Janina Struk: Photographing the Holocaust. Interpretations of the Evidence, London / New York: I.B.Tauris 2004, XII + 251 S., ISBN 978-1-86064-546-4, GBP 15,95
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Nicht erst seit dem vergangenen Historikertag wird die Vernachlässigung von Bildquellen in der Geschichtswissenschaft beklagt (und die Hinwendung zur Bildanalyse als methodisch innovativ gerühmt), und nicht zuletzt die Wehrmachtsausstellung hat die explosive Dimension des Themas deutlich werden lassen.
Janina Struk, Dozentin für Kommunikationswissenschaften an der University of Sussex, widmet sich in ihrem Buch der fotografischen Hinterlassenschaft der NS-Zeit und deren Gebrauch in der Nachkriegszeit. Während Cornelia Brink in "Ikonen der Vernichtung" und Habbo Knoch mit "Die Tat als Bild" die Verwendung von KZ- und Holocaust-Fotografien vor allem in Deutschland untersuchten, hat Struk öffentliche und private Archive in Polen, der Ukraine, Großbritannien, Israel, Kanada und den USA benutzt und sich mit der Benutzung der Bilder in diesen Ländern beschäftigt. Sie knüpft methodisch vor allem an die Pionierarbeiten von Sybil Milton und James E. Young an. Das Buch besticht durch zahlreiche unbekannte und teils erstmals veröffentlichte Illustrationen und seine sehr gute Lesbarkeit. Aufgrund der großen Bandbreite des Themenspektrums können manche Aspekte zwar nur gestreift oder beispielhaft erwähnt werden, gleichwohl bietet das Werk eine anregende Lektüre und ist insbesondere als Überblick und erste Orientierung gut geeignet.
Anhand eines einzelnen Fotos einer Erschießung, die - je nach Angaben verschiedener Archive - auf die Jahre 1939, 1941, 1943 oder 1944 datiert und wahlweise in in Sniatyn, Bochnia, Sniadowo, Lodz, Jozefow, Drohobycz, Bialystok oder an sonstigen unbekannten Orten in Polen, der Ukraine, Lettland oder Litauen lokalisiert wird, macht Janina Struk in der Einführung deutlich, wie problematisch unser Umgang mit Bildquellen ist. Obwohl das betreffende Foto in der Nachkriegszeit in Dutzenden von Publikationen, Ausstellungen und Dokumentarfilmen verwendet wurde, sind nicht nur Ort und Datierung, sondern auch Herkunft, Fotograf und nationale Zuordnung von Opfern und Tätern bis heute umstritten oder völlig ungeklärt. Je nach Fundstelle wird das Foto als Allgemeingut oder Eigentum des Archivs betrachtet, in diesem Fall erheben nicht weniger als vier Bildarchive in Deutschland, Frankreich und den USA Ansprüche auf das Copyright.
Das Buch ist grob chronologisch organisiert, das erste Kapitel thematisiert die Entstehung von Fotografien aus propagandistischen, dokumentarischen oder privaten Motiven in der Vorkriegszeit in Deutschland und Polen, ein Zweites befasst sich mit der Reaktion der Briten und Amerikaner auf die deutsche Kriegsberichterstattung. Die Effizienz der Goebbels'schen Propagandamaschinerie war so groß, dass amerikanische Presseagenturen nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs mit Fotos -in ausgezeichneter Qualität und teils bereits in Farbe - regelrecht überschüttet wurden, wohingegen es Großbritannien während des ganzen Krieges schwerfallen sollte, eine vernünftige Pressearbeit aufzubauen (30 f.), sodass die Briten - trotz urheberrechtlicher Bedenken - auf NS-Fotos zurückgriffen (39) und ab 1942 häufig die Fotos amerikanischer Kriegsberichterstatter verwendeten (129). Gleichzeitig nutzte die polnische Widerstandsbewegung die Mittel der Fotografie, um NS-Verfolgungsmaßnahmen, Kriegszerstörungen und Massaker festzuhalten und - auf Mikrofilm kopiert - außer Landes zu schmuggeln. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion gelangten Fotos von deutschen Gräueltaten auf dem Territorium der Sowjetunion an die westlichen Alliierten und wurden in Zeitungen veröffentlicht oder in Ausstellungen in London und New York gezeigt (51-55). Skurrilitätswert dürfte eine Londoner Wachsfigurenausstellung vom Januar 1945 gehabt haben, die mit einer Lagerinszenierung "all in life-like and life size figures" aufwartete und mit dem Slogan "Do not miss the horrors of the German concentration camp" für sich warb (55 f.). Eindrucksvoll wird hier erneut gezeigt, wie viel die westlichen Alliierten von den Massenvernichtungsverbrechen der Nationalsozialisten wussten und wie sie darauf reagierten.
Die nächsten drei Kapitel sind der Entstehung von Fotografien an den Schauplätzen des Verbrechens - insbesondere Ghettos und Lagern - gewidmet, wobei das Thema aus der Perspektive der Besatzungssoldaten und der jüdischen Ghettofotografen beleuchtet wird. Bei den Besatzern ist der Trophäencharakter vieler Fotografien - den Feind zu fotografieren bedeutete, ihn zu besiegen (63) - unverkennbar, für die Opfer zementierte die Dokumentation ihrer Demütigung diese noch. Die morbide Lust der Täter, die Fotos in Alben zusammenzufassen und zu kommentieren, war dabei integraler Bestandteil des Prozesses der Vernichtung. In den Ghettos entstanden Fotografien unter höchst unterschiedlichen Bedingungen: neben Besatzungssoldaten, die als "Ghettotouristen" oder qua Amt Fotos schossen, benutzten jüdische Fotografen ihre Kameras teils offiziell im Auftrag des Judenrates, teils heimlich und unter Lebensgefahr. In den Lagern fotografierten SS-Angehörige ebenso wie Häftlinge (als Angehörige des Erkennungsdienstes). Auch die dramatische Rettung derartiger Fotos und ihre Überlieferungsgeschichte kommen in Struks Arbeit nicht zu kurz.
Mit der Befreiung der Insassen der Konzentrationslager ging die fotografische Dokumentation durch alliierte Kamerateams einher. Insbesondere die Amerikaner waren - nicht zuletzt dank der Filmindustrie von Hollywood - in der Lage, ausgezeichnete Fotos und Filme zu machen. Allein jede Einheit des US Signal Corps umfasste 20 Fotografen, 30 Kameraleute sowie 25 Techniker und Laboranten, die 1945 über eine Million Fotos produzierten (128 f.). Hinzu kommt eine unbekannte Anzahl von Privatfotos amerikanischer GIs. Den Briten dagegen fehlte sowohl die filmische Tradition als auch das technische Material. Die Fotografen, die die Befreiung von Majdanek und Auschwitz durch die Rote Armee auf Film bannen sollten, waren durch das "Basistabu der visuellen Kriegsberichterstattung" (Gerhard Paul, Bilder des Krieges - Krieg der Bilder, 240), keine eigenen Gefallenen, sondern lediglich feindliche Kriegstote zu zeigen, gehemmt. Publizierte Fotos von Majdanek fallen durch das vollständige Fehlen von Überlebenden und Leichen auf und bilden lediglich Gebäude, Zyklon-B-Behälter oder dingliche Überreste wie Schuhe oder Pässe ab. Die Dokumentierfreudigkeit der Amerikaner wäre wohl ebenfalls begrenzter gewesen, wären sie in Buchenwald und Dachau auf amerikanische Opfer gestoßen (143). Anschließend setzten die Besatzungsmächte auf die "aufklärerische" Konfrontation mit dem Schrecken und verwendeten die Bilder massenhaft auf Plakaten, in Zeitungen, Wochenschauen und Nachkriegsprozessen.
Die vier letzten Kapitel beschäftigen sich mit der Verwendung dieses fotografischen Erbes und der Konstruktion der Erinnerung in Museen, Ausstellungen, Dokumentar- und Spielfilmen. Fotografien, so Janina Struk, erzählen keine Geschichten, sondern illustrieren sie nur. Erst ihr Gebrauch durch Kuratoren, Dokumentarfilmer oder Historiker bestimmt die Interpretation eines Bildes und konstruiert so ein eigenes Narrativ. Fast in allen Ländern - und eben nicht nur in Deutschland - trat die Erinnerung an den Holocaust sehr schnell in den Hintergrund oder wurde für politische Zwecke instrumentalisiert. Der Kalte Krieg ließ es für die westlichen Alliierten nicht mehr opportun erscheinen, die Deutschen an die Verbrechen des NS-Regimes zu erinnern. Klug wählt die Autorin bei der Beschreibung von Gedenkstätten Beispiele der weniger bekannten Orte wie etwa dem Majdanek-Museum in Polen oder dem Beit Lohamei Haghetaot in Israel aus, die beide älter, aber ungleich weniger bekannt sind als die Gedenkstätten Auschwitz und Yad Vashem. Daneben wird aber auch die Arbeit des US Holocaust Memorial Museum oder die Entstehung der Holocaust-Dauerausstellung im Imperial War Museum in London skizziert. Seit den 80er-Jahren diagnostiziert die Autorin eine Fokussierung auf den Holocaust als elementar jüdisches Ereignis, kritisiert aber, dass dies auf Kosten der jüdischen Geschichte vor und nach der NS-Zeit geht, die völlig aus dem Blickwinkel verschwunden ist. Sie warnt davor, jüdisches Leben nur durch Fotos der Vernichtung zu erinnern und sieht insbesondere Familienfotos als Weg, Opfern ihre Würde zurückzugeben, bemerkt aber, dass diese Dokumente durch teils aufwändige Recherchen in ihren Entstehungskontext eingebettet werden müssen.
Die Autorin wirft Fragen auf, denen sich auch Museumskuratoren stellen sollten: welchen Erkenntniswert haben Schuhe der Opfer aus Majdanek, die in London ausgestellt werden oder Pflastersteine aus dem Warschauer Ghetto, die in Washington, D.C. zu sehen sind (193)? Warum sind Abbildungen der Exekution des KZ-Kommandanten Höss in Auschwitz praktisch unbekannt, während die Fotos seiner Opfer in Schulbüchern, Ausstellungen und Museen auf der ganzen Welt verbreitet sind? Wie gehen wir mit den Bildern der Opfer um, wenn wir sie aus den Alben und Archiven in die Öffentlichkeit holen? Machen wir uns nicht zum Handlanger der Nazis, wenn wir sie erneut in ihren letzten Momenten vor dem Tod zeigen? Eine der Ikonen der Holocaustfotografie, die Abbildung einer alten Frau mit drei Kindern nach der Selektion auf dem Weg zu den Gaskammern in Auschwitz-Birkenau, wurde - von einem Ausstellungsmacher, der sich über die Positionierung am "authentischen Ort" begeistert haben mag - 1999 dort aufgestellt. Janina Struk aber mahnt einen sensibleren Umgang mit diesen letzten Zeugnissen der Opfer an: "Whoever they were, they have been condemned to tread the path for ever. Returning their image to Birkenau may be their final humiliation. They had no choice but to be photographed. Now they have no choice but to be viewed by posterity. Didn't they suffer enough the first time around?" (216).
Edith Raim