Markus Reinbold: Jenseits der Konfession. Die frühe Frankreichpolitik Philipps II. von Spanien 1559 - 1571 (= Beihefte der Francia; Bd. 61), Ostfildern: Thorbecke 2005, 280 S., ISBN 978-3-7995-7455-6, EUR 44,00
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Ausgangspunkt der Marburger Dissertation Markus Reinbolds aus dem Jahr 2004 ist die Vernachlässigung Philipps II. - nicht nur - in der deutschen Historiographie, in der das Bild des spanischen Königs als Akteur im Europa der konfessionellen Auseinandersetzungen allzu oft von tradierten Vorurteilen und Klischees überlagert wurde und wird. Zwar gilt das Spanien der Regierungszeit Philipps unbestritten als Führungsmacht, doch seine Rolle im europäischen Kontext, vor allem die besonders wichtigen Beziehungen zu Frankreich, die auch von internationalen Konflikten und Problemfeldern beeinflusst wurden und zugleich auf diese zurückwirkten, sind kaum eingehend untersucht worden.
Sein Erkenntnisinteresse umreißt Reinbold in der Einleitung leider nur, ohne es in einer oder mehreren Fragestellungen auf den Punkt zu bringen. Doch wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem unbewiesenen, schon a priori zweifelhaften Postulat einer expansionistischen Politik Philipps II., das zugleich die Frage nach einer etwaigen außenpolitischen Konzeption aufwirft, im Mittelpunkt der Untersuchung steht, wobei sich der Verfasser zum Ziel setzt, die "politische Entwicklung [...] zu analysieren und dabei die Politik selbst an ihren Grenzen und Möglichkeiten zu messen" (13). Zu Recht wählt er dafür einen eng abgesteckten zeitlichen Rahmen, nämlich vom Friedensschluss von Cateau-Cambrésis 1559 bis zur Seeschlacht bei Lepanto 1571, der zugleich die Amtszeiten zweier spanischer Botschafter in Paris, Thomas Perrenot de Chantonnay und Francés de Alava, umspannt. So vermag der Verfasser auch bei Quellenauswertung und Analyse in die Tiefe zu gehen.
Der eigentlichen Untersuchung gehen zwei kürzere vorbereitende Abschnitte voran. Zunächst werden in sieben konzisen Biogrammen die wichtigsten Protagonisten der spanischen Frankreichpolitik (inklusive Philipp II.) vorgestellt (15-43), neben den bereits genannten Botschaftern etwa auch der Herzog von Alba, Fernando Alvarez de Toledo, und der Fürst von Eboli, Ruy Gómez de Silva. Dabei handelt es sich nicht nur um Lebens-, sondern auch um Charakterskizzen, die durch Quellen glaubwürdig unterfüttert werden. Im Anschluss daran erläutert Reinbold die Rahmenbedingungen der spanischen Außenpolitik (45-91), wobei so verschiedenartige Aspekte wie der durch die große Ausdehnung des Handlungsraums bedingte zeitliche Engpass diplomatischer Unternehmungen, die "ideologische Legitimation" (54) des Handelns und Probleme, die an den diversen Brennpunkten des spanischen Engagements aus den spezifischen Mächtekonstellationen resultierten, berücksichtigt werden. Auf diese Weise entsteht ein umfassendes Bild derjenigen Faktoren, die das Agieren Philipps und seines Umfeldes bestimmten und dabei zugleich wechselseitige Rücksichtnahme erforderten.
Dermaßen mit notwendigen Informationen über Akteure und Handlungsrahmen versorgt, gelangt der Leser zum Hauptteil der Untersuchung (93-216). In dreizehn Kapiteln werden die entscheidenden Stationen in den spanisch-französischen Beziehungen - das Gegen- und Miteinander in Europa, im Mittelmeerraum und in Übersee - sowie die Politik Philipps II. beleuchtet, wobei naturgemäß die Auswirkungen der französischen Religionskriege eine Hauptrolle spielen, jedoch auch Aspekte wie die französische Piraterie im Atlantik nicht vernachlässigt werden (und selbstverständlich auch nicht die Auseinandersetzung mit den Osmanen). Schritt für Schritt arbeitet sich der Verfasser durch die spanische Frankreichpolitik während der im Fokus der Untersuchung stehenden zwölf Jahre, immer mit Blick auf die Interessen und Motive der maßgebenden spanischen Kräfte, aber auch ihrer Pendants auf französischer Seite. Reinbold versteht es, seine Erkenntnisse über das Denken und Wirken der Akteure und die Ergebnisse dieses Wirkens immer wieder analytisch zu bündeln, zu hinterfragen und in einen größeren Zusammenhang zu stellen, so dass das eingangs umrissene Erkenntnisinteresse nie aus dem Blick gerät. Der Rekurs auf die Forschung an wichtigen Stellen deutet dabei bereits den Gewinn an, der aus seiner Studie zu ziehen ist. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die breite Fundierung durch spanische und französische Quellen, die den Überlegungen des Verfassers besonderes Gewicht verleiht.
Reinbold kommt zu dem Ergebnis (217-227), dass das Handeln des spanischen Königs von einem Rahmen aus institutionellen und Sachzwängen bestimmt wurde, die den außenpolitischen Spielraum Spaniens einschränkten, so dass an einen großen Plan nicht zu denken war. Vielmehr mussten die Probleme abgearbeitet werden, wie sie auftauchten - und zwar so, wie es angesichts der Gesamtlage für das Reich des spanischen Königs im Ganzen am zuträglichsten erschien. Philipp II. strebte nicht nach einer Universalmonarchie und hatte auch kein expansionistisches Programm. "Oberstes Gebot war die Konsolidierung des ohnehin heterogenen Herrschaftsbereichs." (220) Die Ausnutzung der instabilen Lage im Innern Frankreichs für territoriale Gewinne etwa wäre angesichts des Engagements in Übersee und im Mittelmeerraum sowie des Aufstands in den Niederlanden nicht nur zu viel für die spanischen Finanzen gewesen. Ein offener Konflikt hätte Folgen beispielsweise für die Entwicklung in den Niederlanden oder im Mittelmeerraum gehabt, wo man den durchaus eigenständig agierenden Nachbarn im Kampf gegen die Türken brauchte. Für Philipp stand daher im Vordergrund, die Vormachtstellung Spaniens durch Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen England und Frankreich zu wahren, was durch andauernde diplomatische Bemühungen auch erreicht wurde.
Dabei wird klar - und das ist vielleicht das wichtigste Ergebnis dieser Studie -, dass dem spanischen König Machterhalt vor Konfession ging, wenn auch Machterhalt mit dem höheren Sinn, Spanien als Garanten eines katholischen Europa zu festigen. Philipp griff trotz Provokationen von Seiten der Hugenotten bis weit über den Untersuchungszeitraum hinaus (1584) nicht in die französischen Religionswirren ein, um unkalkulierbare Risiken für die Stellung seines Landes zu vermeiden. Zugleich war die staatliche Einheit des Nachbarn "jenseits aller konfessionspolitischen Differenzen" (227) von Bedeutung und zu wichtig, um etwa seine Schwächung in Kauf nehmen zu können - die Stabilisierung Frankreichs wurde einem offensiven Engagement für die katholische Partei vorgezogen. Dass das "Konfessionelle [...] zu keiner Zeit handlungsleitend" (221) für die Frankreichpolitik Philipps II. war, zeigt auch sein Eintreten in Rom gegen eine Exkommunikation Königin Elisabeths, da gute Beziehungen zu England für die Politik auf dem Kontinent unabdingbar waren. Die Politik des spanischen Königs kann somit als Paradebeispiel für die "Grenzen der Konfessionalisierung" gelten (222), die durch Machtpolitik gesetzt wurden.
Markus Reinbold hat seine Untersuchung auf breiter Quellenbasis gründlich erarbeitet, er trägt seine Schlüsse überzeugend und fundiert vor. Er hat so einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der internationalen Beziehungen im 16. Jahrhundert vorgelegt, der nicht nur ein Forschungsdesiderat erfüllt, sondern auch das Paradigma der Konfessionalisierung der europäischen Politik schon ab der Mitte des 16. Jahrhunderts korrigiert. Über die bereits eingesetzte positive Rezeption [1] hinaus verdient diese Studie höchste Beachtung von Seiten der Fachwelt.
Anmerkung:
[1] Vgl. Michael Rohrschneider: Rezension zu Heinz Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559-1659, Paderborn, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 6 [15.06.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/06/12094.html (3.12.2007)
Marc von Knorring