Margaret A. Gallucci / Paolo L. Rossi (eds.): Benvenuto Cellini. Sculptor, Goldsmith, Writer, Cambridge: Cambridge University Press 2004, XVI + 240 S., 36 fig., 8 plates, ISBN 978-0-521-81661-8, GBP 50,00
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Wilhelm Maier / Wolfgang Schmid / Michael Viktor Schwarz (Hgg.): Grabmäler. Tendenzen der Forschung an Beispielen aus Mittelalter und früher Neuzeit, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2000
Stephan Füssel / Klaus A. Vogel (Hgg.): Deutsche Handwerker, Künstler und Gelehrte im Rom der Renaissance. Akten des interdisziplinären Symposions vom 27. und 28. Mai 1999 im Deutschen Historischen Institut in Rom, Wiesbaden: Harrassowitz 2001
Kunsthistoriker und Kunstfreunde haben ihre Lieblingskünstler; nicht immer sind dies dieselben. Das Multitalent Benvenuto Cellini (1500-1571) gehört sicher dazu - und zwar für beide Personenkreise. Das Genre des wissenschaftlichen Tagungsberichts wird immer eher das Fach- denn ein Laienpublikum ansprechen. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel: Der hier anzuzeigende Band ist durchaus geeignet, den Spagat zu schaffen. Dabei hilft schon die Aufmerksamkeit erregende Anrufung der Popkultur, in der Cellini - möglicherweise - eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Im Klappentext verspricht der Band "[...] new perspectives on the artist and his place in Renaissance art, literature, and culture as well as his legacy in European publishing history and modern American pop culture [...]" zu bieten. Die Herausgeber, Margaret A. Gallucci und Paolo L. Rossi, sind ausgewiesene Kenner, ebenso die meisten der Autoren. Neun Studien in nicht weniger als fünf Sektionen (zwei Sektionen sind mit je einem Beitrag bestückt) und einen den Cellini-Freund wie den Fachmann gleichermaßen ansprechenden Apparat von Farbtafeln sowie knapp 40 Schwarz-Weiß-Abbildungen vereint das schlanke Buch. Es stellt - bemerkenswert auch dies - die erste englischsprachige Aufsatzsammlung zum Thema dar und die abgebildeten Farbtafeln (beispielsweise von der "Saliera" und dem restaurierten "Perseus") wurden eigens für die Publikation angefertigt.
Bekanntes, Neues, jedenfalls aber Erhellendes konzis und überschaubar darzubieten, scheint die Arbeitsanweisung an die Autoren gewesen zu sein. Sie wurde fast durchgängig gut ins Werk gesetzt. Mancher Aspekt der vielgesichtigen Persönlichkeit und einige Hauptwerke Cellinis werden solcherart 'abgearbeitet'. Ein vollständiges Bild von dessen vielseitigem Schaffen entsteht freilich nicht. Vorab lobend erwähnt sei die zwölfseitige Auswahlbiographie. Sie ist ein dankenswertes Utensil, um die schwer überschaubare Literatur für Nicht-Experten zu ordnen. Es darf aber nicht verwundern, dass sie Schwerpunkte auf italienische und englische Titel legt.
Die Sektion "Competition, Creativity, and Court Culture" offeriert - außer den bemüht wirkenden Stabreim - zwei Aufsätze von Jane Tylus und Patricia L. Reilly. Den Kampf Cellinis um das zuerst von der Kunstkritik auf Michelangelo gemünzte Prädikat der Unverwechselbarkeit und Unnachahmlichkeit (inimitabilità) thematisiert die Untersuchung der erstgenannten Autorin ("Cellini, Michelangelo, and the Myth of Inimitability"). Als Cellinis Sieg verbucht sie - vielleicht etwas kurzschlüssig - die wohlbekannte Wendung Vasaris, dass Cellini "terribilissimo", Michelangelo jedoch 'nur' "terribile" sei ("Vite", 1568). Reilly untersucht Cellinis unvollendeten Traktat über die (anatomische) Zeichnung ("Drawing the Line. Benvenuto Cellini's 'On the Principles and Method of Learning the Art of Drawing' and the Question of Amateur Drawing Education"). Sie betont dabei Cellinis Intention "to launch an invective against two of his fellow academicians, the painters Alessandro Allori and Giorgio Vasari" (26). Doch bleiben hieran zahlreiche Fragezeichen. So ist nicht einmal der Adressatenkreis der Schrift näher bestimmt.
In der folgenden Sektion "Cellini as Artisan, Artist, and Author" tritt eine wohltuend kenntnisreiche Studie von Michel Cole hinzu, die belegt, wie die besonders nach der Mitte des 16. Jahrhunderts stärker schwankende Nachfrage nach Werken sowohl die Organisation von Cellinis Werkstatt - die mitnichten die eines allein schaffenden Universalgenies war - als auch die Materialwahl beeinflusste ("University, Professionalism, and the Workshop. Cellini in Florence, 1545-1562"). Deutlich treten hier die Ratgeber, Gehilfen und 'Subunternehmer' hervor, die für Cellini arbeiteten, und wird eine Begründung für die zeitweilige Bevorzugung des Marmors (anstelle der Bronze) angeboten.
Mehr werkmonografisch angelegt sind die lesenswerten Analysen der "Saliera" von Marina Belozerskaya ("Cellini's 'Saliera'. The Salt of the Earth at the Table of the King"; sie hebt insbesondere die politisch-merkantilen Bestrebungen König Franz' I. im Salzhandel hervor) sowie der Münzen und Medaillen von Philip Attwood ("Cellini's Coins and Medals"; sein Schwerpunkt liegt auf den Fragen nach der Antikenrezeption und der Anverwandlung ikonographischer Themen aus der 'Groß'-Kunst). In der dritten, Gender-Fragen gewidmeten Sektion wendet sich Victoria C. Gardner Coates der Büste Herzog Cosimos I. zu ("Cellini's 'Bust of Cosimo I' and 'Vita'. Parallels Between Renaissance Artistic and Literary Portraiture"). Auch Paolo L. Rossi geht in der vierten Sektion und innerhalb seiner sehr materialreichen Behandlung der Genese sowie der Redaktions- und Rezeptionsgeschichte von Cellinis "trattati" auf die monumentale Büste ein ("'Parrem uno, e pur saremo dua'. The Genesis and Fate of Benvenuto Cellini's 'Trattati'"). Der dabei entstehende Widerspruch in ihrer Beurteilung wird allerdings weder kommentiert noch gelöst (was dem Mitherausgeber Rossi nicht nur möglich gewesen sein dürfte, sondern auch gut angestanden hätte). Ob und inwiefern die Einnahme bzw. die Stadtgründung von Portoferraio bzw. Cosmopolis (Elba) eine Rolle bei dem Auftrag spielte oder gar die ursprüngliche Bestimmung der Büste darstellte ("[...] I argue that the bust may well have been commissioned with Portoferraio in mind"; Gardner Coates, 157) oder lediglich wegen des Missfallens, das sie beim Auftraggeber weckte, dorthin 'verbannt' wurde ("the [...] 'Bust', which was unfortunately not to his patron's taste and was banished to Elba"; Rossi, 172), bleibt - leider in beiden Aufsätzen - vage.
Der Rezensent, der nicht umhin kann, das zuweilen etwas nachlässige Lektorat (besonders des vorgenannten Beitrags) am Rande zu kritisieren, möchte andererseits nicht verschweigen, dass er am meisten Vergnügen bei der Lektüre des letzten Aufsatzes hatte. Margaret A. Gallucci untersucht in der letzten Sektion ("Metamorphosis into the Artist as Modern Hero") des Protagonisten heutiges Bild ("Benvenuto Cellini as Pop Icon"). Dies ist ein nur scheinbar trivialer Gegenstand, dem die Autorin im US-amerikanischen Film ("The Affairs of Cellini", 1934), in der Operetten-Literatur und im Comic nachspürt. Ungeachtet einiger treffender Beobachtungen, scheint jedoch das Ergebnis bereits von Anfang an festzustehen: Goethes und Burckhardts wohlbekannte Empathie mit Cellini trifft die der Moderne, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Sträflich unbeachtet bleiben sich geradezu zum Vergleich aufdrängende Parallelerscheinungen, etwa Michelangelos Präsenz in den modernen Publikumsmedien. Auf ungewollte Weise schließt sich somit der Kreis der Beiträge: Das am Anfang aufgeworfene Problem der "(in-) imitabilità" holt die 'Architektur' des Tagungsbandes selbst ein.
Die Beiträge des Buches, die allesamt zum Weiterdenken und Weiterfragen anregen, ja wegen ihres ganz und gar nicht hermetischen Charakters geradezu auffordern, gehen übrigens teilweise auf die im Jahre 2000 in Florenz veranstaltete Jahrestagung der Renaissance Society of America (RSA) zurück, datieren also aus dem Jahr des 500. Geburtstags des Florentiner Künstlers. Sie sind somit - auch - ein Symptom der nicht selten an kalendarischen Jubiläen orientierten 'Aufmerksamkeitskonjunktur' innerhalb und außerhalb des Faches. Cellinis schwankender Wertschätzung nachzuspüren aber bleibt ein Desiderat. Dabei wäre eine solche Untersuchung sicher erhellend und hülfe die Frage zu beantworten, ob Cellini wirklich ein "modern hero" ist - die von Gallucci beigezogenen Adaptionen jedenfalls waren bis auf wenige Ausnahmen Flops.
Thomas Pöpper