rahmen und Füllung erfolgten nach Prinzipien, die sich von antiker Fertigungsweise herleiten und bis um die Wende zur Neuzeit nahezu in Vergessenheit geraten waren. Das bedeutet, dass man, sollte die St. Walpurgis-Tafel tatsächlich in Soest entstanden sein, dort in jeder Hinsicht auf höchstem Niveau arbeitete - oder aber sie ist aufschlussreich für ein anderes, tatsächliches Zentrum.

Es stimmt gewiss nicht, dass es, wie Hermann Arnhold meint, zur St. Walpurgis-Tafel "keine neuere Forschung" gegeben hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Trotzdem bestand nicht zu Unrecht der Eindruck eines Defizits; es fällt auf, dass beispielsweise Robert Suckale dieses Werk in seiner "Kunst in Deutschland" (1. Aufl. 1998) nicht erwähnt.

Die Beiträge von Joachim Poeschke und Hermann Arnhold, die sich mit der Frage der Datierung und kunsthistorischen Einordnung auseinander setzen und zu ähnlichen Ergebnissen gelangen, bieten hinsichtlich der angeschnittenen Fragen zwar nicht abschließende Antworten, dennoch haben sie in ihrer kritischen Sichtung die Forschung ein Stück in Bewegung gebracht. So scheint die Frühdatierung, eine Nähe zur Gründung des Konvents St. Walpurgis, Kloster der Augustinerchorfrauen, im Jahr 1166, ausgeschlossen. Die zuletzt angenommene Abhängigkeit von Werken aus dem Stilkreis der frühen Helmarshausener Buchmalerei, wozu das Evangeliar Heinrichs des Löwen zählt, wird ebenso in Zweifel gestellt wie die angebliche Beziehung zu den ältesten Glasmalereien von St. Patroklus in Soest. Sollte Helmarshausen als Ausgangspunkt überhaupt noch in Frage kommen, dann bestenfalls nur mit späteren Zeugnissen gegen 1200. Der illusionistische Malstil wird von Poeschke zutreffend mit byzantinischen Ikonen in Verbindung gebracht, hier haben östliche Beispiele vermutlich einen unmittelbaren Einfluss auf die Stilbildung ausgeübt. Ob nach den hier vorgetragenen Äußerungen eine Verknüpfung mit sächsischer Kunst überhaupt aufrecht erhalten werden kann, sei dahingestellt. Poeschkes Hinweis auf Parallelen innerhalb der rheinischen Goldschmiedekunst, was die Ornamentik betrifft, oder - in Bezug auf die Figurenbildung - auf das Tympanon von St. Pantaleon in Köln als vergleichbares Beispiel aus dem Bereich der Skulptur besitzt Überzeugungskraft. Weiter zu verfolgen wäre die Frage, inwieweit die St. Walpurgis-Tafel nicht primär auf kölnischen Quellen basiert, ja nicht sogar Kölner Ursprungs ist, was im Fall der dem Kölner Hochstift unterstellten Stadt Soest nicht verwundern würde. Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich hier, in dem damals bedeutendsten Gemeinwesen in Westfalen, unter Kölner Einfluss eine eigenständige, auf hohem Niveau arbeitende Werkstatt herausgebildet hätte.

Nur am Rand sei vermerkt, dass der einstige Funktionszusammenhang weiterhin ungeklärt ist. Vor allem Poeschke spricht sich dafür aus, nicht nur die St. Walpurgis-Tafel, sondern auch, sozusagen als Nachzügler, die um 1350 entstandene, aus der Wiesenkirche stammende Tafel als Antependium und nicht als Retabel zu betrachten. Ganz und gar eindeutige Indizien dafür scheint es aber offensichtlich nicht zu geben.

Wie schon angemerkt, enthält die Publikation Aufsätze, die, so interessant sie auch im Einzelnen sein mögen, an dieser Stelle nicht zwingend notwendig scheinen. Wünschenswert wäre hingegen gewesen, man hätte sich weit stärker als hier geschehen auf die übrigen frühen Tafelbilder aus Soest - heute sämtliche in Berlin - konzentriert, einschließlich des erwähnten Retabels (oder Antependiums?) aus der Wiesenkirche um 1350, in jüngster Zeit restauriert und seit kurzem im Bode-Museum ausgestellt, von dem innerhalb des Bandes nur am Rande die Rede ist. Offensichtlich war von Seiten der Veranstalter des Kolloquiums eine solch umfassendere Bestandsaufnahme zu den Soester Werken aber geplant. Zum Kreuzigungsretabel in der Berliner Gemäldegalerie findet sich hier aber lediglich ein kunsttechnologischer Bericht, ebenfalls von Lisa Monner verfasst, während Christoph Jobst gleichzeitig zu diesem eine ausführliche Untersuchung im Jahrbuch der Berliner Museen (42, 2000, S. 121-163) veröffentlichte, die man sich eigentlich auch in dem vorliegenden Tagungsband zur St. Walpurgis-Tafel aufgenommen gewünscht hätte. Bei sämtlichen aus Soest überlieferten Beispielen, alle von hohem künstlerischem Rang, stellt sich die Frage nach der Herkunft und der eigenständigen Bedeutung der Hansestadt auf künstlerischem Sektor in ähnlicher Weise.

Begrüßenswert ist indessen, dass auf das Retabel mit dem Gnadenstuhl sowohl aus kunsttechnologischer wie auch aus kunstgeschichtlicher Sicht intensiver eingegangen ist, obwohl wiederum beide Berichte ohne direkte Bezugnahme aufeinander verfasst sind. Zum technischen Befund äußert sich Cornelia Ringer, während Ulrich Söding den Stilfragen, dem Phänomen des "Zackenstils", eine ausführliche Erörterung zuteil werden lässt. Die mit diesem Aufsatz gegebene Materialübersicht hätte allerdings einer stärkeren Systematisierung (und eines kritischeren Umgangs mit dem jeweiligen Erhaltungszustand) bedurft, um die Ausgangspunkte und Zielsetzungen der Stilrichtung deutlicher herauszustellen. Die hier zu beobachtende Fixierung auf einen vom funktionalen und historischen Kontext isolierten Stilbegriff ist heute eigentlich nicht mehr üblich, zumal die seit jeher höchst unglückliche Bezeichnung "Zackenstil", in diesem Fall zudem verknüpft mit der Frage, ob jener "spätromanisch" oder bereits "frühgotisch" sei, etwas Falsches suggeriert, dass nämlich der Schwerpunkt auf ornamentaler, linearer Gestaltung läge. Gerade das Soester Gnadenstuhl-Retabel, zweifellos im Gesamtzusammenhang von größter Bedeutung, verrät wie manch anderes wichtige Beispiel eine betont räumliche Ausbildung. Die klar artikulierten Körperformen sind dabei durch das charakteristische prismatisch gebrochene Faltenwerk miteinander verspannt, das in Verbindung mit der Gestik den Eindruck heftiger ekstatischer Ergriffenheit entstehen lässt.

Die wenigen Bemerkungen an dieser Stelle können dem vorliegenden Band zur St. Walpurgis-Tafel mit seiner Materialfülle und den vielfältigen Beobachtungen natürlich bei weitem nicht gerecht werden - eine im Hinblick auf die weitere Auseinandersetzung mit der frühen Tafelmalerei sehr verdienstvolle Publikation. Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit eine erneute Restaurierung, die ausschließlich die noch immer aussagekräftige Originalsubstanz, ohne die heutigen aus den 1950er-Jahren stammenden Tratteggio-Retuschen, zur Geltung brächte, eine vielleicht nicht unerhebliche Verbesserung bewirken könnte.

Hartmut Krohm