Annie Molinié / Alexandra Merle / Guillaume-Alonso Araceli: Les Jésuites en Espagne et en Amérique. Jeux et enjeux du pouvoir (XVIe-XVIIIe siècles) (= Iberica Collection; Vol. 18), Paris: Presses de l'Université Paris-Sorbonne 2007, 631 S., ISBN 978-2-84050-489-4, EUR 35,00
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Obgleich ihre Feinde dazu neigten, in der Gesellschaft Jesu einen verlängerten Arm spanischer Interessen und Machtpolitik zu sehen, waren die Beziehungen zwischen Orden und spanischer Krone von Anfang an durchaus ambivalent. Schon Ignatius war von der Inquisition des Alumbradismo verdächtigt worden, und bis zum Ende der Austrias besaßen die Jesuiten keineswegs das Monopol auf den Zugang zum Monarchen. [1] Andererseits kann nicht übersehen werden, dass dem Orden gerade im Rahmen der spanischen Expansion in Südamerika eine wichtige Rolle zukam, und dass die Rechtfertigung des Ordens sich nicht zuletzt auch aus seinen internationalen Missionsleistungen speiste, die freilich nicht auf die dem spanischen Patronat unterstehenden Weltgegenden beschränkt blieben. Diese Spannungen zwischen politischen und religiösen Machtgefügen einerseits sowie zwischen nationalen und internationalen Interessen andererseits unterstreichen die Relevanz der Fragestellung, die diesen Sammelband anleitet. Die 22 französischen und spanischen Beiträge gliedern sich in vier Themenblöcke: die Beziehung des Ordens zur Krone, das Problem monarchischer Gewalt im politischen Denken der Jesuiten, die Gesellschaft Jesu im gesellschaftlichen Spannungsfeld und schließlich jesuitische Selbstreflexion und Selbstdarstellung. Quer zur Gliederung lassen sich einige inhaltliche Schwerpunkte ausmachen: Jeweils zwei Beiträge befassen sich mit Juan de Mariana und Francisco de Suárez, und ganze vier Beiträge mit den Jesuiten in Paraguay.
Ingesamt ist festzuhalten, dass sich insbesondere die Beiträge zur Beziehung zwischen Jesuiten und Krone im ersten Teil qualitativ deutlich positiv abheben. Annie Molinié (21-34) verweist auf das schwierige Verhältnis zwischen Loyola und Karl V. In der reichhaltigen Korrespondenz des Ordensgründers fehlt ausgerechnet ein Adressat: Mit Karl V. unterhielt Ignatius keine direkte Korrespondenz. Molinié interpretiert dies auch als Zeichen der intellektuellen Ferne und geopolitisch gegensätzlichen Ausrichtungen dieser Protagonisten des 16. Jahrhunderts. Nicht der Protektion spanischer Herrscher verdankten die Jesuiten ihren Aufstieg und Einfluss, sondern der Patronage der weiblichen, meist österreichischen, Mitglieder des Königshauses einerseits und dem Conde Duque de Olivares andererseits. Der Einfluss Olivares' zu Gunsten des Ordens kann nicht überschätzt werden, doch war die Nähe zum Valido, insbesondere die Rolle seines Beichtvaters Padre Francisco Aguado, auch Anlass heftiger Auseinandersetzungen innerhalb des Ordens, wie Araceli Guillaume-Alonso in ihrem Beitrag (35-61) zeigt. [2] Das Thema der weiblichen Patronage steht im Mittelpunkt der Ausführungen Lozano Navarros (63-82), der sich dem Aufstieg und Fall von Eberhard Nidhard widmet, den die Regentin Mariana de Austria als Favoriten durchzusetzen versuchte, womit sie letztlich scheiterte. Während diese Beispiele gerade die Probleme der jesuitischen Einflussnahme am spanischen Hof im 17. Jahrhundert herausstellen, wird in dem äußerst gelungenen Überblick von Béatrice Fonck (83-108) zu den jesuitischen Beichtvätern der Bourbonen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die ganze Bandbreite des neu gewonnenen politischen Einflusses der Jesuiten im Windschatten der französischen Dynastie deutlich. Anfänglich von Louis XIV zur Niederschlagung des Jansenismus in den spanischen Niederlanden vorgesehen, entwickelten sich die Jesuiten im Dienste der neuen bourbonischen Dynastie rasch zu den wichtigsten Agenten nationalkirchlicher Strategien.
Die Kohärenz und Qualität dieses ersten Themenblocks kontrastiert mit dem ambivalenten Eindruck, der von den weiteren Beiträgen ausgeht. Dies ist verschiedenen Gründen zuzuschreiben, zu denen die schon angedeuteten Überschneidungen gehören, die zugleich das Symptom tief greifenderer Mängel sind. Als Beispiel sei auf die Überlappungen zwischen den Beiträgen von Eric Marquer zur Kontroverse zwischen Suárez und Jakob I. (161-178) und der überblicksartigen Darstellung von Alicia Oïffer-Bomsel zu Suárez' Tractatus de Legibus et de Deo legislatore (179-203) verwiesen. Die Polemik mit Jakob I. kann natürlich nicht getrennt von Suárez allgemeinen politischen Entwürfen im Tractatus verstanden werden und letzterer wiederum nicht abgelöst von jesuitischen Denktraditionen. Umso stärker sticht ins Auge, dass Marquer und Oïffer-Bomsel extrem werkimmanent vorgehen, und zwar so werkimmanent, dass sie sich nicht nur gegenseitig zu ignorieren scheinen, sondern auch Ausblicke auf den Gesamtkontext des jesuitischen Denkens ebenso vermeiden wie Bezüge zur aktuellen Forschungsdiskussion. [3]
Mangelnde Kontextualisierung ist nicht nur das Problem dieser beiden Beiträge, sondern ein grundsätzliches Problem des Bandes. Die konsequente Nichtbeachtung internationaler Forschung italienischer, deutscher und zum Teil auch angelsächsischer Provenienz ist zum Teil geradezu atemberaubend. So beschränkt sich Alexandra Merle (111-140) in ihrem Beitrag zum Antimachiavellismus Ribadeneiras im Wesentlichen auf eine Zusammenfassung und hangelt sich in ihrer Interpretation an Michel Senellart entlang. Von einer Auseinandersetzung mit Klassikern zum Thema [4] fehlt jede Spur. Jean-Paul Duviols scheint seine Lektüre zur Frage des Verhältnisses von Jesuiten und Indios in Paraguay (319-350) Mitte der 1970er-Jahre konsequent zum Abschluss gebracht zu haben, und in seiner Analyse kommt er über Gemeinplätze zum Paternalismus der Ordensleute nicht hinaus. Endgültig verwirrt ist man, wenn ein so ausgezeichneter Kenner jesuitischer Reiseberichte wie Hugues Didier sich unter dem Titel "Entre l'Europe et les missions lointaines, les jésuites premiers mondialisateurs" (355-367) zu der Aussage versteigt, dass das wirtschaftliche Engagement der Jesuiten in Südamerika gewissermaßen den Aktivitäten moderner NGOs (sic!) gleiche. Man möchte dem Autor hier die Lektüre von Dauril Aldens Werk zur "Unternehmensgeschichte" des Ordens in Brasilien ans Herz legen, das unter Umständen fundiertere Überlegungen hätte anregen können. [5]
Die mangelnde Rezeption der internationalen Forschungsdiskussion ist keineswegs nur eine Frage pedantischen Fußnoten-Namedroppings. Letztlich und viel grundsätzlicher geht es nämlich um die unzureichende Deklination der Gesamtfragestellung, wobei unklar ist, ob ersteres letzteres beeinflusst oder vice versa. Die spannende Grundfrage der Beziehungen des Ordens zur Staatsgewalt im spanischen Raum wirft natürlich weiterreichende Fragen auf, die nicht einmal ansatzweise gestreift werden: z.B. die Frage der Konfessionalisierung, ein Konzept, das den Autoren unbekannt zu sein scheint, oder aber jene des Verhältnisses zwischen Orden und Inquisition, das Stefania Pastore für das 16. Jahrhundert neu aufgearbeitet hat. [6] Nicht nur von hier aus hätte man vertiefen und erweitern können, auch Vergleiche z.B. mit der gar nicht fernen, aber deutlich anderen portugiesischen Entwicklung, die Giuseppe Marcocci jüngst beleuchtete [7], drängen sich eigentlich auf, wenn man sich nur ein bisschen kundig macht, wovon man bei Herausgebern einer Reihe unter dem Titel "Iberica" eigentlich ausgehen dürfen sollte.
Nicht zuletzt auch konzeptuell enttäuschen viele Beiträge: Wenn nicht einfach relativ kontext- und relevanzfrei Quellen transkribiert werden, darf man sich im günstigeren Fall - Sorbonne oblige - eines orthodoxen "commentaire de texte" erfreuen. Forschungsdiskussionen bringt das nicht eben voran. Trotz der zitierten gelungenen Beiträge mag die Feststellung erlaubt sein, dass man vom Universitätsverlag der Sorbonne etwas mehr erwartet hätte.
Anmerkungen:
[1] Siehe hierzu neuerdings die gründliche Studie von Julián J. Lozano Navarro: La Compañia de Jesús y el poder en la España de los Austrias, Madrid 2005.
[2] Ein Vergleich mit dem kürzlich erschienen Werk von Orietta Filippini ist reizvoll, siehe Nicole Reinhardt: Rezension von: Orietta Filippini: La coscienza del re. Juan di Santo Tomás, confessore di Filippo IV di Spagna (1643-1644), Firenze 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], http://www.sehepunkte.de/2007/03/11984.html
[3] Bei der Behandlung der Polemik um den oath of allegiance fehlt z. B. jeder Hinweis auf die wegweisenden Werke von Paolo Prodi zum politischen Eid und zur Geschichte der Gerechtigkeit; Paolo Prodi: Il sacramento del potere: il giuramento politico nella storia costituzionale del Occidente, Bologna 1992; ders.: Una storia della giustizia: dal pluralismo dei fori al moderno dualismo tra coscienza e diritto, Bologna 2000. Ebenfalls nicht zur Kenntnis genommen wird Harro Höpfl: Jesuit political thought. The Society of Jesus and the State, c. 1540-1630, Cambridge 2004, das allerdings in der Gesamtbibliographie (584-603) aufgeführt ist! Eine Rezension dieses Werkes von Wolfgang Reinhard in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.2005], http://www.sehepunkte.de/2005/06/7122.html
[4] Robert Bireley: The Counter-Reformation Prince: Anti-Machiavellianism or Catholic Statecraft in Early Modern Europe, Chapel Hill 1990; Chiara Continisio / Cesare Mozzarelli (Hg.): Repubblica e virtù. Pensiero politico e monarchia cattolica fra XVI e XVII secolo, Roma 1995.
[5] Dauril Alden: The Making of an Enterprise. The Society of Jesus in Portugal its Empire and Beyond, Stanford 1996, immerhin mit dem John Gilmore Shea Prize im Jahr 1997 ausgezeichnet.
[6] Stefania Pastore: Il vangelo e la spada. L'inquisizione di Castiglia e i suoi critici (1460-1598), Roma 2003, Rezension von Nicole Reinhardt in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], http://www.sehepunkte.de/2004/02/4325.html
[7] Siehe Giuseppe Marcocci: I custodi dell'ortodossia. Inquisizione e Chiesa nel Portogallo del Cinquecento (= Temi e testi 51), Roma 2004, besonders 283-310.
Nicole Reinhardt