Michael Lemke (Hg.): Schaufenster der Systemkonkurrenz. Die Region Berlin-Brandenburg im Kalten Krieg (= Zeithistorische Studien; Bd. 37), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, 418 S., ISBN 978-3-412-02606-6, EUR 49,90
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Regionen bezogene Untersuchungen gehören seit Jahren zum Standardrepertoire von zeithistorischen Instituten in Deutschland, die sich u. a. damit des langfristigen Zuspruchs ihres jeweiligen "Sitzlandes" versichern. Über taktisch-strategische Erwägungen hinaus vermögen solche Tiefenbohrungen jedoch auch wichtige Erkenntnisse über bestimmte Eigenheiten von Entwicklungen zu Tage zu fördern. Das gilt in besonderer Weise für die Region Berlin-Brandenburg in der Zeit des Kalten Krieges. Vor allem der Raum Berlin spiegelt die "allgemeinen Merkmale und typischen Handlungsmuster der Systemauseinandersetzung wider". Er trug "zur Herausbildung wichtiger Konstellationen des Kalten Krieges bei" (11), wie der Herausgeber in seiner Einleitung treffend bemerkt. Ausgehend davon möchte Lemke mit seinem Band zu einer "differenzierteren Rekonstruktion der europäischen und doppelt deutschen Nachkriegsgeschichte" beitragen, was nach seiner Auffassung nichts anderes heißt, als das "holzschnittartige Bild einer uneingeschränkten westlichen Erfolgs- gegenüber der östlichen 'Desastergeschichte' [...] zugunsten einer Geschichte der Verflechtung, Abgrenzung und Interaktion zu ergänzen" (12).
Wenn sich aus einer solchen historischen Neubetrachtung keine Werte relativierende Äquidistanz ergibt, erscheint diese Herangehensweise gerade im Falle Berlin-Brandenburgs folgerichtig. Dafür dürfte auch Lemkes These sprechen, wonach sich im "Verflechtungsraum" Berlin die Ost-West-Gegensätze nicht nur häufig "idealtypisch" entwickelten, sondern hier auch schneller als in anderen Orten "Interaktionen" zur "allmählichen Überwindung" des Kalten Krieges stattfanden (12). Die "aufeinander bezogenen" und "miteinander konkurrierenden" "Schaufenster der Systemkonkurrenz" (22) sind in Lemkes Sammelband recht vielgestaltig vertreten: In bald schon guter ZZF-Tradition werden neben Teilbereichen der Politik vornehmlich solche der Wirtschaft und der sozialen Zusammenhänge sowie der Kultur und des Alltags abgebildet. Wo möglich und sinnvoll, werden solche "Schaufenster"-Vergleiche unternommen, so z. B. beim Thema Wirtschaft, Flüchtlingseingliederung, Polikliniken, Kulturpolitik ("Sängerkrieg"), Sport oder Hörfunk. Dabei zeigt sich, dass sich mit der administrativen Zerreißung 1948 nicht sofort alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verschränkungen aufzulösen begannen. Während etwa Harald Engler auf die recht langsam vor sich gehende Kappung der gemeinsamen städtischen Infrastruktur der Gas-, Elektrizitäts- und Wasserversorgung abhebt, macht Michael Lemke in seinem Beitrag deutlich, dass das Kulturleben, und speziell das der städtischen Bühnen, bis weit in die 1950er-Jahre hinein eng miteinander verzahnt war.
Neuigkeitswert hat der Band vornehmlich in der Frage der zweiten Berlinkrise (1958-1964): Vor allem auf der Grundlage von sowjetischen Quellen vermag Matthias Uhl nachzuweisen, dass die Moskauer Geheimdienste mit ihren "analytischen Situationsberichten" tatsächlich "mäßigend auf Chruscevs Außenpolitik wirkten" und damit für den Kreml nicht nur "ideologische Leitmotive" (44) sich als maßgebend erwiesen. Zu einem ähnlichen Resultat kommt auch Gerhard Wettig, der es der sowjetischen Führung als "Verdienst" anrechnet, das "Ende des Dauerkonflikts um Berlin durch den Verzicht auf die Forcierung ihrer Statusforderungen ermöglicht zu haben" (64). Mit dem Vier-Mächte-Abkommen vom 3. September 1971 wurde in der Tat ein "Konsens" in Bezug auf die jeweiligen Rechtsauffassungen erreicht und dem Drängen Walter Ulbrichts auf die volle Durchsetzung des östlichen Standpunkts eine Abfuhr erteilt. Als ein weiteres Beispiel für die schnelle Konfliktbewältigung können die Berliner Passierscheinverhandlungen von 1962/63 gelten, die Daniel Schwane beschreibt. Schwane zeigt, wie die aus der Not der Zeit (Mauerbau 1961) geborenen Kontakte nach Ost-Berlin zu einer ersten Durchlässigkeit der Mauer führten (zumindest für West-Berliner Besucher), gleichzeitig aber auch eine Politik der Entspannung und konsensualen Konfliktregelung förderten, wie sie von West-Berlin aus Egon Bahr und Willy Brandt verfolgten.
Zweifellos mit am interessantesten sind die Ausführungen, die Harald Engler über die wirtschaftliche Systemkonkurrenz im Verflechtungsraum Berlin-Brandenburg in der Zeit von 1945 bis 1961 macht. Zwar handelt es sich bei Englers Beitrag in erster Linie um einen Problemaufriss, doch kann er anhand von Statistiken nachweisen, in welch gigantischem Maße beide Hälften Berlins seit den 1950er-Jahren zu "Schaufenstern" der wirtschaftlichen Systemkonkurrenz herausgeputzt wurden. Während ein "komplexes System der Berlinförderung durch die Bundesrepublik [...] die Wirtschaft West-Berlins nach dem Ende der Blockade (über)lebens- und konkurrenzfähig [hielt], allerdings mit dem längerfristigen Preis einer bis heute mit Mühen gebändigten Subventionsmentalität" (139), kam der Ostteil der Stadt seit 1957 in den "Genuss hoher Subventionen, die seit 1958 die prozentualen Anteile am Gesamthaushalt West-Berlins sogar noch übertrafen" (140). Ein wesentliches Ergebnis derartiger Subventionskonkurrenz war die gewaltige Aufblähung des öffentlichen Sektors. Betrug der Anteil der im öffentlichen Dienst Beschäftigten im Westteil der Stadt bald 19,8 Prozent, lag er im Ostteil bereits 1959 sogar bei 28,8 Prozent (Zum Vergleich: in der DDR lag die Quote nur bei 16,5 Prozent!).
Überzeugend wirkt auch der Vergleich der konkurrierenden Hörfunkprogramme im geteilten Berlin, den Christian Könne vornimmt. Der "Kampf um die Köpfe", der mit Konkurrenzsendungen wie dem "Internationalen Frühschoppen" (West) und der Sendung "Das Professorenkollegium tagt" (Ost) begann, gestaltete sich trotz mancher Zugeständnisse der SED an die eigenen Produktionen (Diskursivität, Satire, Heimatgefühl) als wenig erfolgreich: Setzte die Westkonkurrenz (und hier vor allem der RIAS) auf "Trivialität und Individualität", vermochte die Ostkonkurrenz nie ihren (vordergründigen) politischen Erziehungsauftrag zu verleugnen, der letztlich auf das Konzept einer "funktionalisierten 'Masse'" (378) hinauslief. Gerade bei den Jugendprogrammen sollte sich die Kluft zwischen West und Ost besonders stark erweisen: Während hier der RIAS ( vor allem mit seinem "Treffpunkt") "mit viel Musik in prominenter Position" die Linie vorgab und viele ostdeutsche Jugendliche erreichte, blieb DT 64 mit seinem Versuch einer "parteilichen Erziehung" (384) und eines deutlich geringeren Anteils westlicher Musikkultur immer nur zweiter "Sieger".
Dass ein Sammelband nicht alle Themenfelder gleichermaßen erschöpfend behandeln kann, versteht sich von selbst. Warum allerdings im politischen Teil nur die zweite Berlin-Krise erörtert wird und ein grundsätzlicher Problemaufriss (so wie im Wirtschaftsteil von Engler geliefert) fehlt, ist nicht ganz nachvollziehbar. Auch wenn zur ersten Berlin-Krise von 1948/49 schon einschlägige Studien vorhanden sind (auch auf sowjetischer Aktenbasis), wäre es durchaus sinnvoll gewesen, die Ausgangssituation des Kalten Krieges in der alten Reichshauptstadt mit einzubeziehen, da so deutlicher die Auseinandersetzungen um die Etablierung von parlamentarischer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hätten thematisiert werden können. Denn schließlich ist die administrative Spaltung der Stadt nicht so sehr durch das währungspolitische Auseinanderdriften im Sommer 1948 verursacht worden, sondern durch die im Spätherbst 1948 anstehenden freien Wahlen, die SED und SMAD nach ihrem ersten Desaster (Oktober 1946) unbedingt verhindern wollten. Aus dieser Konstellation heraus hätte sich auch eine vergleichende Untersuchung zu den personifizierten "Aushängeschildern" der beiden Stadthälften angeboten. Mit der Gegenüberstellung der Oberbürgermeister (bzw. Regierende Bürgermeister) Ernst Reuter und Willy Brandt auf der einen und Friedrich Ebert jr. auf der anderen Seite hätten interessante Fragen behandelt werden können - etwa die nach der biografischen Entwicklung (Reuter und Brandt waren Kommunisten bzw. Linkssozialisten gewesen, Ebert, der sich 1946 für die SED entschied, war Sohn des SPD-Reichspräsidenten), den unterschiedlichen Kompetenzen und Handlungsspielräumen sowie der Verankerung in der Bevölkerung.
Auch mit diesen Lücken ist der Band ein Gewinn für die Forschung, da er sowohl die Verschränkungen als auch die breit gelagerten Konkurrenzen im "Verflechtungsraum" Berlin (und zum Teil auch in Brandenburg) hervortreten lässt. Lemkes These von Berlin als prädestiniertem Austragungsort von Konflikten des Kalten Krieges und Ort ihrer schnellen Bewältigung ist jedenfalls durch die Beiträge Matthias Uhls, Gerhard Wettigs, Christopher Winklers und Daniel Schwanes gut belegbar. Letztlich bleibt zu konstatieren, dass das ZZF mit der Untersuchungsregion Berlin-Brandenburg über einen überaus spannenden und interessanten Forschungsgegenstand verfügt, der zweifellos das Potenzial für eine ganze Reihe weiterer aufschlussreicher Einzelstudien hat.
Mike Schmeitzner