Esther Meier: Die Gregorsmesse. Funktionen eines spätmittelalterlichen Bildtypus, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, 335 S., 137 Abb., ISBN 978-3-412-11805-1, EUR 44,90
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"Die Gregorsmesse" von Esther Meier reiht sich methodisch in die Gruppe der typenkundlich-ikonographischen, demzufolge thematisch gebundenen Untersuchungen von mittelalterlichen sakralen Bildern und Motiven ein. Die im Herbst 2003 an der Philipps-Universität Marburg angenommene Dissertation besitzt einen Textumfang von 280 Seiten. Ein eher schlichter Abbildungsteil mit 137 kleinformatigen Reproduktionen sowie die Bibliografie der Quellentexte und der Sekundärliteratur schließen sich an. Register zu Orten, Personen und Grafiken erscheinen am Schluss des angenehm handlichen Bandes.
Den einleitenden Teilen, auch der Forschungslage der visio Gregorii wie auch der Gregorsmesse, folgen Darlegungen zur italienischen Genese der imago pietatis nach der Mosaik-Ikone in S. Croce in Gerusalemme in Rom und der frühen Pilgerlegenden. In drei umfangreichen Hauptkapiteln werden in chronologischer Abfolge die Verbreitung, die Etablierung und der Niedergang der Darstellung der Gregorsmesse im 15. und 16. Jahrhundert erläutert.
Das erste Kapitel der Abhandlung belegt in seinem Aufbau bereits das Problem, welches den ganzen Text durchzieht: kunsttopografische Aspekte (Verbreitung) und funktional durch Raum und Ritual gebundene Aspekte (hier: Anbringungsorte wie Tympanon, Teppich, Epitaph, Wandmalerei, Sakramentsnischen und Altarbild) stehen vor einer eigentlichen beschreibenden Analyse des in üppiger Fülle recherchierten und benannten Materials der Bildbeispiele. Ein klassischer, systematischer, nach Bildinhalten und/oder Verwendungs- und Anbringungsbeispielen sortierter Katalog hätte hier sicherlich gute Dienste geleistet. Die theologischen Grundlagen und Vorstellungen hätte man doch gerne vor der Funktion, jedoch nach der deskriptiven Bestandssicherung gesehen. Ihre völlig richtigen Teilthemen zur grundlegenden Vision des Schmerzensmannes, des gemarterten Christus als imago pietatis auf dem Altar, der eucharistischen Wandlung auf der Mensa, die tatsächliche visio beatifica der vera icon des wahren leibhaftigen Gottes in Abbild und Leiblichkeit, werden aufgegriffen. Hier zeigt sich die mit Sorgfalt und Akkuratesse umgesetzte Quellen- und Literaturarbeit besonders deutlich.
Es gelingt der Verfasserin leider nicht immer, die Text- und Bildtradition zwischen Legendenbildung und Vision zu klären. Der ebenso umstrittene Begriff des Andachtsbildes konkurriert mit den narrativen Elementen des ebenso vielfältig angebrachten wie auch vielteilig angelegten Kultbildes.
Die enorme Material- und Objektverdichtung im Bestand präsentiert die "vielfigurige" Gregorsmesse als einen Bildtyp, der insbesondere in den Niederlanden, am Niederrhein, in der norddeutschen Tiefebene, insbesondere im lübschen Raum, verbreitet war. Dass der Formen- und Informationstransfer den alten Hanse-Handelsstraßen respektive -Zentren folgte, wäre nachzutragen gewesen. Ebenso bedeutungsvoll und auch angesprochen wurde die Rolle der Zünfte, Gilden, Bruderschaften, im norddeutschen Raum der "Ämter", hauptsächlich aber der Fronleichnamsbruderschaften und Totengilden einer zunehmend bürgerlicher werdenden Gesellschaft.
Das Kernstück und zentrale Kapitel der Ausführungen von Esther Meier belegt die ungeheure Verbreitung der Gregorsmesse einerseits im privaten Raum - besonders durch grafische Blätter - wie andererseits auch im liturgischen, sakralen Raum im Kontext von Altar, Messe und Sakrament, aber auch in durchaus memorialem Zusammenhang auf katholischen Epitaphien. Durch die von der Verfasserin beschriebene Erweiterung des Kernmotives um das Schweißtuch der Heiligen Veronika, die arma Christi sowie das stetig vermehrte anwesende liturgische "Personal" ist ein Kompilationsbild durch permanente narrative Zufügungen aus dem Andachtsbild der imago pietatis entstanden. Zunehmend befriedigte dies auch Aspekte und Bedürfnisse der Volksfrömmigkeit sowohl dem Procedere der Messe als auch der realen "Gottesschau" gegenüber. Fast analog zu den so genannten "Heiltumsweisungen", ihrer gegenständlichen oder bildlichen Präsenz, erfasst das Bild der Gregorsmesse wie dargelegt zahlreiche Aspekte religiöser Verehrung. Als popularisierte Vision der Transsubstantiation verliert der Bildtyp in der Reformation selbstverständlich an Bedeutung und Verbreitung; führen die bildstürmerischen Tendenzen, wie die Verfasserin ausführlich erläutert, zum Niedergang des visionären Messbildes.
Summa summarum eine vielfältig aufgefächerte, materialreiche Arbeit mit vielen inhaltlichen Vernetzungen zwischen Bildinhalten und -funktionen. Topografisch-historische wie auch formale Aspekte der speziellen Typik insbesondere im niederländisch-norddeutschen Raum hätten allerdings noch tiefer greifend ausgewertet werden können.
In deutlicher Konkurrenz und als Beleg des Gesagten wäre wohl das just publizierte "Bild der Erscheinung. Die Gregorsmesse im Mittelalter" von Lentes und Gormans der Abhandlung von Esther Meier gegenüberzustellen.
Anmerkung:
[1] Thomas Lentes / Andreas Gormans (Hg.): Bild der Erscheinung. Die Gregorsmesse im Mittelalter, in: Kultbild 3, Berlin 2006.
Claudia Annette Meier