William Langewiesche: The Atomic Bazaar. The Rise of the Nuclear Poor, New York: Farrar, Straus & Giroux 2007, 179 S., ISBN 978-0374106782, USD 22,00
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Seit dem 11. September 2001 ist die Gefahr des Gebrauchs von Massenvernichtungswaffen wieder in aller Munde. Der Krieg gegen Saddam Hussein wurde damit begründet, dieser habe im Geheimen an schmutzigen Bomben gebastelt oder den Kauf gebrauchsfähiger Atomwaffen betrieben; den Taliban und al-Qaida in Afghanistan unterstellte man ähnliche Absichten. Überdies stehen die Bemühungen, den Iran an der Entwicklung der Bombe zu hindern und Nordkorea, das eventuell bereits nukleare Sprengsätze besitzt, diese wieder abzuhandeln, ganz oben auf der Prioritätenliste nicht nur westlicher Diplomaten. Libyen hat seinem Nuklearprogramm mittlerweile abgeschworen. Es dürfte jedoch nur eine Frage der Zeit sein, bis anderswo Interesse am Bau oder Erwerb von Atomwaffen sichtbar wird.
William Langewiesche, ein preisgekrönter amerikanischer Journalist (Atlantic Monthly, Vanity Fair) und Autor von Büchern u.a. über die Lage im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet oder die harten Gesetze der modernen Handelsschifffahrt, argumentiert im einleitenden Kapitel schlüssig, dass Atomwaffen eigentlich die Waffen der Armen sind. Reiche Industriestaaten mögen nukleare Arsenale besitzen. Einsetzen können sie die teuren Waffen de facto nicht, weil sie materiell wie ideell zu viel zu verlieren haben. Entwicklungsländer dagegen gewinnen schon mit wenigen Sprengköpfen und Trägersystemen enormen Einfluss in der Weltpolitik. Seit den Angriffen auf das World Trade Center spukt zudem die Angst durch die Köpfe, Terroristen könnten Zugriff auf Atomwaffen bekommen. Unvergessen in diesem Kontext ist der Großalarm Ende 2001, als die CIA meinte, stichhaltige Hinweise auf eine von al-Qaida in New York deponierte Bombe erhalten zu haben. In diesem Punkt zeigt sich Langewiesche wohltuend nüchtern: In dem Kapitel "Nukes without Nations" wägt er alle Möglichkeiten einer Terroristengruppe ab, sich Zugang zu fertigen Bomben oder dem nötigen Ausgangsmaterial zu verschaffen und kommt dabei durchaus nachvollziehbar zu dem Ergebnis, beides sei nach menschlichem Ermessen auszuschließen. Kein Staat kann Interesse daran haben, Massenvernichtungswaffen einer unkalkulierbaren, radikalen Gruppe zu überlassen. Sollten im Zuge der Auflösung der UdSSR wirklich Atomwaffen aus den Arsenalen verschwunden sein, wären diese wegen der Codierung sowie des Bedarfs intensiver technischer Betreuung längst definitiv nutzlos. Umfangreiche Recherchen Langewiesches im Kernland der russischen Nuklearindustrie um Jekaterinburg lassen zudem den Diebstahl oder den Schmuggel von hochangereichertem Uran als unmöglich erscheinen. Schließlich ist zum eigenständigen Bau einer Bombe ein technischer Aufwand nötig, den nur Staaten bestreiten können. Dass Langewiesche seinen Erkundungen in Russlands geheimen Städten über 50 Seiten widmet, kann allerdings nur dem Gedanken geschuldet sein, die drei Hauptkapitel in etwa gleich zu gewichten. Die Informationen über die Zustände in den dortigen Atomfabriken, ihr Umfeld, die Mitarbeiter, Sicherheitsvorkehrungen sowie (un-)mögliche Fluchtwege für Terroristen ließen sich bequem und wesentlich schlüssiger auf einem Bruchteil der Seiten zusammenfassen.
Anschließend wendet sich Langewiesche ausgiebig dem pakistanischen Nuklearprogramm zu. Dessen "Vater" Adul Qadeer Khan ist quasi zur Verkörperung schmutziger Geschäfte geworden, seitdem sein schwungvoller Handel mit Know-How und Hardware zum Bombenbau Anfang 2004 zum großen Medienthema avancierte. Die Fakten über das Wirken des Metallurgen sind mittlerweile hinlänglich bekannt: Nach einem Studium in Belgien arbeitete Khan für die britisch-deutsch-niederländische Urenco, die auf Zentrifugen zur Urananreicherung spezialisiert war. Khan nutzte die dort gewonnen Kenntnisse, indem er geheime Unterlagen nach Pakistan schmuggelte und über ihm bestens bekannte Kanäle mittels Tarnfirmen in Europa die Komponenten für den Bau der "Islamischen Bombe" erwarb. Nachdem Pakistan um 1986 die ersten Atomwaffen zur Verfügung hatte, führte dies zwar zu einer Art atomaren Patt gegenüber Indien, das seine erste Bombe zwölf Jahre zuvor getestet hatte, aber auch zu wachsender Instabilität in Südasien. 1987, 1990, 1999 und 2001 erlebte der Subkontinent drei große Krisen und einen begrenzten Krieg in Kaschmir. Wie ein Damoklesschwert hing dabei jedes Mal die Gefahr eines nuklearen Schlagabtauschs über den Kontrahenten und rief zunehmend die Staatengemeinschaft, insbesondere die USA, auf den Plan.
In punkto Tiefenschärfe kann Langewiesche mit Egmont R. Koch bei Weitem nicht mithalten. [1] Dafür hat er seinem deutschen Kollegen in Sachen Nüchternheit einiges voraus. Während Koch Khan zum Alleintäter stilisiert, schließt Langewiesche aus dem Umfang und dem logistischen Aufwand der Verkaufsaktivitäten des Pakistani auf eine enge Zusammenarbeit mit den Führungseliten im Lande, insbesondere im Militär und im Geheimdienst. Dementsprechend beließ es Präsident Musharraf als Mitwisser dabei, Khan nach dem öffentlichen Skandal zeitweilig unter Hausarrest zu stellen und persönlich nicht mehr sichtbar werden zu lassen - der beste Beleg dafür, dass letzterer keineswegs auf eigene Faust höchste Staatsgeheimnisse verhökerte. Nicht nachvollziehbar dagegen ist Langewiesches These, die USA hätten Pakistans Bombe beim besten Willen nicht verhindern können, obwohl sie über den Schmuggel von Anfang an im Bilde gewesen seien und trotzdem nicht eingegriffen hätten. Während Israels Luftwaffe dem irakischen Programm ein Ende setzen durfte, untersagte Washington einen Angriff auf die pakistanische Atomfabrik in Kahuta. Wie Koch so versucht sich auch Langewiesche der Person Khans als dem Gesicht der Proliferation zu nähern. Dessen Selbstherrlichkeit und das Gefühl der Unangreifbarkeit sind in der Beschreibung seines prunkvollen Villenbaus mitten in einem Naturschutzgebiet oder der arroganten Leserbriefe an westliche Zeitungen, die Pakistan des Schmuggels bezichtigten, bestens getroffen.
Das Schlusskapitel des Buches ist schwach; hier handelt der Autor recht oberflächlich Versuche weiterer Staaten ab, mit pakistanischer Hilfe Atomwaffen herzustellen und referiert über Vermutungen aus Geheimdienstkreisen, wie weit die Dinge schon gediehen seien. Der Ausblick ist pessimistisch - es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich weitere Staaten Einlass in den Club der Atommächte verschafften.
Langewiesche hat kein wissenschaftliches Werk vorgelegt, wie schon der Verzicht auf eine Bibliografie deutlich macht. Er hat ein exzellent geschriebenes Sachbuch für interessierte Laien vorgelegt und etwas anderes darf man zu einem so aktuellen Thema momentan kaum erwarten. Störend sind freilich die mäandernden Exkurse um die russische Atomindustrie, die ein bisschen James-Bond-Atmosphäre kreieren möchten. Relevant scheinen zwei politische Aussagen, gerade, aber nicht nur in Hinblick auf die amerikanische Debatte: Terroristen sind nicht in den Besitz von Atomwaffen gelangt und werden es aller Voraussicht nach auch nicht. Ein strenges Nichtverbreitungsregime hat zwar dafür gesorgt, dass Atomwaffen nur langsam verbreitet wurden. Verhindert werden konnte dies aber nicht; das wird auch für die Zukunft gelten.
Anmerkung:
[1] Egmont R. Koch: Atomwaffen für al-Qaida. "Dr. No" und das Netzwerk des Terrors, Berlin 2005.
Amit Das Gupta