Gabriele Lingelbach (Hg.): Vorlesung, Seminar, Repetitorium. Universitäre geschichtswissenschaftliche Lehre im historischen Vergleich, München: Martin Meidenbauer 2006, 366 S., ISBN 978-3-89975-566-4, EUR 49,90
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Gute Lehre ist nicht nur eine Frage materieller Ressourcen. Sie basiert mindestens ebenso sehr auf dem Willen der Lehrenden, den Studierenden die aktive Beschäftigung mit der Geschichtswissenschaft zu ermöglichen. Ein guter Dozent fasst den Lernprozess nicht nur als Einbahnstraße auf, sondern als Konstruktionsprozess, an dem sich der Lernende aktiv beteiligen muss, um Nutzen daraus zu ziehen. Diese Erkenntnisse sind ebenso alt und banal wie ungewöhnlich. Ungewöhnlich deshalb, weil gerade die universitäre Lehre des Fachs Geschichte in den letzten Jahrzehnten ihren deklamatorischen Charakter beibehalten hat - trotz aller Bekenntnisse zum forschenden Lernen.
Der Band von Gabriele Lingelbach basiert auf den Beiträgen einer Tagung, die 2003 in Trier stattfand. Er zeigt, dass vieles von dem, was heute an Lehrkompetenz vermisst wird, in früheren Jahren bereits vorgedacht und auch praktiziert worden ist. Doch genau wie die universitäre Lehre von der Zunft oft stiefmütterlich behandelt wurde und noch wird, so hat sich die Historiographiegeschichte stets und ausgiebig den Forschungsleistungen des Fachs, nie aber der Lehre gewidmet. Dies sagt einiges über das Selbstverständnis vieler Historiker aus, die sich primär als Forscher verstehen.
Dennoch gibt es Ausnahmen, wie der Band verdeutlicht: In Deutschland war es neben Ranke mit der Einführung des seminaristischen Unterrichts vor allem Ernst Bernheim (Andreas Gestrich), der auf die Aktivierung seiner Studierenden im Lernprozess größten Wert legte. Andere Beispiele aus Österreich und der Schweiz (Daniela Saxer), aber auch aus benachbarten Fächern wie der Orientalistik (Sabine Mangold) dokumentieren jedoch auch, wie eng die institutionellen und personellen Grenzen waren, denen sich anspruchsvolle Lehre ausgesetzt sah. Dies gilt nicht nur für den deutschsprachigen Raum, wie verschiedene Studien zu den Niederlanden (Christoph Strupp), Polen (Markus Krzoska), Afrika (Andreas Eckert), den USA (Konrad Jarausch) und Frankreich (Gabriele Lingelbach, die dazu das französische Beispiel mit dem amerikanischen verknüpft) zeigen. Den Wert von Vorlesungen analysiert schließlich Ernst Schulin.
Übungen, Seminare und Konversatorien - all diese Lehrformate dienten dazu, einen wissenschaftlichen Diskurs in Gang zu setzen und die Studierenden aktiv hieran zu beteiligen. Diese Demokratisierungstendenz, die die herkömmliche Hierarchie zwischen Professor und Studierenden - Privatdozenten gehörten oft zu den Neuerern - zumindest teilweise auflöste, traf zugegebenermaßen allerorten auf Widerstand. Gleichzeitig erfreuten sich die neuen Formen größter Beliebtheit unter den Studierenden, denen die schematische Wissensvermittlung in Vorlesungen nicht mehr reichte. Dies bedingte, dass die neu gegründeten Historischen Seminare mit entsprechenden Bibliotheken ausgestattet wurden und der einzelne Lehrende die Studierenden an die Arbeit mit Quellen heranführte. Alles in allem bestand ein Resultat dieser Entwicklung in der zunehmenden Professionalisierung des Fachs, die eben nicht nur auf die Forschung beschränkt blieb.
Die einzelnen Beiträge des Sammelbandes sind durchaus von unterschiedlichem Wert hinsichtlich der historischen Bestandsaufnahme universitärer Lehre. Teils beschreiben sie diese auf der Ebene konkreter Seminarsituationen - beispielsweise Pavel Kolar, der sich den Universitäten in Berlin, Prag und Wien zu Beginn des 20. Jahrhundert widmet -, teils wird die Lehre nur gestreift, und es werden doch nur wieder Forschungsleistungen von Historikern vorgestellt. Dies ist zuweilen ein Quellenproblem, denn über den Lehrstil eines Historikers existieren kaum Selbst- und nur wenige Fremdaussagen. Hinzu kommt, dass diejenigen, die sich rückblickend über ihre akademischen Lehrer äußern, dies in der Regel selbst als profilierte Historiker und damit als Gewinner des Systems tun. All jene aber, die die Lehre des Professors grässlich fanden, werden im Nachhinein kaum noch etwas über dessen Lehre sagen, wenn sie denn überhaupt dem Fach die Treue gehalten haben. Dennoch ist eine exakte Analyse hochschulreformerischer Bestrebungen möglich, wie Matthias Middell in seinem diachronen Vergleich für das Kaiserreich, die DDR und die BRD zeigt. Dabei wird deutlich, dass schon in frühen Jahren ein Großteil der Studierenden eben keine Karriere in der Forschung, sondern im außerwissenschaftlichen Bereich anstrebte. Dies musste Rückwirkungen auf die Lehrformen und -inhalte der geschichtswissenschaftlichen Studiengänge haben - ein nicht zu vernachlässigender Aktualitätsbezug.
Angesichts der aktuellen Modularisierungsbestrebungen unter dem Stichwort "Bologna-Prozess" kommt dieses Buch gerade recht. Denn die Historisierung der Debatte um die Verbesserung der universitären Lehre nimmt bisher nur geringen Raum ein. Bei der Lektüre des Bandes drängt sich der Eindruck auf, dass die institutionellen Rahmenbedingungen einerseits immer Grenzen setzen, andererseits aber auch Freiräume eröffnen, die vom einzelnen Lehrenden auszufüllen sind. Daher wäre verstärkt nach dem Selbstverständnis der Hochschullehrenden zu fragen. Anders gesagt: Es kommt mehr auf den Willen an, gute Lehre anzubieten und weniger auf die Frage, ob dies in modularisierten oder nicht-modularisierten Studiengängen zu geschehen hat. Einer Entschuldigung für die Nachrangigkeit von Lehre gegenüber der Forschung ist mit diesem Band jedenfalls der historische Boden entzogen.
Rainer Pöppinghege