Rezension über:

Rainer G. Richter (Hg.): Götter, Helden und Grotesken. Das Goldene Zeitalter der Majolika, München: Hirmer 2006, 320 S., 350 Farbabb., ISBN 978-3-7774-3195-6, EUR 39,90
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Rezension von:
Xenia Ressos
Köln
Redaktionelle Betreuung:
Michaela Braesel
Empfohlene Zitierweise:
Xenia Ressos: Rezension von: Rainer G. Richter (Hg.): Götter, Helden und Grotesken. Das Goldene Zeitalter der Majolika, München: Hirmer 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 4 [15.04.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/04/12302.html


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Rainer G. Richter (Hg.): Götter, Helden und Grotesken

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Anlässlich der Ausstellung "Götter, Helden und Grotesken - das Goldene Zeitalter der Majolika" im Kunstgewerbemuseum Dresden, Schloss Pillnitz (17. Juni bis 31. Oktober 2006) erarbeitete Rainer G. Richter einen umfangreichen Katalog, der nicht nur Ausstellungs-, sondern zugleich Bestandskatalog der Majolikasammlung des Museums ist.

Majolika, die zu der frühesten hochwertigen Keramik Europas gehört, bezeichnet eine Blei-Zinnoxid-glasierte Irdenware. Sie umfasst sowohl die metallisch schimmernde Lüsterglasurware als auch Keramiken mit opaker Blei-Zinnglasur. Ihren Anfang im Orient nehmend, erreichte die Majolika Europa über die Iberische Halbinsel, wo sie nachweislich ab dem 14. Jahrhundert hergestellt und exportiert wurde. In Italien griff man die Produktion der Lüsterglasurware ab dem 15. Jahrhundert auf. Verschiedene Produktionszentren bildeten sich aus, in denen die bislang der orientalischen Ware weit unterlegene Keramik schnell verfeinert wurde. Werkstätten in Orten wie Urbino, Faenza oder Castelli schufen Majoliken mit regionalspezifischen Eigenheiten in Form, Dekor und Chromatik, die im Laufe des Jahrhunderts zu begehrten Gebrauchs- und Luxuswaren avancierten. Bereits um 1500 wurde die italienische Majolika europaweit exportiert. Neben wohlhabenden Patrizierfamilien bezogen vor allem die Fürstenhäuser die zerbrechliche Ware. Wie der Württembergische, Braunschweigische und Weimarer Hof legten auch die sächsischen Kurfürsten im späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert eine beachtliche Keramiksammlung mit spanischen und italienischen Majoliken des 15. und 16. Jahrhunderts an. Insbesondere August der Starke (1670-1733) widmete sich dem Aufbau einer Porzellan- und Majolikasammlung, mit der er ganze Räume des Holländischen bzw. Japanischen Palais in Dresden auszustatten gedachte. Seine Erwerbungen bilden den Grundstock der heute 390 Majoliken umfassenden Sammlung des Dresdner Kunstgewerbemuseums.

Der Gesamtbestand des Museums an spanischer und italienischer Majolika vom 15. bis zum 19. Jahrhundert wird in diesem großformatigen, hochwertig verarbeiteten Katalog erstmals wissenschaftlich fundiert zusammengestellt. Übersichtlich in einen Text- (56 Seiten) und einen Katalogteil (263 Seiten) gegliedert, erfährt der Leser die wesentlichen Fakten über Ursprünge, Ausbreitung und Wertschätzung der europäischen Majolika vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit. Richter erläutert zudem ausführlich die Entstehung der Dresdner Sammlung und würdigt die Bedeutung Gustav Friedrich Klemms, der sich von 1833 bis 1852 als Leiter der Königlichen Porzellan- und Gefäßesammlung vergeblich bemühte, ein "keramisches Universalmuseum" zu erschaffen.

Neben Richter zeichnen fünf Autorinnen ausgewählte Themen der Majolikaforschung nach. Claudia Brink widmet sich der italienischen Istoriato-Majolika. Diese meist kleinteilig mit Motiven aus Bibel, antiker Mythologie und Historie dekorierte Ware genoss im 16. Jahrhundert große Beliebtheit. Anhand ausgewählter Beispiele bezeugt Brink die Verwendung grafischer Vorlagen in den Keramikwerkstätten. Leider wurde bei der Kapitelgestaltung eine unmittelbare Gegenüberstellung von Vorlagen und dekorierten Waren versäumt, auch im Katalogteil hätte man sich erläuterte Abhängigkeiten der Istoriato-Malereien gerne anhand der entsprechenden Grafiken vor Augen geführt.

Einen sehr interessanten und unterhaltsamen Exkurs zu Tafelkultur und -zeremoniell am sächsischen Kurfürstenhof bietet Elisabeth Schwarm. Die Erwähnung von Majolika beschränkt sich in diesem Kapitel jedoch auf drei Sätze. Wie Schwarms Beitrag wirkt auch das Folgekapitel von Kerstin Stöver für ein Buch mit dem Untertitel "Das Goldene Zeitalter der Majolika" zunächst irritierend: Der die Herkunft und Verwendung von Grotesken erläuternde Artikel handelt etwa zur Hälfte von Textilien. Bei der Lektüre dieser Textbeiträge ist jedoch zu bedenken, dass es sich bei der Publikation um keinen reinen Bestandskatalog, sondern, wie anfangs erwähnt, um eine Kombination von Bestands- und Ausstellungskatalog handelt. Obwohl der Herausgeber im Vorwort bedauert, nicht alle in der Ausstellung präsentierten Objekte besprechen zu können, finden sie zum Teil doch ihren Niederschlag in den Texten der Co-Autorinnen. Beide Kapitel verdeutlichen damit die Schwierigkeit, die unterschiedlichen Inhalte beider Kataloggattungen wie auch die entsprechend gestellten Lesererwartungen zu verbinden. Die in Stövers informativem Text leider nicht konsequent mit dem Katalogteil abgestimmte Nummerierung der erwähnten Dresdner Majolika stellt ein kleines Versäumnis dar.

Die Verbreitung der sogenannten Apothekengefäße aus Majolika in deutschen Städten untersucht Elisabeth Huwer. Ihre kritische Quellendiskussion ergibt, dass die italienische Keramik im nordalpinen, städtisch-bürgerlichen Kontext nur in sehr geringem Umfang verbreitet und maßgeblich von der Anbindung des Ortes an Handelszentren abhängig war. Im Zusammenhang mit der Dresdner Majolikasammlung wären Informationen zur Ausstattung der 1581 gegründeten Dresdner Hofapotheke eine interessante Ergänzung dieses sehr aufschlussreichen Überblicks gewesen. Mit dem Artikel von Désirée Baur zur Sammlungstätigkeit August des Starken wird der Bogen zurück nach Dresden geschlagen und durch Richters Beitrag zur Entwicklung der heutigen Sammlung abgeschlossen. Eine Verlustliste mit Kurzbeschreibungen am Ende des Buches informiert über die während des Zweiten Weltkriegs verlorenen Majoliken des Bestandes.

Der folgende, nach Entstehungsregionen unterteilte Katalogteil präsentiert in großzügiger Aufmachung und mit hervorragenden Farbaufnahmen die Majoliken des Dresdner Kunstgewerbemuseums, darunter Gefäße, Geschirre, Bildplatten, Kacheln und Kleinplastiken. Kurze Einleitungskapitel zu den jeweiligen Produktionszentren bieten wesentliche Informationen bezüglich regionaler Eigenheiten, Werkstätten und einzelner Künstlerpersönlichkeiten. Zusätzliche Abbildungen von Unter- oder Seitenansichten der Objekte sowie Hinweise zu Vergleichsstücken in anderen Sammlungen ergänzen die lückenlosen Angaben zu Befund, Provenienz und stilkritischer Einordnung. Mitunter sind unter den einzelnen Katalognummern mehrere Objekte zusammengefasst, woraus sich die Zahl von insgesamt 169 aufgeführten Katalognummern bei einem Gesamtbestand von 390 Stücken erklärt. Eine Landkarte Südeuropas mit vermerkten Produktionszentren, ein verständlich aufbereitetes Glossar sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis im Anhang runden die eindrucksvolle Publikation zu einem auch für Laien gut verständlichen und hervorragend den Zugang in die Majolikaforschung ebnenden Werk ab.

Xenia Ressos