Donat Grueninger: "Deambulatorium Angelorum" oder irdischer Machtanspruch ? Der Chorumgang mit Kapellenkranz - von der Entstehung, Diffusion und Bedeutung einer architektonischen Form, Wiesbaden: Reichert Verlag 2005, VI + 372 S., 63 Tafeln, ISBN 978-3-89500-377-6, EUR 49,00
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Donat Grueninger widmet sich in seinem aus einer Basler Dissertation hervorgegangenen Buch "'Deambulatorium Angelorum' oder irdischer Machtanspruch?" einem interessanten und wichtigen Kapitel der europäischen Architekturgeschichte. Im Mittelpunkt seiner Studie stehen Ursprung, Verbreitung und vor allem die Bedeutung des Chorumganges mit Kapellenkranz. Dabei beschränkt sich der Autor im Kern seiner Untersuchung auf die zwischen der Wende vom ersten zum zweiten Jahrtausend und der Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen Monumente, jenen Zeitraum also, in dem der Chorumgang mit Kapellenkranz zu einem voll gültigen Typus der Kirchenbaukunst wurde.
Nach zwei recht ausführlichen einleitenden Kapiteln bietet ein Abschnitt über Vorläufer und Frühformen einen fundierten Einstieg ins Thema. Das nächste Kapitel ist dann den frühen Umgangschören gewidmet. Daran schließt sich eine Übersicht über die Verbreitung des Chorumgangs mit Kapellenkranz bis zum Ende des 11. Jahrhunderts und ein Fazit der bislang vorgetragenen Überlegungen an. Auf dieses 'erste Fazit' folgt das zentrale methodische Kapitel der Arbeit. Hier versucht Grueninger das methodische Gerüst zu errichten, mit dessen Hilfe in den folgenden Kapiteln ausgewählte Bautengruppen untersucht werden sollen. Dies sind die so genannten 'Pilgerkirchen' von St-Martin in Tours bis Santiago de Compostela, die normannischen Umgangschöre in Frankreich und England, die beiden isoliert stehenden italienischen Beispiele Sant'Animo und Barletta sowie die Chorumgangsanlagen bei den Zisterziensern.
Dabei versteht sich Grueningers Arbeit nicht nur als Beitrag zum gerade in jüngster Zeit neu entfachten Forschungsinteresse an einer Typengeschichte der Architektur [1], sondern sie bewegt sich methodisch auch im Spannungsfeld zwischen Günter Bandmanns Betrachtung von 'Architektur als Bedeutungsträger', der von Panofsky geprägten Architekturikonologie sowie der von Hans-Joachim Kunst und Wolfgang Schenkluhn begründeten Zitattheorie.
Grueninger geht es nicht um eine vollständige Darstellung der phänomenologischen Typen und ihrer Entwicklung, es geht ihm vielmehr um eine exemplarische Darstellung der relevanten Typen von gesellschaftlicher Funktion und Rezeption. Dabei legt er großen Wert auf die schon bei den Frühformen feststellbare Uneinheitlichkeit der praktischen Nutzung der Chorumgänge und Kapellen an den verschiedenen Bauten. Keines der gängigen Erklärungsmuster für die Entstehung des Umgangschores mit Kapellenkranz, weder die zunehmende Reliquienverehrung, noch das Anwachsen der Altarstellen oder ein Anschwellen von Pilgerströmen, lässt sich konsistent mit dem Auftauchen dieser Architekturform verbinden. Für Grueninger liegt die primäre Bedeutung der Chorumgänge mit Kapellenkranz - und damit auch der Hauptgrund für ihre Rezeption und Verbreitung - in ihrer Fähigkeit zur Repräsentation von "Macht und Aufwand" (309). Damit bevorzugt Grueninger eindeutig eine politisch-gesellschaftliche Interpretation gegenüber etwaigen liturgisch-religiösen Motivationen. Er begründet dies unter anderem mit einem Mangel an tatsächlich in den Chorumgängen nachweisbarem liturgischem Geschehen, der seiner Meinung nach bei einem Großteil der Beispiele zu konstatieren sei. Dabei bleibt allerdings zu bedenken, dass die dünne Decke der Überlieferung zur Liturgie nicht zwangsläufig zu bedeuten hat, dass es diese nicht gegeben hat oder dass sie unbedeutend war.
Doch auch bezüglich der politischen Interpretationen der Architektur enden die Schlussfolgerungen des Autors häufig im Konjunktiv, in Spekulationen und Hypothesenketten. Dafür ist ihm angesichts der schwierigen Quellenlage nicht unbedingt ein Vorwurf zu machen, zumal Grueninger die zahlreich erschienene einschlägige Literatur konsequent auf seine Fragen hin ausgewertet hat. Allerdings fördert er weder neue Quellenfunde zu Tage, noch kann er grundlegend neue Beobachtungen zur Architektur selbst vorbringen. Zudem hat man viele seiner Erklärungs- und Deutungsversuche, beispielsweise bezüglich der Gruppe der 'Pilgerkirchen' oder der Monumente des Loiretals, so oder ähnlich schon andernorts vernommen. Dennoch lesen sich die Kapitel gerade zu den 'Pilgerkirchen', wo manch lieb gewordener Mythos sachlich aber bestimmt vom Tisch gewischt wird, zur Rezeption des Chorumgangs in der Normandie und im normannischen England oder zum Umgangschor bei den Zisterziensern ob ihrer argumentativen Klarheit mit Gewinn.
Dies trifft leider für den methodischen Teil der Arbeit nicht im selben Maße zu. Um sich in der Methode von seinen illustren Vorgängern abzugrenzen, ließ Grueninger sich von der sozialwissenschaftlichen Forschung anregen. Unter dem Stichwort der 'Regionalisierung' will er die Netzwerke der handelnden Künstler und Auftraggeber ausgerechnet als 'Kunstlandschaft' verstanden wissen. Dahinter verbirgt sich ein von Grueninger ausführlich geschildertes Konzept der Sozialgeographie, welches 'Raum' oder 'Region' als durch soziale Handlungen konstituiert begreift. Ob die Übertragung dieser Sichtweise auf die Kunstgeschichte mit dem Ziel einer Reaktivierung des Begriffs der 'Kunstlandschaft' sinnvoll ist, erscheint dem Rezensenten fragwürdig.
Es ist das ewige Problem des Begriffs der 'Kunstlandschaft', dass er nicht in der Lage ist, zu halten, was er verspricht: die Verortung eines homogenen künstlerischen Oeuvres in klar definierten geografischen Grenzen. [2] Dies will Grueninger zwar keinesfalls suggerieren, bedeutet für ihn eine 'Kunstlandschaft' doch letztlich ein "Netzwerk der Macht" (213), welches bestimmt ist vom Aktionsradius des hohen Klerus und der zumeist hochadeligen Stifter. Doch warum sollten diese häufig gerade durch ihre Überregionalität charakterisierten Beziehungsnetze ausgerechnet mit dem Label der 'Kunstlandschaft' oder 'Kunstregion' belegt werden? Den von Grueninger geschilderten Gegebenheiten wäre nach Ansicht des Rezensenten jedenfalls mit Begriffen wie 'Netzwerk' oder 'Beziehungsgeflecht' besser beizukommen gewesen. Auch ein medientheoretischer Ansatz wäre dem Rezensenten geeigneter erschienen, geht es Grueninger doch letztlich um Baukunst als "Medium, das politischen und sozialen Momenten Ausdruck verlieh" (47).
Die hier vorgetragene Kritik mag man als klassischen Methodenstreit abtun. Egal aber wie man sich zu Grueningers eigenwilliger Wahl der Methode stellen will - eine Reaktivierung des aus zeit- und fachhistorischer Perspektive gewiss nicht unproblematischen Begriffs der 'Kunstlandschaft' ohne eine eingehende Darstellung und kritische Reflexion der Begriffsgeschichte ist, zumal wenn im selben Atemzug der Anspruch einer "neuen Methode zur Erforschung der Bedeutung von Architektur" (239) erhoben wird, nicht akzeptabel.
So hinterlässt Grueningers Buch am Ende einen zwiespältigen Eindruck. Den skizzierten methodischen Schwächen steht das Verdienst entgegen, ein schwieriges Thema mutig angepackt zu haben. Auch hat Grueninger die reichhaltige fremdsprachige Literatur gewissenhaft eingearbeitet. Wirklich neu sind die meisten der gewonnenen Einsichten aber nicht, und das selbst gesteckte Ziel einer allgemein gültigen Erklärung der Bedeutung des Chorumganges mit Kapellenkranz als architektonischer Form ist nur zum Teil und mit großen Einschränkungen erreicht worden. Dennoch stellt Grueningers Buch einen anregenden und lesenswerten Beitrag zur aktuellen Debatte um die Geschichte und Bedeutung charakteristischer Typen in der Baukunst des Mittelalters dar.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zuletzt Ernst Seidl (Hg.): Lexikon der Bautypen, Stuttgart 2006, sowie die Rezension dazu von Ulrich Maximilian Schumann in: Kunstchronik, 60, 2007, 94-95.
[2] Vgl. dazu demnächst den von Peter Kurmann und Thomas Zotz in der Reihe "Vorträge und Forschungen" herausgegebenen Band "Historische Landschaft/Kunstlandschaft".
Marc Carel Schurr