Jonathan R. Zatlin: The Currency of Socialism. Money and Political Culture in East Germany (= Publications of the German Historical Institute Washington D.C.), Cambridge: Cambridge University Press 2007, xx + 377 S., ISBN 978-0-521-86956-0, GBP 45,00
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Von allen Zeitabschnitten der DDR-Wirtschaftsgeschichte erscheint vielen die Honecker-Ära als die uninteressanteste, was vielleicht auch erklärt, warum diese bisher am wenigsten untersucht wurde. Das vorliegende Buch ist ein Beleg dafür, dass deren Betrachtung keineswegs langweilig sein muss. Jonathan Zatlin nutzt in seiner Studie - der überarbeiteten und stark gekürzten Fassung seiner Dissertation aus dem Jahr 2000 - die wirtschaftliche Funktion und kulturelle Bedeutung des Geldes als Fokus auf die Honeckerzeit. Dazu widmet er sich im ersten Teil des Buches zunächst in einem Kapitel den theoretischen und historischen Wurzeln der Geldtheorie im Ostblock, wobei er insbesondere deren Verbindung zur klassischen liberalen Theorie aufzeigt. Im Weiteren wird in drei Kapiteln die Entwicklung der Westverschuldung der DDR im Kontext ihrer Wirtschafts- und Politikgeschichte der 1970er und 1980er Jahre dargestellt. Aus dieser Perspektive - also der (weiteren) Anhäufung des Schuldenberges - resultiert wohl auch, dass dieser erste Teil mit "Produktion" überschrieben wurde. Hingegen fasst der zweite Teil des Buches unter der Überschrift "Konsumtion" drei Studien zusammen, die eher den Verbrauch dieser Schulden beleuchten und somit die Perspektive der Verbraucher einnehmen. In diesem Zusammenhang werden auch die mit dem Geld verbundenen sozialen Identitäten und nationalen Bindungen diskutiert. Dabei geht es einmal um die PKW-Versorgung und zum anderen um die Einkaufsmöglichkeiten in der DDR für Westmark (Intershop und Genex) sowie um die Eingaben der DDR-Bürger, anhand derer Zatlin demonstriert, inwieweit die offensichtlichen Wirtschafts- und vor allem Konsumdefizite dazu beitrugen, den Führungsanspruch der SED zu untergraben. Abschließend werden in einem Epilog nicht nur die Ergebnisse zusammengefasst, sondern auch die Konsequenzen für den Vereinigungsprozess und die Transformation Ostdeutschlands aufgezeigt. Dieser verkürzte Überblick über die Schwerpunkte des Buches verdeutlicht bereits, dass es sich hier nicht, wie der Titel suggerieren könnte, um eine klassische Währungsgeschichte handelt. Dazu werden zu viele Aspekte nicht oder nur randständig behandelt, wie die Geldschöpfung im engeren Sinne oder die Problematik der Subventionen. Anstelle dessen geht es Zatlin mehr darum, weitergehende Erkenntnisse zur DDR-Geschichte in ihrer Niedergangsphase zu präsentieren.
Für die wirtschaftlich inadäquaten Ergebnisse dieser Zeit macht Zatlin hauptsächlich zwei Aspekte verantwortlich: Auf der einen Seite die auf soziale Wohltaten ausgerichtete Politik Honeckers und auf der anderen Seite die skrupellose Sparsamkeit Günter Mittags in der Wirtschaft. Um erstere zu finanzieren, monetarisierte Mittag laut Zatlin die Planwirtschaft und verhalf dem Gewinnmotiv zu stärkerer Bedeutung, um die Produktivität zu steigern und Einsparungen zu erreichen. Dazu wurden die Investitionen reduziert, Energieressourcen substituiert und ostdeutsches Vermögen im Westen verkauft. Mit dieser Sparsamkeit und größeren Finanzspritzen aus dem Westen konnte Mittag die Kreditgeber der DDR für einige Zeit bei Laune halten. Jedoch erwiesen sich die langfristigen Kosten größer als die kurzfristigen Gewinne, denn die Basis der wirtschaftlichen Zukunft wurde damit ausgehöhlt und der Mangel nahm eher noch zu. Bei steigenden Konsumbedürfnissen untergruben die "Versorgungslücken" die materiellen und ideologischen Grundlagen der Planwirtschaft. Diese Diskrepanzen führten in den 1980er Jahren zu politischer Unzufriedenheit und ökonomischer Illoyalität, die sich vor allem in der wachsenden Bedeutung des schwarzen Marktes zeigte. Dieser schränkte die Möglichkeiten des Regimes ein, das Wirtschaftsleben zu bestimmen. Dennoch tolerierte der Staat zunehmend diese illegalen Aktivitäten, weil sie dazu beitrugen, den ökonomischen Mangel zu kompensieren. Zugleich untergrub die Schattenwirtschaft den Wert der DDR-Mark und hob den alternativer Austauschmedien an, wie knappe Güter oder die D-Mark, was dem ideologisch überhöhten Egalitarismus des Regimes widersprach und neue soziale Ungleichheiten produzierte. Schließlich habe - so Zatlin - "in den 1980er Jahren westdeutsches Geld sozialistisches Geld als Austauschmedium und Wertaufbewahrungsmittel in vielen Bereichen der Wirtschaft ersetzt." (325)
Dies ist nur ein Beispiel für eine Reihe von Thesen in dem vorliegenden Buch, über die sich vortrefflich streiten lässt. Auf zwei Punkte soll hier kurz eingegangen werden. Erstens erscheint die bereits in dem Zitat anklingende Annahme überzeichnet, dass sich die DDR-Wirtschaft in einen sozialistischen und kapitalistischen Sektor geteilt habe, wobei letzterer auf dem Westgeld sowie Naturaltausch beruht habe (u.a. 198). Treffender wäre es wohl davon zu sprechen, dass sich in den Lücken der Planwirtschaft nach wie vor marktwirtschaftliche Beziehungen ausbreiteten. Zatlin liefert auch keinen Beleg, welches Ausmaß dieser kapitalistische Sektor eigentlich hatte, was allerdings einem nur schwer zu behebenden Quellenproblem geschuldet ist.
Zweitens ist die These, dass es der SED-Spitze entscheidend um die Abschaffung des Geldes gegangen sei, zumindest missverständlich. Entsprechend dem zentralen Stellenwert, den in der marxistischen Theorie die Produktionsverhältnisse einnahmen, sollten diese auch den Charakter und die Funktion des Geldes bestimmen. Schon aus diesem Grund ging es der SED primär darum, den Markt abzuschaffen und stattdessen eine Planwirtschaft zu etablieren, die wiederum unbestritten stark naturalwirtschaftliche Züge aufwies. Abgesehen von "romantischen" Schwärmereien einiger Funktionäre in der Frühphase kommunistischer Herrschaft in der SBZ/DDR war die Abschaffung des Geldes einer Phase vorbehalten, die in eine historisch nicht absehbare Zeit gerückt wurde. In den DDR-Wirtschaftswissenschaften diskutierte man in der Honeckerzeit vielmehr (oft in geradezu scholastischer und meist auch unergiebiger Form) den Platz und die Rolle der offensichtlich weiter bestehenden Marktmechanismen - verhandelt unter dem Terminus der Ware-Geld-Beziehung. Die weiche Budgetbeschränkung für die Betriebe wie auch für die Volkswirtschaft und den Staat insgesamt resultierte nicht aus dem Bestreben, das Geld abzuschaffen und dem Nichtverhältnis der SED-Spitze zum Geld, sondern aus den politischen, eher ideologisch motivierten Zielen, die sie der Wirtschaft oktroyierte. So kann auch keine Rede davon sein, dass in den Produktionskreisläufen das Geld abgeschafft worden sei und im Konsumtionsbereich nicht, wie das zugespitzt an einigen Stellen im Buch auftaucht (u.a. 161). Zugleich wird das an anderen Stellen deutlich stärker differenziert.
Ungeachtet dieser Einwände hat Zatlin mit seiner Darstellung einen wichtigen Baustein für die DDR-Wirtschaftsgeschichte der 1970er und 1980er Jahre vorgelegt, der eine Vielzahl neuer archivalischer Quellen erschließt, in denen sich nicht zuletzt eine Reihe kleinerer Geschichten, wie die der Pepsi-Cola in der DDR, verstecken und an denen sich verschiedene grundlegende Probleme der ostdeutschen Ökonomie demonstrieren lassen. Bedauerlicherweise haben sich aber einige ärgerliche Ungenauigkeiten und Missverständnisse eingeschlichen, die beispielsweise von falschen Jahresangaben - so wurde der Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) nicht 1961, sondern 1966 gegründet (246) - bis zu der irrigen Annahme reichen, die DDR sei generell von den EWG-Zöllen befreit gewesen (220). Tatsächlich war das nur bei Lieferungen in die Bundesrepublik der Fall. Gleichwohl ist das Buch allen ans Herz zu legen, die sich für die Spätphase der DDR insgesamt und speziell für deren wirtschaftlichen Niedergang interessieren.
André Steiner