Claus Fackler: Stiftsadel und geistliche Territorien, 1670 - 1803. Untersuchungen zur Amtstätigkeit und Entwicklung des Stiftsadels, besonders in den Territorien Salzburg, Bamberg und Ellwangen, St. Ottilien: EOS Verlag 2006, 412 S., ISBN 978-3-8306-7268-5, EUR 28,00
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Die räumliche Beschränkung auf ein zu untersuchendes Territorium ist gängige Praxis in der geschichtswissenschaftlichen Forschung, bietet die regionale Perspektive doch zumeist eine praktikable und bewährte Abgrenzung eines Untersuchungsgegenstandes. Die Betrachtung von Akteuren, die sich nur sekundär an territorialen Grenzen orientierten und häufig in überterritorialen Zusammenhängen agierten, wird dadurch jedoch stets ein wenig erschwert, wofür der Adel im Reich ein gutes Beispiel abgeben mag. Erfreulich ist daher der vergleichende territoriale Ansatz, den Claus Fackler für seine Dissertation über die Amtstätigkeit des Stiftsadels im süddeutschen Raum wählt.
Die Fürstbistümer Salzburg und Bamberg sowie die Fürstabtei Ellwangen bilden die territoriale Grundlage der Arbeit, bisweilen ergänzt durch Beobachtungen aus dem nordwestdeutschen Raum. Mit Salzburg als bedeutendem Erzbistum im Südosten des Reiches, Bamberg als mittelgroßem Bistum unter starkem Einfluss der fränkischen Reichsritterschaft und Ellwangen als adeligem Chorherrenstift stehen drei unterschiedlich strukturierte Mitglieder der Germania Sacra zur Verfügung, an denen Fackler die adelige Ämtertätigkeit untersucht. Zwei Fragen leiten ihn dabei: Welchen Anteil hatte der Adel an der personellen und sozialen Zusammensetzung der geistlichen und weltlichen Führungsgruppen dieser Territorien? Und welche Veränderungen erfuhr dieser Stiftsadel durch seine Ämtertätigkeit in Diensten des geistlichen Staates? Der zeitliche Rahmen dieser Arbeit wird dabei durch die anderthalb Jahrhunderte zwischen Westfälischem Frieden und Säkularisation definiert, in denen der Bestand der Reichskirche durch keinerlei äußere Bedrohungen angefochten war - und denen sich die Forschung zur Reichskirche entsprechend intensiv gewidmet hat.
Nach einer Einführung zu den geistlichen Territorien des Reiches im Allgemeinen und dem stiftsfähigen Adel im Besonderen wendet sich der Autor nacheinander dem "Stiftsadel in Hof und Verwaltung", den "Diensteinkommen und Verdienstmöglichkeiten", dem "Zusammenhalt stiftsadeliger Familien", "Konfession und Konversionen" und der "Sozialen Mobilität stiftsadeliger Familien" zu. Früh wird klar, wo die bemerkenswerte Stärke dieser Untersuchung liegt: in einem außerordentlich breiten prosopographischen Zugriff auf den Stiftsadel der untersuchten Territorien. Fackler hat seiner Untersuchung eine große Zahl stiftsadeliger Familien zu Grunde gelegt und kann aus diesem Reservoir reichhaltig schöpfen, um adelige Ämterlaufbahnen und die sie tragenden familiären Strategien und Netzwerke zu illustrieren. Zu jedem untersuchten Aspekt adeliger Ämtertätigkeit liefert er zahlreiche familiäre Kurzbiographien unter dem entsprechenden thematischen Gesichtspunkt. Mehr als 50 adelige Familien aus schwäbischem, fränkischem oder erbländischem Adel erfahren so eine differenziertere Betrachtung. Es ergibt sich ein äußerst detailreiches Bild adeliger Karrieremöglichkeiten in den Diensten eines geistlichen Fürstentums.
Doch die Stärke der Untersuchung ist auch zugleich ihre Schwäche. Das äußerst reichhaltige Material verlangt nach klaren Strukturen und prägnanten Beispielen zur Veranschaulichung bestimmter stiftsadeliger Handlungsmuster, doch leider verliert sich der Blick zu oft in einer Vielzahl verschachtelter Amts- und Familienverhältnisse. Der Ansatz, nicht systematisch die Funktion und Besetzung der vom Adel beanspruchten Ämter in den untersuchten Territorien nachzuzeichnen, sondern - relativ willkürlich - einzelne Ämter am Hof oder in der Regionalverwaltung herauszugreifen und einen Blick auf den adeligen Inhaber und seine Familie zu werfen, erweist sich als problematisch, da über die Sammlung adeliger Biographien und Karrieren individuelle familiäre Handlungsmuster erkennbar werden, nicht aber standesweite Ämternutzungsstrategien oder eine Ämterpolitik der geistlichen Landesherren. Es ist weder klar, warum ausgerechnet das salzburgische Regionalamt Neumarkt oder das bambergische Pflegamt Veldenstein-Neuhaus oder das ellwangische Oberamt Wölstein-Heuchlingen-Abtsgemünd für eine genauere Analyse ausgewählt wurden, noch warum es gerade die bischöfliche Ämterpatronage in Salzburg ist, die größeren Raum zugesprochen bekommt. Die Frage, ob diese Fälle besonders typisch oder besonders außergewöhnlich waren, bleibt offen. Einen umfassenden statistischen Überblick, wer wann welches Amt innehatte, liefert die Untersuchung nicht. Eine Vielzahl verschiedener Ämter in den Händen unterschiedlichster Familien und mannigfaltige Reaktionen auf politische oder soziale Herausforderungen stehen häufig unverbunden nebeneinander, ohne dass nach standesspezifischen Handlungsmustern oder familienübergreifenden Charakteristika gefragt wird.
Diese analytische Unschärfe macht sich noch häufiger bemerkbar: Statt des sechzehnten oder einundzwanzigsten Beispiels für eine protestantische oder konvertierte Adelsfamilie in bambergischen Diensten wäre sicherlich eine Beantwortung der Frage interessanter gewesen, warum der Zugang zu den dortigen stiftischen Ämtern nicht mittels eines Konfessionseides reguliert wurde wie etwa in Würzburg oder in Münster. Statt bei der Aufzählung geförderter bischöflicher Verwandter in Salzburg zu verharren, hätte die Frage gestellt werden dürfen, warum manch anderer Erzbischof auf solchen Nepotismus verzichtete. Und statt eines willkürlich erscheinenden Blickes auf Familien und Ämter wäre zunächst ein Überblick über die höchst unterschiedliche Funktion und Reputation der Ämter wünschenswert gewesen, unterschied sich doch beispielsweise die Bedeutung eines Obristjägermeisters von der eines Direktorialgesandten zum Reichstag ebenso wie die von Amtsträgern im Zentrum und solchen an der Peripherie des Territoriums. Zu häufig wird der Leser mit einer Vielzahl adeliger Protagonisten aus einer Unmenge verschiedener Familien allein gelassen ohne diese Beispiele in den Gesamtkontext eingeordnet zu bekommen. Nach der Lektüre ist keineswegs klar, welches Reservoir an Ämtern die drei geistlichen Territorien dem Adel überhaupt zur Nutzung bereit stellen konnten, welche Adelsgruppen um diese Ämter konkurrierten und welche Familien die gebotenen Karrierechancen erfolgreich nutzten. Ohne den administrativen und ständischen Rahmen zu erläutern, in dem sich adeliges Handeln abspielte, müssen die Einzelbeispiele letztlich beziehungslos nebeneinander stehen.
Somit bleibt die Untersuchung des Stiftsadels der geistlichen Territorien Salzburg, Bamberg und Ellwangen auf einer sehr deskriptiven Ebene stehen. Material zu vielen adeligen Familien der entsprechenden Regionen findet sich reichhaltig und kann sicherlich das Bild der süddeutschen Adelslandschaft bereichern, doch zu häufig werden die entscheidenden analytischen Fragen nicht gestellt. Auch nach der Lektüre bleibt unklar, nach welchen Kriterien der Stiftsadel jenseits der zahlreichen individuellen Beispiele die Ämtertätigkeit als zentralen Bestandteil seiner standesgemäßen Lebensführung organisierte. Das ist umso betrüblicher, als die Nutzung des Buches als eine Art enzyklopädisches Nachschlagewerk zum süddeutschen Stiftsadel durch eine ergänzende Materialsammlung im Internet zwar im Vorwort angekündet, aber (noch?) nicht ermöglicht wurde. (Der angegebene Link http://www.rz.unibw.de/~se1bwdem erbrachte kein Ergebnis.) Mit seiner Fülle an familiären Biographien liefert das Buch somit reichhaltiges Wissen über manches adelige Geschlecht des süddeutschen Raums, vermag die strukturellen Mechanismen adeliger Ämternutzung jedoch leider nicht ähnlich detailliert darzustellen.
Bastian Gillner