Irmgard Hantsche (Hg.): Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679) als Vermittler. Politik und Kultur am Niederrhein im 17. Jahrhundert (= Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas; Bd. 13), Münster: Waxmann 2005, 244 S., ISBN 978-3-8309-1528-7, EUR 28,00
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Michael Kaiser / Michael Rohrschneider (Hgg.): Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640-1688), Berlin: Duncker & Humblot 2005
Wer im 17. Jahrhundert als elftes von 23 Kindern einer kleinen südwestdeutschen Grafendynastie geboren wurde, muss zwar nicht gleich unser Bedauern erwecken. Gleichwohl waren die Aussichten auf standesgemäße Ämter und Würden sowie das dazugehörige Auskommen nicht unbedingt günstig für den 1604 geborenen Johann Moritz von Nassau-Siegen, dessen Lust zum Studieren sehr gering war (vgl. Seite 176) und für den als Calvinist eine Karriere in der Reichskirche nicht in Frage kam.
Der Werdegang des Grafensohnes verlief gleichwohl beeindruckend. Sein Aufstieg im Heer der Generalstaaten ab 1621 beruhte weitgehend auf tatsächlicher Leistung und trug ihm den Gouverneursposten in Niederländisch-Brasilien ein: Von 1637 bis 1644 war er dort mit Geschick und Glück im Auftrag der Westindischen Kompanie tätig. Zurückgekehrt in die Alte Welt, berief Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg ihn 1647 zum Statthalter in Kleve-Mark; dieses Amt versah Johann Moritz in unterschiedlicher Intensität bis zu seinem Tod 1679. Der Kurfürst verschaffte ihm 1652 die Würde eines Johanniter-Herrenmeisters der Ballei Brandenburg; in vorgerückten Jahren schließlich krönte 1668 die ersehnte Ernennung zum Feldmarschall der Niederländischen Republik die erfolgreiche Laufbahn.
Zweifellos macht vor allem die brasilianische Zeit Johann Moritz' Besonderheit unter vergleichbaren adligen Amtsträgern europäischen Zuschnitts aus. Diese Zeit bleibt im vorliegenden Band zwar ausgespart (da sie Hauptgegenstand einer anderen Konferenz im Jubiläumsjahr 2004 war; das Erscheinen des Konferenzbandes in derselben Reihe wie dieser Band steht unmittelbar bevor [1]). Die hier zu lesenden zwölf Beiträge rund um die klevische Statthalterschaft zeigen aber, dass es jenseits der Exotik genügend reizvolle Aspekte im Leben des Siegener Fürsten gab, die für unser Verständnis des 17. Jahrhunderts von Bedeutung sind. Dabei gehen fast alle Beiträge über das hinaus, was vor einem Vierteljahrhundert anlässlich von Johann Moritz' 300. Todestag publiziert wurde - auf diese neuen Akzente soll hier vor allem eingegangen werden.
Horst Lademacher sieht Johann Moritz im Gesamtzusammenhang der brandenburgisch-niederländischen Beziehungen seiner Zeit. Er stellt klar, dass angesichts des "west-östlichen Kulturgefälles" von einem wirklichen "Band der Intellektualität" nicht gesprochen werden könne (24); die 1979 noch herausgehobene Bedeutung einer neustoizistisch-niederländischen Bewegung in Kurbrandenburg wird damit - im Anschluss an die vor einigen Jahren durch Martin van Gelderen vorgebrachten Argumente - behutsam beiseite gelegt. Deutlich erkennbar sind hingegen die Beziehungen in Landwirtschaft, Schiffbau, Gartenbau: Das kriegsverheerte Brandenburg profitierte hier von den Verbindungen in den Westen, wie besonders in den beiden letzten Beiträgen des Bandes von Diedericke M. Oudesluijs und Katharina Bechler klar wird.
Michael Kaiser behandelt Johann Moritz' Rolle auf den kleve-märkischen Landtagen. Der Siegener war nach Stellung und Persönlichkeit ein Vermittler - darüber besteht schon länger Konsens. Doch was ist darunter eigentlich zu verstehen? Kaiser arbeitet das genauer heraus, und er zeigt auch das dieser Vermittlerrolle inhärente Problem auf: Johann Moritz lief immer wieder Gefahr, zwischen die fürstlich-ständischen Fronten zu geraten. Die facettenreiche politische Kultur des 17. Jahrhunderts wird gerade in diesem Beitrag erkennbar.
Vermittler war Johann Moritz in seinem klevischen Statthalteramt aber auch zwischen Kurbrandenburg und den Kleve unmittelbar benachbarten Sieben Provinzen - nicht zuletzt als Kommandeur niederländischer Garnisonen in klevischen Städten! Michael Rohrschneiders Aufsatz zeigt, dass auch diese Aufgabe zum "Balanceakt" geraten konnte (191), aufgrund der innerniederländischen Reibereien wie auch aufgrund der Tatsache, dass der eigenwillige außenpolitische Kurs des Großen Kurfürsten naturgemäß nicht immer mit dem der Generalstaaten zusammenkam.
In Irmgard Hantsches Beitrag über die Gründungsphase der Universität Duisburg wird der Anteil Johann Moritz' wie auch des Kurfürsten an der Hochschulgründung relativiert. Umso deutlicher werden in den Beiträgen von Bert Thissen und Wilhelm Diedenhofen die außergewöhnlichen Dimensionen der Park- und Gartenanlagen, die der Nassauer rund um Kleve schuf. Sie sind im Grundsatz natürlich schon bekannt, aber wenn Thissen dezidiert von einer "Residenzlandschaft" (126) und einem "eigenen Hofstaat" (129) spricht, dann wird die politische Dimension zu Recht akzentuiert.
Helmut Gabel stellt die Johann-Moritz-Rezeption in der deutschen und niederländischen Historiographie dar. Nuanciert zeichnet er nach, wie man dem Grafen (seit 1652 Fürsten) von Nassau in der borussischen Historiographie doch eine gewisse Reserve entgegenbrachte und mit den heute kosmopolitisch anmutenden Zügen des "Brasilianers" wenig anfangen konnte. Auf niederländischer Seite stieß dagegen die enge und freundschaftliche Verbindung Johann Moritz' zum brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm auf nur mäßiges Interesse und Verständnis. In beiden Fällen standen nationalgeschichtlich-politisch geprägte Erkenntnismuster einer Würdigung lange Zeit im Weg. Die literarische Verarbeitung des Statthalters auf beiden Seiten der heutigen Grenze behandelt Guillaume van Gemert auf überzeugende Weise.
Eine moderne Biographie Johann Moritz' steht noch aus, der vorliegende Band enthält wichtige Impulse dafür. Vielleicht wird es auch möglich sein, der Persönlichkeit des klevischen Statthalters etwas näher zu kommen: Er war gewiss Vermittler und füllte diese Rolle gut aus; aber ob die Rolle als zweiter Mann ihn ausfüllte? Jörg Engelbrecht deutet in seinem Beitrag über Johann Moritz' militärische Karriere die Erhebung des Grafen in den Fürstenstand wohl richtig, wenn er darin eine "symbolische Kompensation für die weisungsgebundene Stellung" vermutet, die der klevische Statthalter "Zeit seines Lebens innehatte" (186).
Anmerkung:
[1] Gerhard Brunn / Cornelius Neutsch (Hg.): Sein Feld war die Welt. Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679). Von Siegen über die Niederlande und Brasilien nach Brandenburg (= Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas; Bd. 14), Münster / u.a 2007.
Volker Seresse