Henning Klüver: Der Pate - letzter Akt. Eine Reise ins Land der Cosa Nostra, München: C. Bertelsmann 2007, 288 S., ISBN 978-3-570-00971-0, EUR 16,95
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Mafia und Camorra haben Konjunktur - und zwar nicht nur in der Presse, wo sie wegen ihrer mörderischen Taten fast ständig präsent sind, sondern auch in der Literatur, im Film und neuerdings auch in der Wissenschaft. Vor einem Jahr ließ eine breit recherchierte Studie des britischen Historikers John Dickie über die Cosa Nostra aufhorchen [1], und dieser Tage tourt Roberto Saviano [2] mit seinem Buch über die Camorra um die Welt, das den Eindruck zu erwecken versucht, ganz Süditalien sei längst im Sumpf des organisierten Verbrechens versunken.
Henning Klüver betritt daher mit seinem Werk über die Mafia kein unbekanntes Terrain. Der seit langem in Italien lebende Kulturkorrespondent der "Süddeutschen Zeitung" verspricht eine "Reise ins Land der Cosa Nostra", bietet aber so unaufdringlich wie eindringlich sehr viel mehr, nämlich eine Geschichte der Mafia seit ihren Anfängen, wobei die letzten dreißig Jahre im Zentrum der Betrachtung stehen. Die Mafia war damals ganz groß in den internationalen Drogenhandel eingestiegen und hatte dabei immense Reichtümer angehäuft. Über der Frage, wer wie viel davon bekommen sollte, entstand schon bald ein schrecklicher Konflikt mit Hunderten von Todesopfern, der mit dem Triumph der corleonesi endete. Dieser aus der Kleinstadt Corleone bei Palermo stammende Clan war besonders blutrünstig, politisch aber eher beschränkt, weshalb er im naiven Hochgefühl seiner Macht immer wieder auch Repräsentanten des Staates und der Parteien angriff, statt sich mit ihnen zu arrangieren, wie es die Bosse in den Fünfziger und Sechziger Jahren vor allem mit der Democrazia Cristiana (DC) getan hatten. Die prominentesten Opfer waren der kommunistische Abgeordnete Pio La Torre und der Carabinieri-General Carlo Alberto Dalla Chiesa, der die Roten Brigaden zur Strecke gebracht hatte und Anfang der Achtziger Jahre auch der Mafia das Handwerk legen sollte.
Dalla Chiesas Ermordung beantwortete der Staat mit schärfsten Maßnahmen, die vor allem deshalb ihre Wirkung nicht verfehlten, weil 1984 ein hochrangiger Mafiaboss das Gesetz der omertà ignorierte und zu plaudern begann. Die Folge waren eine umfassende Verhaftungsaktion und ein Mammutprozess gegen 474 Mafiosi, von denen 360 schuldig gesprochen und für insgesamt 2665 Jahre hinter Gitter geschickt wurden. Die corleonesi entschlossen sich darauf hin zum Krieg gegen den italienischen Staat, wobei ihr seit langem flüchtiger Anführer Salvatore Riina, der mächtigste Boss der Mafiageschichte, vor allem zwei Ziele verfolgte: die Aufhebung der Urteile und die Rücknahme eines Gesetzes von 1982, das den Behörden die Beschlagnahme von Vermögenswerten der Mafia erlaubte. Der Staat ließ sich jedoch nicht einschüchtern: Er schärfte seine Instrumente im Umgang mit der organisierten Kriminalität, und die Justiz bestätigte im Januar 1992 die harten Urteile von 1987.
Der Mafia stand danach das Wasser bis zum Hals. Sie gab dennoch nicht klein bei. Riina antwortete auf die Offensive des Staates mit einer Serie von Attentaten und im März 1992 schließlich mit der Hinrichtung des Europaparlametariers Salvo Lima. Der DC-Politiker galt als verlängerter Arm von Giulio Andreotti und als Schutzpatron der Cosa Nostra, hatte es aber letztlich nicht geschafft, sein Versprechen zu halten und die "Ehrenmänner" der Mafia vor dem Kerker zu bewahren - so wie es in der Vergangenheit oft gelungen war und sich als Selbstverständlichkeit eingebürgert hatte. Einer ähnlichen Logik folgten die tödlichen Anschläge auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die führenden Köpfe im Antimafia-Pool der Justiz, die Fahndungserfolg um Fahndungserfolg erzielt und dadurch große Verunsicherung in Riinas Umfeld gesät hatten. Es zahlte sich nicht aus, so schien die Botschaft der Mafia zu lauten, ihr zu nahe zu treten und die Nase in Dinge zu stecken, die nur sie etwas angingen. Diese dreiste Herausforderung bekam der Mafia erneut nicht gut. Die italienische Regierung schickte nämlich - wie zum Zeichen dafür, dass der Staat sich ebenfalls im Krieg wähnte - 7000 Soldaten nach Sizilien und brachte außerdem ein Gesetz auf den Weg, das es Polizei und Geheimdienst erlaubte, die Mafia zu unterwandern, das den Zugriff auf illegal erworbene Besitztümer weiter erleichterte und das reumütigen "Überläufern" goldene Brücken in ein Leben ohne Verbrechen baute. Dutzende und Aberdutzende Mafiosi wanderten nach dieser staatlichen Gegenoffensive ins Gefängnis. Selbst Riina ging den Ermittlern schließlich in die Falle.
Henning Klüver verbindet die souveräne Darstellung dieser blutigen Geschichte mit kleinen Reportagen über Anti-Mafia-Aktivisten und Interviews mit Zeitzeugen und Betroffenen. Dabei lenkt er die Aufmerksamkeit des Lesers immer wieder auf Bernardo Provenzano, der zu den brutalsten Killern im Tross von Riina gehörte, schließlich aber doch Verstand genug besaß, um einzusehen, dass Riinas Amoklauf gegen den Staat die Mafia ins Verderben stürzen musste. Nach dessen Verhaftung selbst an die Spitze der Cosa Nostra gelangt, verordnete er seiner Organisation einen radikalen Kurswechsel, der die Konfrontation mit dem Staat beenden und die Mafia wieder aus den Schlagzeilen bringen sollte. Die "Ehrenwerte Gesellschaft" sollte sich wieder ihrem Hauptgeschäft widmen, Geld zu verdienen in der modernen globalisierten Welt, ohne dauernd durch Verbrechen auf sich aufmerksam zu machen. Bernardo Provanzano, der 2006 ebenfalls geschnappt wurde, war "der letzte Pate einer Epoche, in der die Mafia noch Unterwelt war, und der erste, der sie auf den langen und stillen Marsch durch die Institutionen geschickt hat", so Klüver in seinem bedenkenswerten Resümee. Dieses Fazit bietet keinen Anlass zu der pessimistischen Befürchtung, die Mafia sei nie zu besiegen - zu allzu großem Optimismus allerdings auch nicht.
Anmerkungen:
[1] Vgl. John Dickie: Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia, Frankfurt/M. 2006.
[2] Vgl. Roberto Saviano: Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra, München 2007.
Hans Woller