Holger Tümmler (Hg.): Die Randbemerkungen Friedrichs des Großen, Wolfenbüttel: Melchior Historischer Verlag 2006, 159 S., ISBN 978-3-939791-08-9, EUR 19,95
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Der von Friedrich dem Großen (reg. 1740-1786) in seinen Politischen Testamenten von 1752 und 1768 theoretisch begründete Anspruch monarchischer Selbstherrschaft zielte nicht nur auf die persönliche Führung der Armee in Kriegszeiten ("roi-connétable"), sondern erstreckte sich auf alle Bereiche von Politik und Verwaltung auch in Friedenszeiten. Als verfassungsgeschichtlicher Ausdruck dieses Anspruchs ist die in bewusster personaler und räumlicher Distanz zum Berliner Generaldirektorium betriebene Politik aus dem Potsdamer Kabinett heraus zu betrachten. [1]
Mit einer thematisch gegliederten Auswahl von Randbemerkungen Friedrichs II. richtet Holger Tümmler im anzuzeigenden Band den Blick auf eine der archivalischen Hinterlassenschaften jenes persönlichen Regiments. Dieses Unterfangen wäre angesichts der Bedeutung des Gegenstandes für weite Bereiche der Preußenforschung durchaus zu begrüßen, doch stimmt bereits das Titelblatt nachdenklich. Denn wenn der Leser bei einem Neudruck darüber im Unklaren gelassen wird, welches Werk soeben eine Neuauflage erfahren hat, so evoziert diese Leerstelle die Frage nach möglichen Gründen. Auch die Einleitung hält sich in diesem Punkt auffallend bedeckt: "Schon früh" seien die Randbemerkungen "von Beamten aller Archive und Bibliotheken mit einer besonderen Leidenschaft gesammelt" worden, was "heute den reichen Fundus für dieses außergewöhnliche Werk" bilde (8).
Bevor auf die eigentliche Zitatensammlung einzugehen ist, muss hier freilich nachgehakt werden. Denn anders als von Tümmler nahegelegt, verteilte sich jene besondere Leidenschaft keineswegs gleichmäßig über die Jahrhunderte, sondern unterlag stattdessen auffälligen "Fieberkurven", die ihrerseits auf die Auswahl der vorliegenden Sammlung zurückwirkten. So war es insbesondere die geschichtspolitische Vereinnahmung der friderizianischen Epoche durch den Nationalsozialismus, welche sich stimulierend auf den Sammeltrieb mancher Archivare und Bibliothekare auswirkte. 1940, unmittelbar nach dem Sieg über Frankreich, legte Carl Hinrichs (1900-1962), zeitweiliger Mitarbeiter am Editionsprojekt der Acta Borussica und zu jenem Zeitpunkt Archivrat am Staatsarchiv Königsberg, mit der Monographie "Der allgegenwärtige König" eine auch heute noch wichtige Quellensammlung zur friderizianischen Herrschaftspraxis vor. [2] Der soeben zum "Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches" avancierte Hermann Göring steuerte dazu das Geleitwort bei, in welchem Friedrichs Kabinettsregierung als Vorläufer für die "überragende Staatskunst unseres geliebten Führers" herhalten musste, durch die das Alte Preußen seine "herrlichste Vollendung" gefunden habe. Zu gleicher Zeit erschien die Erstfassung des hier zu besprechenden Buches bereits in siebter Auflage, hatte doch Georg Borchardt schon 1936 unter dem Motto "Herrschen und Dienen" eine zweibändige Auswahl von Randbemerkungen des Preußenkönigs publiziert, die sich neben den Kabinettsminüten des Geheimen Staatsarchivs Berlin unter anderem auf die Acta Borussica stützte. [3]
Die von Holger Tümmler zum Abdruck gebrachte und mit zahlreichen Abbildungen vor allem Adolph Menzels versehene Sammlung ist gewissermaßen ein gekürzter Borchardt, wobei wortgleich übernommene Passagen, neu formulierte Einschübe und Auslassungen nahtlos und ohne Kennzeichnung ineinander übergehen. In der Einleitung firmiert Friedrich als "eigentlicher Schöpfer des Staates, dessen Tugenden wie Arbeitsamkeit, Pflichterfüllung, Maßhalten und Sparsamkeit bis in die heutige Zeit nachhallen" (7). Auch der Duktus des Jahres 1936 hallt unverkennbar nach, wenn etwa das Ziel postuliert wird, dem heutigen Leser die Person des Preußenkönigs "unverfälscht und lebenswahr" (8) nahezubringen. Diese Lebenswahrheit besteht nach Tümmler aus einem König als "fürsorglichem Landesvater", welcher die Vorkommnisse im Staate Preußen "in knappen und treffenden Bemerkungen" kommentierte.
Diese über alle Zweifel erhabene Hagiographie fällt streckenweise selbst hinter die Vorlage Borchardts zurück, der es 1936 immerhin nicht unterlassen hatte, seine Leser auf die "äußerlich schlechte Behandlung" hinzuweisen, die zahlreiche Beamte durch ihren König erdulden mussten. In der Tat kann man selbst den von Tümmler abgedruckten Bemerkungen unzweifelhaft entnehmen, dass das sprichwörtliche "travailler pour le roi de Prusse" neben allem anderen auch ein dickes Fell voraussetzte. So sahen sich nicht wenige Staatsdiener als "Schurken" oder "haufen alte Maulesels" (43) beschimpft, während ihre Vorlagen als "Fickfackereien" (51) in die Ablage wanderten. Die folgenschwere und mit wachsenden Reibungsverlusten verbundene Entfremdung zwischen Monarch und Ministerialbürokratie, zu der einiges zu sagen wäre, wird freilich nicht thematisiert - im Gegenteil: Noch im Nachwort erfährt ausgerechnet Friedrichs "sich in treffsicherem Witz entladender Humor" eine uneingeschränkte Würdigung (157).
Dass es Tümmler an jeglicher Distanz zu seinem "Protagonisten" mangelt, ließe sich auch anhand weiterer Adressatenkreise der Randbemerkungen wie beispielsweise dem Adel (17-25) oder den Bürgern und Bauern (60-65) aufzeigen, worauf an dieser Stelle jedoch verzichtet werden soll. Nicht vorbeizugehen ist indes selbst bei einer populärwissenschaftlichen Publikation an jenen Passagen, die zwischen 1936 und 2006 stillschweigend der Schere zum Opfer gefallen sind, wozu bezeichnender Weise Friedrichs abfällige Äußerungen über Juden zählen. Borchardt hatte es 1936, ein Jahr nach Erlass der "Nürnberger Gesetze", unternommen, die höchst restriktive friderizianische Judenpolitik zum Vorläufer eines rassisch motivierten Antisemitismus umzubiegen. So sei Friedrich den Juden "aus sozialpolitischen und rassischen Gründen abhold" gewesen, habe das "Vordringen des jüdischen Einflusses im Großhandel und Gewerbe" scharf verurteilt und dennoch gegen den permanenten "Zustrom an Juden" kaum etwas ausrichten können.
Was nicht passt, wird passend gemacht: Jenes Kapitel, das jenseits nationalsozialistischer Geschichtsverfälschung vorzüglich dazu geeignet gewesen wäre, über die Grenzen des "Aufgeklärten Absolutismus" friderizianischer Prägung nachzudenken, wurde der Einfachheit halber ersatzlos gestrichen. Geblieben sind hingegen jene wohlbekannten Sentenzen, die bereits zu Friedrichs Lebzeiten die Selbstdarstellung des "roi philosophe" konstituierten, wie beispielsweise: "Die Religionen müßen alle tolleriret werden und muß der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, daß keine der andern Abruch tuhe, den hier muß ein jeder nach seiner Fasson selich werden" (68).
So kann Tümmler zu dem Fazit kommen, dass zahlreiche Randbemerkungen "auch in unsere Zeit passen würden" (158). Diesem trotzigen Schlussakkord beigegeben ist ein Kupferstich von unzweideutiger Metaphorik: Die Flügeltüren der Gruft in der Potsdamer Garnisonkirche geben den Blick des Lesers frei auf den Sarg des großen Königs. Und wer an den Widersprüchlichkeiten der Moderne verzweifelt, mag sich mit Tümmler an der Erinnerung an einen Monarchen aufrichten, der gesegnet war mit "vollkommener Beherrschung der Regierungsaufgaben bis in die kleinsten Zweige" (157).
Anmerkungen:
[1] Wolfgang Neugebauer: Das Preußische Kabinett in Potsdam. Eine verfassungsgeschichtliche Studie zur fürstlichen Zentralsphäre in der Zeit des Absolutismus, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 44 (1993), 69-115.
[2] Carl Hinrichs (Hg.): Der allgegenwärtige König. Friedrich der Große im Kabinett und auf Inspektionsreisen, 3. Aufl., Berlin 1943.
[3] Georg Borchardt (Hg.): Die Randbemerkungen Friedrichs des Großen, 2 Bde., 7. Aufl., Potsdam 1940.
Tobias Schenk